| Daniela Hüttemann |
| 04.10.2022 18:00 Uhr |
Die meisten Krebs-Apps fokussieren sich auf die mentale Stärkung der Betroffenen und sollen beim Umgang mit der Erkrankung helfen. Viele haben auch die Nebenwirkungen im Blick. / Foto: Adobe Stock/Enrique Micaelo
Eine der ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) bei Krebs, die ins entsprechende Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen und damit erstattungsfähig wurde, ist »Cankado Pro-React Onco«. Die App, die auch über die Anbieter-Website als webbasiertes Programm verfügbar ist, bezeichnet sich als »digitaler Therapiebegleiter« für Brustkrebspatientinnen und -patienten. Diese können täglich dokumentieren, was für Beschwerden sie haben und wie sie sich damit fühlen. Auf dieser Basis erhalten sie Verhaltensempfehlungen, ob und wie dringend sie einen Arzt aufsuchen sollen.
Die App erzeugt zudem regelmäßige Berichte für das onkologische Team, damit dieses sich besser auf die nächste Konsultation vorbereiten und auf die Patientin eingehen kann. Alle eingenommenen Medikamente können hier dokumentiert werden. Die App erinnert an die Einnahme.
Gegründet wurde die Firma Cankado mit Sitz in Köln vom Onkologen Professor Dr. Timo Schinköthe, der auch Computerwissenschaften studiert hat. Ursprünglich handelte es sich um ein Forschungsprojekt zur Verbesserung der Versorgung von Krebspatienten. Der Benefit der App wurde in der PreCycle-Studie nachgewiesen, die 2017 startete und immer noch läuft. Die Teilnehmenden mit lokal fortgeschrittenem, metastasiertem Brustkrebs unter Behandlung mit Palbociclib und Fulvestrant nutzten die App regelmäßig über zwei Jahre und konnten dank der App auf schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen proaktiv reagieren. Dadurch sank deren Inzidenz von 31,4 pro 100 Patienten auf 20,6 (DOI: 10.1200/JCO.2020.38.15_suppl.2083).
Empfohlen wird, die App mindestens für die ersten sechs Monate einer Krebstherapie zu verordnen, um Nebenwirkungen engmaschig zu dokumentieren. Eine dauerhafte Nutzung bei chronischem Verlauf ist möglich. Der Anbieter muss für eine dauerhafte Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis noch bis Mai 2023 weitere Wirksamkeitsdaten nachliefern.
Das Programm passt die weiteren Übungen an die Bedürfnisse der Patientinnen an. / Foto: Gaia AG
Im Juni beziehungsweise Juli 2022 wurden mit dem »Pink! Coach« und »Optimune« zwei weitere digitale Anwendungen bei Brustkrebs vorläufig ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Beide wollen das psychische Wohlbefinden der Betroffenen verbessern.
»Optimune« von der Hamburger Firma Gaia, die diverse DiGA im Angebot hat, kann eingesetzt werden, wenn die Erstbehandlung abgeschlossen ist, die Patientinnen sich aber immer noch belastet fühlen.
Das Programm basiert auf der kognitiven Verhaltenstherapie. Auch das Immunsystem soll durch eine gesunde Lebensweise gestärkt werden. In einer Studie wurde gezeigt, dass sich Schlaf- und Ernährungsgewohnheiten verbesserten, Ängste und depressive Symptome reduzierten und so die Lebensqualität wieder stieg.
Vermittelt werden die Lektionen in 16 Modulen über einen interaktiven Dialog mit dem Programm, das so die nachfolgenden Inhalte anpasst. Die App soll mindestens 90 Tage eingesetzt werden, und zwar möglichst ein- bis zweimal wöchentlich für jeweils mindestens eine halbe Stunde.
Der Pink! Coach fokussiert sich auf die drei Bereiche Ernährung, Bewegung und mentale Gesundheit. / Foto: Pink!
»Pink! – Aktiv gegen Brustkrebs« funktioniert ähnlich, aber deutlich umfangreicher. Die DiGA »Pink! Coach« will Patientinnen helfen, selbst aktiv gegen den Krebs zu werden. Die App motiviert zum Beispiel zu mehr Bewegung, einer gesünderen Ernährung und erinnert an kleine Pausen im Alltag. Das können die Anwenderinnen auch tracken. Durch kleine Schritte sollen so langfristige Verhaltensänderungen erreicht werde. Die App adressiere »Bewältigungsstrategien und fördere den positiven, kompetenten und souveränen Umgang mit der plötzlich veränderten Lebenssituation«, heißt es in der DiGA-Beschreibung.
Über einen Chatbot können die Patientinnen Fragen zu Beschwerden und Nebenwirkungen stellen und erhalten entsprechende Tipps und Empfehlungen. Die App hilft beim Organisieren von Dokumenten und Terminen rund um die Krebserkrankung. Zudem gibt es eine geschützte Community für den Austausch mit anderen Betroffenen. Verordnet werden kann die App vom Zeitpunkt der Diagnose bis zur letzten Nachsorge oder auch darüber hinaus, um gesund zu bleiben.
