Die Indikation ist auschlaggebend |
Probiotika sollen eine gestörte Darmflora wieder ins Gleichgewicht bringen. Evidenz liegt nur für wenige Indikationen vor. / Foto: Adobe Stock/peterschreiber.media
Unter Probiotika (von lateinisch pro »für« und altgriechisch bios »Leben«) versteht man Zubereitungen, die lebende Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien oder Hefen enthalten, die gesundheitsfördernd wirken sollen. Probiotika sind sowohl als Nahrungsergänzungsmittel als auch Arzneimittel auf dem Markt verfügbar.
Zwar wird viel über Probiotika geforscht, doch ist in vielen Fällen noch unklar, welche Stämme in welcher
Dosis und auf welchem Weg verabreicht für welche Patientengruppen sicher und wirksam sind. In medizinischen Leitlinien findet man daher meist mehr »Kann«- als »Soll«-Empfehlungen. Dennoch wollen viele Menschen mit den Präparaten ihrer Gesundheit etwas Gutes tun. Was kann das Apothekenteam raten?
»Es gibt evidenzbasierte Daten, dass bei einigen Krankheiten wie Reizdarm-Syndrom, antibiotikainduzierter Diarrhö sowie einigen Subgruppen von Colitis ulcerosa, insbesondere Pouchitis, bestimmte Probiotika einen positiven Effekt haben«, sagte Privatdozent Dr. Michael Sigal, Oberarzt an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie der Charité in Berlin, gegenüber der PZ.
Die Wirkung gegen die antibiotikaassoziierte Diarrhö (AAD) bestätigt ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2019: In einer mit Probiotika behandelten Gruppe von Kindern trat bei nur 8 Prozent der Kinder eine AAD auf, in der Kontrollgruppe bei 19 Prozent. Als am besten geeignet zur Prophylaxe einer Diarrhö erwiesen sich Lactobacillus rhamnosus und Saccharomyces boulardii in einer Dosierung von 5 bis 40 Milliarden KBE pro Tag (DOI: 10.1002/14651858.CD004827.pub5).
Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2017, in dem 8672 mit Antibiotika behandelte Patienten untersucht wurden, zeigt, dass während einer Antibiotikatherapie verabreichte Probiotika das
Risiko für eine Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD) reduzieren können. Allerdings verhinderte die Gabe nicht die Infektionen mit C. difficile (DOI: 10.1002/14651858.CD006095.pub4).
In der 2018 erschienenen S3-Leitlinie zu Colitis ulcerosa kamen die Autoren zu dem Schluss, dass der apathogene Escherichia-coli-Stamm Nissle 1917 als Alternative zu 5-Aminosalizylaten in
Erwägung gezogen werden sollte. Weitere Studien seien aber erforderlich.
Möglicherweise hilfreich, schlimmstenfalls wirkungslos? Ganz so einfach ist das bei Probiotika nicht, wie Sigal erklärt: »Es gibt Hinweise, dass immunsupprimierte Patienten beziehungsweise Patienten mit schwerwiegenden Vorerkrankungen durch Probiotika mehr Schaden als Nutzen erfahren.« Er verweist beispielhaft auf eine 2008 im Fachmagazin »The Lancet« publizierte doppelblinde, placebokontrollierte Studie, die bei knapp 300 Patienten mit akuter Pankreatitis eine Übersterblichkeit in der Probiotika-Gruppe ergab (DOI: 10.1016/S0140-6736(08)60207-X). Bei schwer kranken oder abwehrgeschwächten Menschen könne Saccharomyces boulardii möglicherweise systemische Pilzinfektionen auslösen. »Zudem weisen experimentelle Daten darauf hin, dass Probiotika die Erholung der Darmflora bei einigen Patienten nach Antibiotikatherapie sogar verlangsamen«, so der Experte.
Grundsätzlich jedem sind Probiotika also nicht zu empfehlen. Die individuelle Beratung ist wichtig. Interessierten Apothekern empfiehlt Sigal das Positionspapier der American Gastroenterological Association (AGA), das die Evidenzlage zusammenfasst. Auch verweist er auf die noch nicht veröffentlichte Leitlinie zum Reizdarm-Syndrom der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), die das Thema aufgreifen wird