»Die Politik braucht breit aufgestellte Apotheken« |
Daniela Hüttemann |
31.05.2022 16:00 Uhr |
Neues Selbstbewusstsein für die Apothekerschaft: ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening und Bremens Kammerpräsident Klaus Scholz wünschen sich neue Aufgaben für den Beruf – auf Augenhöhe mit den Ärzten. / Foto: AK Bremen
Ein erklärtes Ziel von Overwienings ABDA-Präsidentschaft ist es, mehr in den Austausch mit den Apothekerinnen und Apothekern bundesweit zu kommen, um eine gemeinsame Stimme zu finden. Dazu war die Münsterländerin am gestrigen Montagabend zur Kammerversammlung der Apothekerkammer Bremen gekommen und hielt eine flammende Rede für mehr Selbstbewusstsein und eine kreative Zukunftsgestaltung der Apotheken vor Ort.
Desinfektionsmittel herstellen, Botendienste verzehnfachen, Masken verteilen, Bürgertests durchführen, Impfzertifikate ausstellen und nicht zuletzt selbst gegen Covid-19 impfen: »Wenn Sie Anfang 2020 die Liste genannt bekommen hätten, was wir alles in den nächsten zwei Jahren tun werden, hätten Sie gesagt, das geht nicht«, warf Overwiening einen Blick auf die Pandemie zurück. Es sei aber doch gegangen und fast immer seien die Apotheken die ersten gewesen, die zugepackt haben ohne wie manch andere Berufsgruppe lange zu lamentieren oder zu fordern, so die ABDA-Präsidentin. Gerade hier habe sich die Präsenz in der Fläche ausgezahlt. Mit viel Kreativität und enormen Einsatz habe man die Bevölkerung mit weit mehr als nur Arzneimitteln versorgt.
Overwieing hält es für richtig und wichtig, auf dieser Basis nun über weitere Leistungsausweitungen zu sprechen. »Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und mehr als das. Es gibt noch weitere Bereiche, wo wir mehr für eine ordentliche Versorgung der Menschen tun können«, meinte Overwiening und nannte als Beispiel angesichts von rund 250.000 Krankenhauseinweisungen jährlich durch Wechselwirkungen die Medikationsanalyse oder ein Honorar für das Abraten von Medikamenten in bestimmten Fällen.
Die Apotheken könnten auch die elektronische Patientenakte befüllen. »Was könnten wir da alles leisten, wenn man uns lässt. Daher müssen wir der Politik klar machen: An all diesen Stellen braucht ihr uns«, appellierte sie an das Selbstbewusstsein der Apothekerinnen und Apotheker. Zwar will sie nicht an der Vergütung für die Abgabe pro Medikament rütteln, doch brauche es weitere honorierte Dienstleistungen am Patienten mit Bezug zum Arzneimittel.
Sie forderte auch mehr Entscheidungshoheit in Medikationsfragen für die Apotheker. »Wir wollen nicht auf Konfrontation mit anderen Berufsgruppen gehen, aber interprofessionell auf Augenhöhe arbeiten – wenn die das nicht wollen, ist es deren Problem, nicht unseres«, sagte die ABDA-Präsidentin mit Blick auf die Ärzteschaft. Denn erst vor wenigen Tagen hatten sich die Mediziner auf dem Deutschen Ärztetag und bei der KBV-Vertreterversammlung vehement dagegen ausgesprochen, dass Grippeschutzimpfungen künftig flächendeckend in Apotheken angeboten werden.
Dabei ging sie auch auf die Polemik der ärztlichen Standesvertretung in puncto Impfen in der Apotheke ein. »Was hat die Politik nach dem Geschimpfe gemacht? Die Modellprojekte abgewartet? Die Apotheken doch nicht gegen Corona impfen lassen?« Dass das Grippeimpfen in der Apotheke nun früher als gedacht zur Regelleistung wird, sei auch eine Reaktion darauf, dass die Politik in den Apotheken verlässliche Partner sieht. Die Ärzte hätten auch nur auf Gremienebene ein Problem damit. »Wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird sich alles einspielen. Lassen Sie sich nicht beirren, sondern schauen Sie, was Sie Ihren Patienten anbieten können«, sagte Overwiening, auch im Hinblick auf die pharmazeutischen Dienstleistungen.
Zumindest habe die Politik aus der Verzögerungstaktik der Krankenkassen bei der Einigung auf diese gesetzlich gewollten, honorierten neuen Leistungen gelernt und für die Honorarverhandlungen zur Grippeimpfung kurze Fristen gesetzt. »Das hat die Politik gesehen. Die Krankenkassen können ihr Spielchen mit den Apotheken so nicht weitertreiben«, so Overwiening. »Sehen Sie es auch als Aufforderung der Politik an die Apotheken: Wir brauchen euch vor Ort und zwar noch breiter aufgestellt.«
Umgekehrt benötigen die Apotheken neben dem Apotheken-Vor-Ort-Stärkungsgesetz unbedingt die Beibehaltung des Fremd- und Mehrbesitzverbots. »Auch das hat die Pandemie der Politik vor Augen geführt: Die Großen haben es nicht gebacken bekommen. Wir dagegen gehen nicht einfach, weil die Aktienkurse fallen, wir sind vor Ort gut verwurzelt und deshalb resilient.«
Generell brauche es mehr Gesetze für die Apotheken, nicht gegen den Versandhandel oder gar die Ärzteschaft. Das hat bekanntlich nach dem EuGH-Urteil 2016 zu den Rx-Boni und der Forderung der Apothekerschaft nach Verbot des Versandhandels für rezeptpflichtige Medikamente nicht funktioniert. »Wir sagen nicht mehr, macht was gegen die anderen, sondern macht in Zukunft etwas für uns, schließlich braucht ihr uns.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.