Die Sorge um die Lieferketten |
Beim »Hauptstadt Summit« des »House of Pharma« diskutierten Arzneimittelexpertinnen und -experten über die Sicherung der Lieferketten. / Foto: imago images/McPHOTO
Was können wir tun, um Lieferketten in der Arzneimittelversorgung zu sichern? Wie konkurrenzfähig ist der Pharmastandort Deutschland? Auf welchen Gebieten muss dringend geforscht werden? Was verbirgt sich hinter dem Schlagwort »One Health«? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des »Hauptstadt Summit« am Dienstag in Berlin. Eröffnet wurde die Veranstaltung in der Hessischen Landesvertretung von Professor Manfred Schubert-Zilavecz, Präsident des »House of Pharma & Healthcare«, und seinem Vize Professor Jochen Maas. Auch der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) begrüßte die Teilnehmer per Videoschalte. Das »House of Pharma & Healthcare« ist eine gemeinsame Initiative des Landes Hessen, von Hochschulen und Unternehmen der Gesundheitswirtschaft.
»Wie (un-)abhängig ist die europäische Gesundheitswirtschaft im Notfall wirklich?« Über dieses Thema tauschten sich Experten aus Politik und Industrie während einer Podiumsdiskussion aus. Dabei informierte Wolfgang Philipp, stellvertretender Direktor der Europäischen Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA), über den Stand des Projekts. Die Europäische Kommission richtete die neue Behörde im September 2021 ein, um Krisen wie die Covid-19-Pandemie zu verhindern oder zu erkennen und schnell darauf zu reagieren. Unter anderem soll HERA die EU besser auf Notlagen im Gesundheitsbereich vorbereiten, die Forschung fördern und Lieferengpässe beseitigen. Im Fall einer Notlage soll die Behörde sicherstellen, dass Arzneimittel, Impfstoffe und andere medizinische Maßnahmen entwickelt, hergestellt und verteilt werden.
Philipps zufolge wurde die Behörde sehr schnell geschaffen und mit einem Budget von 6 Milliarden Euro ausgestattet. Derzeit liefen viele Aktivitäten parallel, beispielsweise habe die Behörde bereits viel Geld in Forschung gesteckt. Gegen Affenpocken konnte sie Impfstoffe für die Mitgliedsstaaten organisieren. Eine Aufgabe von HERA bestehe darin, Risiken abzuschätzen und Abhängigkeiten zu managen. Daher habe sich die Behörde den Bereich der Antibiotika »sehr genau angesehen« und untersucht, welche Produkte bei der Belieferung abgesichert werden müssen. »Das muss dann auch finanziert werden«, sagte Philipps. Als positiv hob er hervor, dass die Mitgliedsstaaten das Projekt unterstützten.
Über die Mitwirkung ihres Unternehmens am »G7 Pact for Pandemic Readiness« informierte Simone Kardinahl, Senior Vice President Development des Impfstoffherstellers IDT Biologika mit Hauptsitz in Dessau. Es sei schwierig, auf der Basis von Annahmen zu arbeiten. Für 32 Materialgruppen müssten jeweils mindestens zwei Produktionsstandorte in Europa gefunden werden. Kardinahl lobte die »tolle Unterstützung« durch das PEI und die Bundesregierung; dies habe sich während der Pandemie verfestigt. »Das Thema Zusammenarbeit ist durch die Pandemie ganz wesentlich geworden«, betonte sie. Der Wettbewerb sei in den Hintergrund getreten. Um auf die nächste Pandemie gut vorbereitet zu sein, sei neben einer guten Zusammenarbeit auch wichtig, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dabei lohne es sich, sowohl über Zuwanderung als auch über Qualifizierung nachzudenken.
»Deutschland ist als Absatzmarkt nicht mehr attraktiv« – diese Ansicht äußerte Olaf Weppner, Vice President & Geschäftsführer Commercial im Pharmakonzern AbbVie Deutschland. Im Generikabereich sei die »Zitrone ausgepresst«. Es sei in Kauf genommen worden, dass ein Großteil der Wirkstoffe außerhalb Europas produziert werde. Innovative Arzneimittel würden hingegen noch vielfach in Europa hergestellt. Weppner forderte, den Wertschöpfungsaspekt auch bei Generika mehr in den Blick zu nehmen. Um unabhängiger zu werden, solle sich Europa auf wichtige Wirkstoffe konzentrieren. Er befürchte allerdings, dass der Standort Deutschland langfristig noch mehr ins Hintertreffen gerate. Kritik übte er an den neuen Regelungen zur frühen Nutzenbewertung, die im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz enthalten sind. Den geplanten Gesetzentwurf zur Reform der Generikaversorgung begrüßte Weppner hingegen.
Über einen möglichen ersten Entwurf für ein sogenanntes Generikagesetz informierte Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Die PZ berichtete bereits darüber. Das Gesetz soll unter anderem Vorgaben für die Kassen bei den Rabattverträgen vorsehen. Möglicherweise soll auch die Abgabe in den Apotheken weiterhin erleichtert werden. »In der Pandemie haben wir gemerkt, dass sich das Rückgrat der Versorgung im Generikabereich abspielt«, betonte Müller. Er ging auch auf die neuen Regelungen zur frühen Nutzenbewertung ein, die im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verankert sind. »Wir wollen gute Innovationen stärken«, so Müller. Kleine Innovationen würden hingegen mit einem »Preisanker« versehen. Nach elf Jahren Regelungen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) weiterzuentwickeln, halte er für vertretbar. »Ich denke nicht, dass das Deutschland zu einer Innovationswüste machen wird«, sagte Müller. Er räumte aber ein, dass voraussichtlich nachgebessert werden müsse. Generell sei er allerdings davon überzeugt, dass Deutschland bei der innovativen Entwicklung »nach wie vor das Zugpferd in Europa« bleibe. Ein weiteres Thema, dem das BMG sich in nächster Zeit widmen werde, sei der Bürokratieabbau, kündigte Müller an.
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