»Diese sollten Sie sich merken« |
Kerstin A. Gräfe |
09.06.2023 15:00 Uhr |
Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz stellte traditionell am Mittwochmorgen beim Pharmacon in Meran Arzneistoffe vor der Zulassung vor. / Foto: PZ/Alois Mueller
Als einen Arzneistoff mit Blockbuster-Potenzial bezeichnete der Apotheker den oralen Neurokinin(NK)-3-Rezeptorantagonisten Fezolinetant. »Es handelt sich um eine hormonfreie Alternative zur Behandlung vasomotorischer Beschwerden wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche in den Wechseljahren«, informierte der pharmazeutische Chemiker. NK-Rezeptorantagonisten wirken über sogenannte Kisspeptin-Neurokinin-B-Dynorphin-Neurone (KNDy-Neurone), die das Rückgrat des Thermoregulationszentrums darstellen. In der Menopause hypertrophieren KNDy-Neurone; die vermehrte Expression von Neurokinin B (NKB) und Kisspeptin führt zu »hot flushes«. NKB wirkt über den Neurokinin-3-Rezeptor (NK3R).
In den USA hat Fezolinetant (Veozah™) im vergangenen Monat eine Zulassung erhalten. Bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) liegt ein Antrag vor. »In den Zulassungsstudien konnte der neue Arzneistoff die Beschwerden von sieben Attacken pro Tag um zwei bis drei Episoden verringern«, so der Referent. Mit Elinzanetant von Bayer befinde sich ein weiterer oraler NK-Rezeptorantagonist in Phase III der klinischen Prüfung. Im Gegensatz zu Fezolinetant handelt es sich um einen dualen Antagonisten, der Neurokinin-1 und -3 adressiert. Schubert-Zsilavecz rechnet mit einem Paradigmenwechsel in der Behandlung von vasomotorischen Beschwerden in den Wechseljahren.
Auch in der Indikation Typ-1-Diabetes ist eine Innovation am Start: Der in den USA bereits zugelassene Antikörper Teplizumab (Tzield™) soll den Übergang von Prädiabetes zu manifestem Diabetes hinauszögern. Typ-1-Diabetes entsteht meist bereits in sehr jungen Jahren infolge einer autoimmunen Beta-Zell-Destruktion, die zu einem absoluten Insulinmangel führt. Eine Schlüsselrolle bei der Manifestation spielen spezielle Autoantikörper. Teplizumab bindet an das Oberflächenantigen CD3 auf T-Lymphozyten, was letztlich modifizierend in den Autoimmunprozess eingreift und den Prozess bremst. »Im Kern geht es darum, Patienten im Stadium 1 und 2 zu schützen«, so der Apotheker. Schubert-Zsilavecz erwartet weitere Arzneistoffe dieser Gruppe: »Die Immunologie ist das Zukunftsfach der Pharmazie«.
Die Begeisterung des pharmazeutischen Chemikers angesichts der cleveren Technologie eines weiteren Kandidaten war bei dessen Vorstellung unverkennbar: Mit Berdazimer befindet sich ein Diazeniumdiolat-modifiziertes Polysiloxan als antivirales Gel vor der Zulassung, dessen Wirkung auf der Speicherung und kontrollierten Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) beruht. »Das besondere Merkmal des Berdazimer-Gels ist die ausgeklügelte Formulierung für die topische Applikation«, sagte Schubert-Zsilavecz. Das NONOat-Polymer ist in ein protisches Hydrogel eingebettet, um so den pH-Wert abzusenken und in einem langsamen, kontrollierten Prozess die NONOat-Gruppe zu protonieren. Im sauren Milieu ist diese nämlich instabil und setzt zwei Moleküle NO frei. Zum Einsatz soll das Gel bei Dellwarzen kommen.
»Ein PASI 100 ist heute bei der Plaque-Psoriasis mit den Kinasehemmern kein Hexenwerk mehr«, sagte der Referent. Anders sehe das bei der topischen Therapie aus. Mit Tapinarof (Vtama®), das bereits eine US-Zulassung hat, steht nun auch in Europa ein neues Wirkprinzip für die Lokalbehandlung vor der Zulassung. Tapinarof wirkt wie Teer, das in den Leitlinien immer noch empfohlen wird, als Agonist am Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor (AhR). Bei chronisch entzündlicher Haut liegt eine nicht-kanonische Regulation des AhR vor. Die Aktivierung des AhR wirkt antientzündlich und normalisiert die Keratinozyten-Differenzierung. Aufgrund des Wirkprinzips sei auch die Indikation atopische Dermatitis denkbar, so Schubert-Zsilavecz.
»Mit diesem Kandidaten möchte ich Hoffnung verbreiten«, sagte der Apotheker. Mit der Kombination Phenylbutyrat/Ursodoxicoltaurin (Relyvrio®) könnte zukünftig eine Option zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) verfügbar sein. ALS ist eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die in der Regel innerhalb von zwei bis vier Jahren zu zunehmender Behinderung durch Muskellähmungen und letztlich zum Tod führt. In Deutschland ist zur Behandlung nur Riluzol (Rilutek®) zugelassen. In der US-Zulassungsstudie CENTAUR konnte die Kombination die Überlebenszeit um etwa sechs Monate verlängern. »Das ist ein kleiner, aber keinesfalls unbedeutender Schritt«, betonte Schubert-Zsilavecz. Weitere Kandidaten stünden vor der Zulassung.