Dieses Hormon ist die Ursache |
Christina Hohmann-Jeddi |
19.12.2023 18:00 Uhr |
Etwa zwei Drittel aller Schwangeren leiden an Übelkeit und Erbrechen – vor allem im ersten Trimenon. / Foto: Adobe Stock/Pixel-Shot
Flauer Bauch, Übelkeit und Erbrechen – für die meisten Schwangeren sind dies im ersten Trimenon bekannte, aber harmlose Begleiter. Aber 1 bis 2 Prozent der Frauen entwickeln eine schwere Form der Übelkeit, auch Hyperemesis gravidarum genannt. Wie diese zustande kommt, war bisher nicht gut untersucht. Nun berichten Forschende um Dr. Marlena Fejzo von der University of Southern California in Los Angeles im Fachjournal »Nature«, dass die Spiegel des Wachstumsfaktors GDF15 (Growth/differentiation factor-15) hier eine wichtige Rolle spielen.
Früheren Untersuchungen zufolge wird GDF15 in geringen Mengen von Organen wie Prostata, Blase und Nieren produziert und kann Übelkeit auslösen, indem es an spezielle Rezeptoren im Hirnstamm bindet. Nach der Einnahme toxischer Substanzen und während der frühen Schwangerschaft steigt der Spiegel dieses Hormons an und verursacht Übelkeit. Stephen O'Rahilly, Mitautor der Studie und Stoffwechselforscher an der University of Cambridge, stellte daher die Hypothese auf, dass GDF15 einen Schutzmechanismus darstelle, der Menschen davor bewahren soll, sich selbst zu vergiften, und werdende Mütter davor, den Fetus toxischen Substanzen auszusetzen. Im ersten Trimester der Schwangerschaft sei der Energiebedarf noch nicht erhöht und es sei besser, die Nahrungsaufnahme zu reduzieren, um den Fetus nicht mit potenziell schädlichen Substanzen in Kontakt kommen zu lassen, sagt O'Rahilly gegenüber dem Nachrichtenportal von »Nature«.
Für seine Untersuchung verglich das Team um Fejzo die GDF15-Spiegel von 60 Schwangeren mit Morgenübelkeit mit denen von 60 Schwangeren ohne gravierende Beschwerden. Es zeigte sich, dass die Spiegel der Frauen mit Übelkeit deutlich über denen der Frauen ohne Beschwerden lagen. Zudem konnte das Team nachweisen, dass Frauen mit bestimmten Genvariationen von GDF15, die mit einem erhöhten Risiko für Hyperemesis gravidarum assoziiert sind, niedrige GDF15-Spiegel haben, wenn sie nicht schwanger sind. Eine Datenanalyse von 18.000 Personen konnte zudem zeigen, dass Frauen mit hohen GDF15-Spiegeln vor der Schwangerschaft ein niedrigeres Risiko für diese schwere Form der Übelkeit hatten. Es könnte also ein Gewöhnungseffekt vorliegen.
Diese These konnten die Forschenden in Untersuchungen mit Mäusen bestätigen: Wenn die Weibchen vor der Trächtigkeit GDF15 appliziert bekamen, fielen die Übelkeitssymptome in der Trächtigkeit geringer aus.
»Zum ersten Mal könnte die Hyperemesis gravidarum an der Ursache bekämpft werden, anstatt nur die Symptome zu lindern«, sagt Dr. Tito Borner, Physiologe an der Universität von Pennsylvania, gegenüber »Nature«.
Die Ergebnisse könnten auch neue Wege für die Behandlung eröffnen. »Wir haben jetzt eine klare Vorstellung davon, was dieses Problem verursachen könnte, und einen Weg für die Behandlung und Vorbeugung«, sagt O'Rahilly. So könnten Frauen mit besonders niedrigen GDF15-Spiegeln vor einer geplanten Schwangerschaft quasi desensibilisiert werden. Zudem ist es denkbar, GDF15 bei Betroffenen mit Hyperemesis gravidarum mit Antikörpern zu beseitigen. Zwei entsprechende Antikörper werden bereits in klinischen Studien für die Behandlung der Kachexie getestet. Bevor diese aber klinisch bei Schwangerschaftsübelkeit untersucht werden, müsste erst die Rolle von GDF15 in normalen Schwangerschaften erforscht werden, um schwere Nebenwirkungen auszuschließen.