Diese Arzneistoffe gendern |
Brigitte M. Gensthaler |
23.04.2024 13:30 Uhr |
Manche Arzneistoffe wirken bei Mann und Frau anders. Das liegt oft an der Pharmakokinetik, zum Beispiel am Verteilungsvolumen oder der Verstoffwechselung. / Foto: Getty Images/Johner Images
Klinisch relevant sind zum Beispiel die Wirkunterschiede bei Acetylsalicylsäure, das in der 100-mg-Dosis zur Thrombose- und Infarktprophylaxe eingesetzt wird. Gemäß einer retrospektiven Untersuchung von 2005 schütze ASS 100 mg Männer besser als Placebo vor Herzinfarkt, aber nicht vor Schlaganfall – bei Frauen sei es umgekehrt, erklärte Professor Dr. Oliver Werz, Lehrstuhl für Pharmazeutische/Medizinische Chemie, Universität Jena, am vergangenen Wochenende beim Fortbildungsteil des Thüringer Apothekertags.
Auch bei Opioid-Analgetika gibt es Unterschiede. Beispiel Morphin: Die Schmerzhemmung tritt bei Männern schnell ein und hält kurz an, bei Frauen wirkt es länger. »Männer benötigen etwa 40 Prozent mehr Morphin, bezogen auf das Körpergewicht, als Frauen«, so Werz. Da Studien früher mit Männern gemacht wurden, bekämen Frauen in der Regel eine zu hohe Dosis – und haben ein um 60 Prozent höheres Nebenwirkungsrisiko.
Das Opioid Nalbuphin linderte Schmerzen nach einer Weisheitszahn-Operation in der 10- und 20-mg-Dosierung bei Frauen gut. Bei Männern hielt der analgetische Effekt kurz an und schlug dann eher in einen anti-analgetischen Effekt um.
Das Schlafmittel Zolpidem ist ein gutes Beispiel für einen Wirkstoff, der individuell dosiert werden müsste. Aufgefallen war, dass Frauen unter Zolpidem vermehrte Autounfälle in den Morgenstunden verursacht hatten.
Wenn sich die Halbwertszeit aufgrund langsamerer Verstoffwechselung nur um 20 bis 30 Prozent verlängert, komme es zum morgendlichen Überhang, erklärte Werz. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA habe die Dosis für Frauen halbiert. In den deutschen Fachinformationen (zum Beispiel von Bikalm® und Stilnox®) findet sich dazu aber kein Hinweis. »Frauen neigen auch bei Benzodiazepinen eher zum Hangover«, ergänzte der Apotheker.
Die Pharmakokinetik macht sich auch beim Ultrakurz-Narkotikum Propofol bemerkbar. Die Aufwachzeit liege bei Männern bei 8,2 Minuten, bei Frauen nur bei 5,6 Minuten, da die Plasmaspiegel bei ihnen schneller abfallen. »Propofol wirkt besonders intensiv und lange bei schlanken Männern.« Eine Überdosierung führt zu Atemlähmung und Herzstillstand.
Seit wenigen Jahren gibt es sogar geschlechtsspezifische Dosiervorgaben für einige Arzneistoffe. Werz nannte Beispiele: Minoxidil bei Haarausfall und Follitropin zur Behandlung von Fruchtbarkeitsstörungen müssen, Prucaloprid bei Verstopfung und das Leptin-Analogon Metreleptin bei Lipodystrophie sollen unterschiedlich dosiert werden.