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Interview Cathrin Burs

»Die weißen Flecken werden sichtbar«

Im Zuge der anstehenden Kammerwahl gibt Niedersachsens Kammerpräsidentin Cathrin Burs einen Überblick über die größten Herausforderungen der Berufspolitik und blickt im Interview mit der PZ zurück auf ihre erste Amtszeit.
Alexander Müller
28.03.2024  09:00 Uhr

PZ: Frau Burs, Sie wurden im Juni 2019 zur Kammerpräsidentin gewählt. Wie fällt das Fazit Ihrer ersten Amtsperiode aus?

BURS: Aufgrund der großen Ereignisse war das schon eine wahnsinnig herausfordernde Zeit. Nach einem halben Jahr Amtszeit begann die Corona-Pandemie. Wir hatten gerade den Vorstand neu gewählt und eine neue Doppelspitze in der Geschäftsführung. In dieser Phase war die gute Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt besonders wichtig,. Aber ich bin ein Mensch, der Herausforderungen mag, es macht mir Freude.

PZ: Worauf sind Sie stolz?

BURS: Was man alles Positives bewirken kann, das flasht mich immer noch. Als es hieß, die Apotheken sollen Coronatests durchführen, haben wir binnen Tagen bei der Landesregierung durchgesetzt, dass die Apothekenteams zu den ersten Gruppen zählten, die geimpft werden konnten. Wir haben als Berufsstand Desinfektionsmittel hergestellt, getestet, geimpft. Das wir das alles gemeinsam geschafft haben, begeistert mich. Und abseits des Alltags in der Offizin sind die PTA-Schulgeldbefreiung und das Pilotprojekt »PJ Akademie«, bei dem angehende Mediziner und Pharmazeuten gemeinsam lernen, sicherlich Meilensteine gewesen.

PZ: Wo hätten Sie gerne mehr erreicht?

BURS: Es hat mich sehr geärgert, dass wir die Erhöhung des Kassenabschlags im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nicht verhindern konnten. Unsere SPD-geführte Landesregierung hat uns verstanden, wollte dem Bundesgesundheitsminister aus der eigenen Partei aber nicht in den Rücken fallen. Das hat mich frustriert, da hätte ich vielleicht noch hartnäckiger bleiben sollen. Denn wenn die Politik etwas will – und das haben wir beim Impfen gesehen – dann setzt sie das auch durch. Die Belastung der Apotheken wurde gesehen und trotzdem nicht entsprechend gehandelt. Das hat den Weg zum Protestjahr geebnet.

PZ: Auch in Hannover wurde demonstriert. Ihr Gesundheitsminister Andreas Philippi hat sich bei der Protestkundgebung sehr stark gemacht für die Apotheken. Was ist denn daraus geworden?

BURS: Herr Philippi hat sein Statement vom 8. November auf der Seite seines Ministeriums im Wortlaut veröffentlicht, die komplette Rede, in der er sich eindeutig positioniert für den Erhalt der Apotheke vor Ort und auch dafür, dass sie eine höhere Honorierung erhält. Wir sind weiter in ganz engem Austausch. Ich hatte während meiner Amtszeit jetzt schon drei verschiedene Gesundheitsminister und ich kann sagen: Wir haben es geschafft, zu allen einen sehr guten Kontakt aufzubauen. Herr Philippi ist selbst Arzt und hat mit einer ganz fantastischen Kollegin von uns zusammengearbeitet. Da ist also eine Basis gelegt.

PZ: Und wie ist sein Verhältnis zu Minister Lauterbach?

BURS: Man kann ja der Presse entnehmen, dass er bei der Krankenhausreform dagegenhält. Und er wird sich auch für uns stark machen. Zwar wird die Apothekenreform voraussichtlich nicht zustimmungspflichtig sein im Bundesrat. Trotzdem müssen wir diese Kanäle auf Landesebene auf jeden Fall nutzen, denn das beeinflusst schon die Gespräche auf Bundesebene, etwa bei den Ministerkonferenzen.