Wissen rund um Brustkrebs, auch für Angehörige, findet man in Form von Texten, Videos und Podcasts auf der zugehörigen Website, darunter auch Videos zur Ernährung und zu Nahrungsergänzungsmitteln mit dem Professor für Pharmakonutrition und Apotheker Dr. Martin Smollich. Auf der Plattform gibt es zudem ein Wirkstoff-ABC als leicht verständliches Nachschlagewerk zu den üblichen Brustkrebs-Medikamenten und einen Therapieassistenten mit Erklärungen und Tipps. Den zusätzlichen vierwöchigen psychoonkologischen Online-Kurs »Pink! Leben« erstatten zurzeit beispielsweise die TK und Hanse Merkur.
Das Angebot war eine Idee der Hamburger Gynäkologin und Brustkrebs-Spezialistin Professor Dr. Pia Wülfing während des Corona-Lockdowns. Sie sagt: »Ich habe in den Erstgesprächen immer wieder bemerkt, dass meine Patientinnen in ihrer großen Not im Internet nach haltgebenden Informationen suchen, bis im Brustzentrum ihre drängendsten Fragen beantwortet werden. Daraus ergibt sich aber wirklich oft mehr Verwirrung und Verunsicherung als Trost oder Klarheit.«
Brea will unter anderem helfen, den Alltag mit Krebs besser zu managen. / Foto: Brea Health
Mit »Brea« steht die nächste potenzielle DiGA in den Startlöchern. Auch diese App versteht sich als täglicher Begleiter für Brustkrebspatientinnen. Neben Wissensvermittlung und Tagebuchfunktion stehen die Organisation und das Selbstmanagement der Therapie sowie die Selbstfürsorge im Mittelpunkt.
Gründerin und Geschäftsführerin von Brea Health mit Sitz in Berlin ist Jessica Biastoch, die 2018 selbst an Brustkrebs erkrankte und damals noch keine passende digitale Unterstützung fand. Die App steht noch nicht zur Verfügung, da das Unternehmen zunächst eine Medizinprodukte-Zertifizierung und Medienberichten zufolge auch eine Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis anstrebt.
Bei Happie Haus geht es vor allem darum, sich etwas Gutes zu tun. / Foto: Happie Haus
Ähnlich ist die Geschichte von »Happie Haus«-Gründerin Stephanie Neumann. Auch sie hatte 2018 als Betroffene die Idee, eine App als »Ort der Hoffnung und Heilung« für Brustkrebspatientinnen zu entwickeln. Im Fokus stehen hier positives Denken und die Absicht, seinem Körper etwas Gutes zu tun.
Daher finden sich in der App neben Yoga, Sport und Meditationsübungen auch Rezepte und Tipps, zum Beispiel zu Make-up, Narbenpflege und Haaralternativen, das Ganze in Form von Texten, Tutorials, Videos und Live-Kursen. Aber auch Nebenwirkungs-Management ist ein Thema. Die Mitgliedschaft verspricht jede Woche neue Inhalte. Die Nutzung kostet 9,99 Euro pro Monat oder 20,99 Euro für das Dreimonatsabo.
Bei Mika gibt es unter anderem Themenreisen zu »Stress mindern«, »Kontrolle gewinnen« und »Deinen Weg finden«. / Foto: Mika
Die Anwendung »Mika – mein interaktiver Krebsassistent« wurde dagegen im März 2022 nach einem Jahr wieder aus dem DiGA-Verzeichnis gestrichen. Sie ist ebenfalls als Unterstützung zur Linderung psychischer und psychosomatischer Folgen nach Diagnose und Therapie von Krebs gedacht, unabhängig davon, was genau für ein Malignom vorliegt.
Laut Anbieter Fosanis konnte das Unternehmen aus Berlin aus regulatorischen Gründen Evidenz aus einer neuen Studie nicht ausreichend einbringen. Das Unternehmen versprach zeitgleich, mit stärkerer Evidenz eine permanente Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis und damit Erstattungsfähigkeit anzustreben. Bis dahin übernimmt der Anbieter selbst die Kosten für Patienten, die die App verordnet bekommen.
Auch hier liegt der Fokus auf der Dokumentation von Psyche, Symptomen und Nebenwirkungen sowie Aktivierung und Stärkung der Patienten und deren Gesundheitskompetenz und Stressbewältigung. Positive Gewohnheiten, etwa mit Blick auf Ernährung und Bewegung, werden gefördert. Dazu gibt es unter anderem Texte und Mitmach-Videos.
Fosanis kooperiert bei den Inhalten und der Erprobung mit der Charité Berlin, dem Uniklinikum Leipzig sowie dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT). Neben der App gibt es ein Online-Magazin, unter anderem mit Kochrezepten, Informationen zu Recht und Finanzen bei Krebs und Erfahrungsberichten.
Ebenfalls auf die mentale Gesundheit von allen Patienten mit Krebs zielt »Living Well« ab. Das psychoonkologische Therapieprogramm in App-Form steht seit April dieses Jahres zur Verfügung. Es soll den Nutzern das Gefühl geben, wieder die Kontrolle zu erlangen. Stress, Angst und depressive Symptome sollen reduziert werden. Die Techniker Krankenkasse bezahlt ihren Versicherten die Anwendung bereits.
Klinische Studien, die den Nutzen nachweisen, sind laut Anbieter Prosoma in Vorbereitung, um ebenfalls eine Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis zu erreichen. Studienteilnehmende erhalten einen Freischaltcode für das zwölfwöchige Programm. Das polnische Start-up will weitere digitale therapeutische Medizinprodukten für Krebspatienten entwickeln, heißt es auf dessen Homepage.