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Minipille bleibt Rx-pflichtig

»Die Selbstbestimmung der Frauen wird nicht beachtet«

Die Minipille zur Verhütung bleibt vorerst rezeptpflichtig. Das bedauert Versorgungsforscher Professor Dr. Uwe May. Er wünscht sich, dass bei der Diskussion um OTC-Switches mehr gesamtgesellschaftliche Aspekte berücksichtigt werden.
Daniela Hüttemann
26.01.2024  15:00 Uhr

»Apotheker würden diesen OTC-Switch begrüßen«

PZ: Würden sich die Frauen und Mädchen denn trauen, die Minipille selbst in der Apotheke zu besorgen?

May: Ja, die Hälfte der Befragten in Deutschland – in Italien und Spanien sogar etwas mehr – würden die Minipille gerne ohne Rezept beziehen. Mehr als ein Drittel würde dann sogar von der jetzigen Verhütungsmethode auf die Minipille umswitchen. Die Frauen fühlen sich in der Apotheke gut aufgehoben. Und auch fast alle der von uns jeweils hundert befragten Apothekerinnen und Apotheker meinen, dass Frauen einen einfachen Zugang zu hormonellen Kontrazeptiva haben sollten. Der Großteil würde einen OTC-Switch begrüßen. Schließlich beraten die Apotheken auch schon seit einigen Jahren verantwortungsbewusst zur Pille danach.

PZ: Wie beurteilen Sie das einstimmige Votum des Sachverständigenausschusses gegen den Antrag auf Entlassung aus der Rezeptpflicht für die Minipille mit Desogestrel?

May: Das Gremium ist extrem risikoorientiert, was die Arzneimittelsicherheit angeht, beachtet aber weniger die Risiken, die zum Beispiel entstehen, wenn auf eine Behandlung oder Anwendung aufgrund zu hoher Hemmnisse verzichtet wird. Im Fall der Minipille wären das ungewollte Schwangerschaften und möglicherweise Abtreibungen. Als es zuletzt um Sildenafil und Tadalafil gegen erektile Dysfunktion ging, wurde nicht berücksichtigt, dass viele Männer sich die Tabletten dann, wie es ja derzeit auch der Fall ist, eben über den Schwarzmarkt besorgen und eventuell gefälschte Produkte bekommen. Solche gesamtgesellschaftlichen Aspekte, die über das Pharmakologische hinaus gehen, sind für die Menschen von großer Bedeutung und sollten daher stärker in die Abwägung von Risiken und Nutzen eines Switches einbezogen werden.

Ein Problem bei der Umsetzung von Switches, ist auch das Verfahren an sich. Es sollte grundlegend hinterfragt werden, welche Kriterien wir in Deutschland bei der Entscheidung darüber, ob ein Wirkstoff oder auch ein Produkt rezeptfrei erhältlich sein kann, anlegen sollten. Im Ergebnis betrifft die Entscheidung über die Rezeptpflicht oft sehr viele Menschen in verschiedensten Lebensbereichen. Das reicht von versorgungspolitischen Aspekten, Fragen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bis hin zu sozio-ökonomischen Aspekten. Zudem könnte man über eine erweiterte Zusammensetzung des Ausschusses nachdenken. Darüber hinaus ist wichtig, dass wir das Verfahren dahingehend ändern, dass auch nur konkrete Präparate des Antragstellers rezeptfrei gestellt werden können. Auf diese Weise können bestimmte Bedingungen an den Switch geknüpft werde, wie eine weitergehende Beratung in der Apotheke oder auch ein Verbot des Bezugs über den Versandhandel.

PZ: Wie würde eine optimale Besetzung des Sachverständigenrats für Verschreibungspflicht aus Ihrer Sicht denn aussehen?

May: Natürlich ist die pharmakologische und medizinische Expertise wichtig und steht an erster Stelle. Dabei wäre idealerweise auch die Sichtweise von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten der jeweiligen Fachrichtung im Gremium als stimmberechtigtes Mitglied einzubeziehen. Im aktuellen Fall also einer Gynäkologin oder eines Gynäkologen. Auch die juristische, ethische, versorgungspolitische und gesundheitsökonomische Perspektive sollte hinzukommen.

Wichtig ist es zudem, verhaltensbezogene Aspekte in den Vergleich der Szenarien mit und ohne Rezeptpflicht eines konkreten Wirkstoffs einzubeziehen: Was macht der oder die Betroffene unter Alltagsbedingungen tatsächlich, wenn etwa eine rezeptfrei erhältliche Medikation nicht zur Verfügung steht? Entweder unterbleibt eine Behandlung oder der Patient nimmt vielleicht in Eigenregie ein inadäquates Präparat ein. Das konnten wir bei Migräne-Patienten beobachten, bevor die ersten Triptane rezeptfrei zur Verfügung standen. Auch hieraus können sich negative Folgen für die Patientensicherheit und Lebensqualität ergeben. Ich wünsche mir einfach, dass der Ausschuss bei Switch-Entscheidungen in Zukunft die gesamtgesellschaftliche Perspektive stärker beachtet. Es ist frustrierend, dass es gar keine Rolle spielt, was die Menschen wollen, brauchen und wie sie sich tatsächlich unter Alltagsbedingungen verhalten.

Professor Dr. Uwe May und seine Geschäftspartnerin Cosima Bauer sind Mitautoren der zitierten Studie zur Sichtweise von Frauen und Apothekern auf rezeptfreie Gestagen-haltige Pillen, die von HRA Pharma designt und finanziert wurde. Das Pharmaunternehmen, das zum Perrigo-Konzern gehört, hatte schon die OTC-Switches von Minipillen in Großbritannien und den USA beantragt und die entsprechenden Verfahren bei den Zulassungsbehörden MHRA beziehungsweise FDA begleitet.

* Emilio Arisi, Cosima Bauer, Manuela Farris, Chiara Giulini-Limbach, Anna Glasier, Inaki Lete, Uwe May, Noushin Mirjalili, Rossella E. Nappi, Rafael Sanchez- Borrego & Isabel Serrano (2022) The views of women and pharmacists on the desirability of a progestogen-only pill over the counter. Results of a survey in Germany, Italy and Spain, The European Journal of Contraception & Reproductive Health Care, 27:6, 494-503

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