PZ: Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

BURS: Was uns geschockt hat, waren diese Liberalisierungskapriolen von Minister Lauterbach. Wir wollen unser Honorar erhöhen und plötzlich kommt aus der anderen Ecke die Bedrohung unserer Freiberuflichkeit und des Mehrbesitzverbotes. Da mussten wir dagegenhalten und uns trotzdem nicht ablenken lassen. Die Vorstellung aus dem BMG, eine Vertretungs-PTA mit online zugeschaltetem Approbierten, das müssen wir noch ausräumen. Ich habe selbst PTA gelernt vor dem Studium und weiß, wie wichtig die Berufsgruppe ist. Aber das ist nicht die Lösung und wenn ich bei mir im Team frage, wollen die das überhaupt nicht: Entscheidungen treffen zu müssen, für die sie nicht ausgebildet wurden. Ich bin froh, dass sich der Bundesverband PTA ebenfalls so eindeutig positioniert hat.

PZ: Wo stehen die Apotheken denn heute?

BURS: Unsere Kolleginnen und Kollegen in Niedersachsen wollen, dass jetzt etwas passiert. Und es muss auch etwas passieren. Wir mussten aber erst einmal der Bevölkerung und der Politik klar machen, dass die Apotheke vor Ort echt in Schwierigkeiten ist. Ich glaube, durch unsere Proteste und die wirklich gute Öffentlichkeitsarbeit ist das gelungen: Wir haben die Patientinnen und Patienten im Boot behalten und im Berufsstand ein neues Gemeinschaftsgefühl entwickelt. Früher gab es immer die Sorge, dass die Hälfte bei Protesten nicht mitmachen würde. Trotzdem wollen die Kollegen jetzt Ergebnisse sehen.

PZ: Nehmen Sie eine Frustration an der Basis wahr?

BURS: Das ist ganz unterschiedlich. Wenn wir ins Gespräch kommen, lässt sich vieles klären. Was ich nicht gelten lasse, ist der Vorwurf, unsere Kommunikation wäre schlecht. Wir haben die Kammerversammlungen, schriftliche Mitteilungen, ich gehe auf jede einzelne Bezirksversammlung, antworte auf jede Anfrage und habe das Gesprächsangebot »Ansichten und Aussichten« etabliert: Vorstand, Geschäftsstelle und die Präsidentin gehen gemeinsam wandern und alle Mitglieder sind eingeladen. Das ist wundervoll, da kann man sich auch mal Zeit nehmen für ein Gespräch. Aber Kommunikation ist auch eine Holschuld. Die Mitglieder sollen sich mit ihrer Kritik bei uns melden, dieses Feedback brauchen wir. Ich nehme wahr, dass es zunehmend Frustration gibt aufgrund der aktuell schwierigen Lage.

PZ: Haben Sie dafür Verständnis?

BURS: Ja natürlich, denn die Lage ist ernst. Andererseits haben wir auch Erfolge erzielt: Die Präqualifizierung ist weg, die gelockerten Austauschregeln wurden erhalten. Wir haben als Berufsstand natürlich nicht alles erreicht, aber wir müssen auch unsere Leistungen anerkennen. Klar ist, die Honorarforderung wird ein Dauerthema bleiben und da kann ich auch verstehen, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen von der Politik nicht gesehen fühlen. Ich bin allerdings kein Freund von personifizierten Angriffen. Wir haben Argumente ohne Ende, wir brauchen nicht persönlich zu werden. Für mich ist ein respektvolles Miteinander wichtig, das ist eine Frage der Haltung.

PZ: Was ist denn aus Ihrer Sicht der richtige Weg, die Probleme zu adressieren?

BURS: Ich halte es für gefährlich, wenn der Bundesminister nicht auf die Expertise von uns Apothekerinnen und Apothekern hört. Deswegen müssen wir über die Abgeordneten gehen und ich hoffe, dass er auf diese mehr hört. Auf der Landesebene ist so etwas viel leichter klarzumachen. Vor Ort findet die Versorgung der Bevölkerung statt und da werden allmählich auch für die Politik die weißen Flecken sichtbar – und vor allem: für die Wählerinnen und Wähler.

PZ: Wie sieht die Zukunft der Apotheken aus?

