Die Risikofaktoren der Frau |
Annette Rößler |
22.04.2025 12:00 Uhr |
Risikofaktoren für die Herz-Kreislauf-Gesundheit wie Adipositas oder Rauchen betreffen Frauen und Männer. Schwangerschaften oder auch ein Estrogenmangel kommen dagegen nur bei Frauen vor und können ebenfalls das kardiovaskuläre Risiko erhöhen. / © Getty Images/PeopleImages
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit die häufigsten Todesursachen bei Frauen. 2019 hatten 35 Prozent der Todesfälle von Frauen eine kardiovaskuläre Ursache. Die altersadjustierte Herz-Kreislauf-Sterblichkeit von Frauen sei in den vergangenen Jahrzehnten zwar zurückgegangen, schreibt ein Autorenteam um Dr. Antonia Sambola vom Universitätskrankenhaus Vall d’Hebron in Barcelona, Spanien, in der englischen Version des Fachjournals Revista Española de Cardiología. Dem stehe jedoch ein Anstieg der Herzinfarktrate bei jüngeren Frauen in den vergangenen zehn Jahren gegenüber.
Für die Publikation hat sich ein interdisziplinäres Team von Fachleuten aus unter anderem Gynäkologie, Endokrinologie, Pädiatrie und Familienmedizin zusammengetan, um den aktuellen Wissensstand zur kardiovaskulären Prävention speziell bei Frauen zusammenzutragen. Herausgekommen ist ein Konsensuspapier, das die verschiedenen Risikofaktoren von Frauen in allen Lebensphasen auflistet, Forschungsbedarf benennt und Empfehlungen ausspricht.
Im Jugendalter zwischen 10 und 21 Jahren seien bei Mädchen und jungen Frauen vor allem drei Risikofaktoren zu bedenken, heißt es in dem Papier: eine Zunahme der Fettmasse, die bei Mädchen stärker ausfalle als bei Jungen (25 versus 14 Prozent), eine Abnahme der sportlichen Aktivität und das Rauchen, mit dem Mädchen heutzutage sogar häufiger beginnen als Jungen.
Bei Frauen im gebärfähigen Alter (über 21 Jahren) stellten Zustände wie das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS), ein hypogonadotroper Hypogonadismus (eine Unterfunktion der Keimdrüsen) und eine vorzeitige Menopause (prämature Ovarialinsuffizienz, POI) geschlechtsspezifische Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar. Sie alle sind von einem Mangel an Estrogen gekennzeichnet und gehen mit metabolischen Störungen wie Insulinresistenz, zentrale Adipositas, Dyslipidämie und Hypertonie einher.
Frauen mit POI oder Hypogonadismus empfiehlt die Autorengruppe bereits vor der Menopause eine Hormonersatztherapie (HRT), bevorzugt mit transdermalen Estrogenen und gegebenenfalls kombiniert mit einem Gestagen. Eine generelle HRT-Empfehlung für alle anderen Frauen spricht das Team nicht aus, obwohl es darauf hinweist, dass eine HRT »die effektivste Intervention zur Linderung (menopausaler) Symptome und zur Erhöhung der Lebensqualität« darstelle. Das kardiovaskuläre Risiko und die allgemeine Sterblichkeit von Frauen unter 60 Jahren und bis zehn Jahre nach der Menopause könnten durch eine HRT gesenkt werden. Allerdings sei eine HRT für Frauen mit hohem kardiovaskulären Risiko oder bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung nicht empfohlen.
Ausführlich gehen die Autoren auch auf die speziellen Herz-Kreislauf-Risiken ein, die mit einer Schwangerschaft verbunden sind. Hierzu zählen unter anderem ein Bluthochdruck, bestimmte Blutdruckschwankungen oder auch ein Diabetes mellitus während der Schwangerschaft, die bei entsprechender Veranlagung durch den physiologischen Stress einer Schwangerschaft getriggert werden können. Es sei wichtig, Frauen sowohl vor Eintritt einer (geplanten) Schwangerschaft, am Ende des ersten Trimesters als auch im »vierten Trimester«, also in den ersten zwölf Wochen nach der Entbindung, bezüglich ihres Herz-Kreislauf-Risikos zu screenen. Das »Vierttrimester«-Screening sei dabei für den weiteren Verlauf besonders wichtig, werde aber von zu wenig Frauen in Anspruch genommen.
Als weitere geschlechtsspezifische Risikofaktoren nennen die Autoren psychosozialen Stress, von dem Frauen oft stärker betroffen seien als Männer, und Autoimmunerkrankungen, die ebenfalls häufiger bei Frauen auftreten. Darüber hinaus stellten Brustkrebsüberlebende eine eigene Risikogruppe dar, weil die Krebstherapien das Herz auch langfristig schädigen könnten.
»Eine Frau zu sein, stellt an sich einen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar«, sagt Sambola gegenüber der Nachrichtenseite »Medscape«. Dafür gebe es vor allem drei Gründe: eine inadäquate Ausbildung von Medizinstudierenden in genderspezifischem Erkrankungsmanagement, das Fehlen von Routine-Screenings für frauenspezifische kardiovaskuläre Risikofaktoren und die weit verbreitete Annahme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien weniger tödlich als Brustkrebs.