Die Unterschiede kommen noch zu kurz |
Die »PZ-Nachgefragt«-Runde zum Thema Frauengesundheit: PZ-Volontärin Paulina Kamm, Stefan Göbel, Anja Klauke, Tilly Duderstadt, Heidi Gregor und PZ-Redakteurin Daniela Hüttemann (von links). / © PZ/Alois Müller
Frauen bekommen im Vergleich zu Männern oft später ihre Diagnose und erhalten in der Folge oftmals schlechtere Therapien. Außerdem leiden sie häufiger unter Nebenwirkungen und haben ein anderes Schmerzempfinden. Das hoben Tilly Duderstadt, Filialleiterin der Nordring Apotheke in Berlin, und ihre Kollegin vom Verbund »Apotheken mit Herz«, Olivia Peter aus der Lichtenberg Apotheke, hervor. Selbst in der Forschung würden männliche Mäuse bevorzugt, weil der weibliche Zyklus womöglich die Untersuchung störe, berichteten sie.
»Bestimmte Erkrankungen können bei beiden Geschlechtern auftreten, betreffen Frauen aber überproportional häufig«, informierte Peter. So erkranken Frauen etwa dreimal häufiger an Multipler Sklerose und dem Erschöpfungssyndrom ME/CFS, an Fibromyalgie sogar sechsmal häufiger als das andere Geschlecht. Ein Lipödem betrifft etwa 10 Prozent aller Frauen, Männer sind Einzelfälle. Dazu kommt, dass sich Symptome bei Frauen manchmal anders äußern und übersehen werden – zum Beispiel bei einem Herzinfarkt.
Hier hätten Apotheken eine wichtige Lotsenfunktion. »Ich sehe mich als eine Art Wegweiserin, die sagt: Geh zu deiner Ärztin und bestehe so lange auf Antworten, bis sie dich ernst nimmt.« In Beratungsgesprächen könnten Apotheker wichtige Impulse geben – etwa nachfragen, ob bereits Blutbilder oder organische Untersuchungen durchgeführt worden sind.
Apothekerin Olivia Peter / © Avoxa/Expopharm
Peter machte deutlich, dass das Problem nicht nur bei einzelnen Ärzten liegt, sondern strukturell im Gesundheitssystem verankert ist: »Es fehlt an Zeit, Geld und Schulung.« So gebe es zum Beispiel keine eigene Abrechnungsziffer für eine Beratung zu Wechseljahren, die durchaus eine halbe bis dreiviertel Stunde Zeit in Anspruch nehmen könne.
Duderstadt wies darauf hin, dass die Wissenslücken zu frauenspezifischen Themen auch in der pharmazeutisch-medizinischen Wissenschaft noch groß seien: »In Studien mit neu zugelassenen Arzneimitteln müssen Frauen zwar repräsentiert sein, aber bei den schon länger verfügbaren Arzneimitteln gibt es oft keine Daten zu möglichen geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Wirkung oder bei Nebenwirkungen. Und auch in den Fachinformationen und Leitlinien ist das kein Thema.«
Bei einer Podiumsdiskussion von »PZ Nachgefragt« erinnerte Anja Klauke, Leiterin des Geschäftsfeldes Selbstmedikation beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), daran, dass die Teilnahme von Frauen an klinischen Studien infolge des Contergan-Skandals generell kritisch gesehen wurde. Mittlerweile habe sich das zwar geändert – eine Teilnahme von Frauen sei sogar vorgeschrieben –, häufig gebe es aber zu wenige Frauen, die dazu bereit seien. »Das ist auch für uns als Industrie ein Problem.«