BURS: Wir müssen den Beruf im Wandel sehen. Es werden weitere pharmazeutische Dienstleistungen dazu kommen. Wer soll es denn sonst machen? Diese Dienstleistungen sind ein Paradigmenwechsel. Wir können den Patienten etwas anbieten, das nicht vom Arzt induziert ist. Und es ist eine Riesenchance, Personal zu halten und zu gewinnen.

PZ: Aber haben Sie hart gerechnet, ob es sich lohnt?

BURS: Nein, ich rechne es im Moment nicht hart, sondern bemesse es an der Zufriedenheit meiner Mitarbeiter und meiner Kunden. Das ist eine Aufwertung unseres Berufsstandes. Man muss nur diesen Weg erst einmal gehen und dazu braucht es Mut. Beim Impfen in der Apotheke hat es auch gut geklappt. Wir bieten pDL in der Apotheke an. Und wie alles im Leben benötigt es etwas Routine, bis es geschmeidig läuft.

PZ: Müsste nicht trotzdem die einzelne pDL besser vergütet werden?

BURS: Schön wär’s… Aber ich kenne auch keine Apotheke, die es ausprobiert und dann wieder gelassen hat. Es macht Spaß, das Publikum dankt es und die Mitarbeiter sind happy. Wenn ich dann noch neuerdings etwas abrechnen kann, das ich sowieso erbringe – wie viele Argumente braucht es noch? Ich habe mittlerweile Initiativbewerbungen von Apothekern, weil es sich herumspricht, dass wir in meiner Apotheke pDL anbieten.

PZ: Wie kann man den Nachwuchs motivieren?

BURS: Ich bilde immer aus: PTA-Schüler und Pharmaziepraktikanten. Weil ich finde, dass man unseren tollen Beruf erlebbar machen muss. Nach meiner Erfahrung bleiben dann viele der Offizin treu.

PZ: Muss das Studium angepasst werden?

BURS: Unbedingt! Ich baue sehr auf die Novellierung der Approbationsordnung. Es ist uns ganz wichtig, dass wir hier einen größeren Praxisbezug bekommen. Die Attraktivität des Berufes muss schon im Pharmaziestudium gesteigert werden, deswegen ist es gut, dass das Thema jetzt im Bundesgesundheitsministerium angekommen ist. Worauf ich sehr stolz bin, ist, dass wir die PJ-Akademie gegründet haben. Ziel ist, die interdisziplinäre Zusammenarbeit schon sehr früh zu fördern, weil wir sie später dringend benötigen. Die Selbstverständlichkeit, gemeinsam einen Patienten zu betreuen, ist großartig. Das Feedback der jungen Menschen ist sehr positiv. Das ist so wichtig für die Nachwuchsförderung!

PZ: Bei der Kammerwahl kandidieren Sie erneut für die Spitze. Was wären die Ziele für die nächsten fünf Jahre?

BURS: Die wirtschaftliche Situation der Apotheken zu verbessern. Da müssen wir etwas erreichen, zusammen mit dem Apothekerverband. Ganz wichtig sind mir die pharmazeutischen Dienstleistungen. Wir haben für diesen neuen Weg so lange gekämpft und müssen die Kolleginnen und Kollegen jetzt auch mitnehmen. Das Portfolio wird auch noch erweitert werden.

PZ: Die Kammerwahl findet erstmals digital statt. Was versprechen Sie sich davon?

BURS: Wir wollen fortschrittlich sein. Und wir hoffen damit auf eine höhere Wahlbeteiligung. Der Prozess ist getestet und läuft wirklich super. Es gibt sogar ein Webinar über die Kammerwahl. Wir wollen die Kollegen motivieren, sich aktiv einzubringen. Denn wer nichts sagt, stimmt zu.

PZ: Wenn Sie jedem Apothekenteam in Niedersachsen einen Zettel in die Offizin kleben könnten, was stünde darauf?

BURS: »Lieben Sie Ihre Arbeit.« Ich glaube, darauf kommt es am Ende an, dass man seine Arbeit gerne macht. Wir haben einen unheimlich tollen Beruf, auch wenn die Umstände manchmal herausfordernd sind.

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