Die große Unbekannte im Darm |
Annette Rößler |
28.07.2025 12:00 Uhr |
Viele Menschen haben Kolondivertikel, ohne es zu merken. Wenn eine Divertikelkrankheit Beschwerden macht, sind dies typischerweise Schmerzen im Unterbauch. / © Adobe Stock/ pikselstock
Eine »überraschend häufige Erkrankung, von der Sie vermutlich noch nie gehört haben« nannte Dr. Sophie Davies von der Cardiff Metropolitan University in einem jüngst erschienenen Beitrag auf der Nachrichtenseite »The Conversation« die Divertikelkrankheit. Dabei gilt es, zwischen Divertikulose, Divertikelkrankheit und Divertikulitis zu unterscheiden. Eine Divertikulose liegt vor, wenn Dickdarmdivertikel vorhanden sind. Von einer Divertikelkrankheit spricht man, wenn die Divertikel Beschwerden machen. Und bei einer Divertikulitis sind die Divertikel entzündet.
Kolondivertikel bilden sich meist im Bereich von Blutgefäßen, die durch die Darmwand führen. Laut S3-Leitlinie »Divertikelkrankheit/Divertikulitis« ist ein Divertikel eine erworbene Ausstülpung der Mukosa und Submukosa, die die Darmwand durchdringt. Reicht die Ausstülpung nur bis in die Muskelschicht der Darmwand hinein, spricht man von einem Pseudodivertikel. Interessanterweise bilden sich Divertikel bei Menschen aus westlichen Ländern überwiegend im linksseitigen Kolon, während bei der asiatischen Bevölkerung vorzugsweise das rechtsseitige Kolon betroffen ist.
Divertikel entstehen bevorzugt im Kolon, weil dort der Druck des Stuhls auf die Darmwand am größten ist. / © Getty Images/selvanegra
Im höheren Lebensalter wird die Divertikulose immer häufiger: Während in der Altersgruppe unter 50 Jahren circa 13 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, steigt die geschätzte Prävalenz auf 30 Prozent im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, 50 Prozent zwischen 70 und 85 Jahren sowie 66 Prozent bei Menschen, die älter sind als 85 Jahre. Neben dem Alter gibt es verschiedene weitere Risikofaktoren, die teilweise beeinflussbar sind (Kasten).
Es gibt eine genetische Veranlagung für die Bildung von Kolondivertikeln, wobei die Divertikulose als polygene Erkrankung gesehen wird. Laut Leitlinie wird der Einfluss der genetischen Faktoren für die Entstehung der Divertikelkrankheit auf 40 Prozent gegenüber 60 Prozent für Umweltfaktoren geschätzt. Neben der genetischen Ausstattung zählen ein schwaches Bindegewebe und gestörte Darmbewegungen zu den nicht beeinflussbaren Risikofaktoren. Beeinflussbar sind dagegen:
Wie groß der Einfluss einer gesunden Lebensweise auf das Divertikulitisrisiko ist, zeigt eine Studie, deren Ergebnisse gerade erst im Fachjournal »Gut« veröffentlicht wurden. Das Autorenteam um Dr. Wenjie Ma von der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, konnte anhand mehrerer Beobachtungsstudien mit insgesamt mehr als 246.000 Teilnehmenden und einer Beobachtungsdauer von 20 Jahren nachweisen, dass Personen, die nicht rauchen, normalgewichtig sind, sich viel bewegen, ballaststoffreich ernähren und kein rotes Fleisch essen, ein 50 Prozent geringeres Divertikulitisrisiko haben als Personen, die in allen diesen Lebensstilfaktoren ungünstige Werte aufweisen. Dabei glichen Topwerte im Bereich Lebensstil die Risikoerhöhung durch eine vorhandene genetische Veranlagung komplett aus.
In den allermeisten Fällen bleibt eine Divertikulose klinisch unauffällig: Laut Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) entwickelt lediglich 1 Prozent der Betroffenen innerhalb von zehn Jahren eine Divertikulitis. Sie ist die häufigste Form der Divertikelkrankheit; das heißt, eine Entzündung ist die häufigste Komplikation bei vorhandenen Divertikeln. Die zweithäufigste Komplikation ist die Divertikelblutung.
Divertikel können sich besonders leicht entzünden, weil durch die Aussackung Blutgefäße abgeklemmt werden können, sodass die Schleimhaut innerhalb des Divertikels nicht mehr so gut durchblutet wird. Außerdem kann Kot im Divertikel verbleiben und sich ein Kotstein bilden, der dann den Divertikelrand mechanisch reizen kann. Ausgehend von einem Divertikel kann die Entzündung auf die Darmwand übergreifen und schwere Komplikationen wie die Bildung von Abszessen und/oder Fisteln oder eine Darmperforation auslösen.
Symptome einer Divertikelkrankheit sind Schmerzen im Unterbauch (meistens links), Blähungen, Verstopfung oder Durchfall. Die Beschwerden können von Dauer sein oder auch kommen und gehen. Häufig sind sie nach dem Essen stärker und nach dem Stuhlgang schwächer. Bei einer akuten Divertikulitis kommt es zu plötzlich auftretenden, dumpfen Unterbauchschmerzen und leichtem Fieber. Druck auf den Bauch löst eine Abwehrspannung aus; beim plötzlichen Loslassen verstärkt sich der Schmerz.
Eine akute Divertikulitis gilt als kompliziert, wenn eine Darmperforation, eine Fistel und/oder ein Abszess vorliegen. Dies ist jedoch nur bei einem von fünf Patienten der Fall; in 80 Prozent der Fälle handelt es sich um eine unkomplizierte akute Divertikulitis. Sie muss nicht zwingend mit einem Antibiotikum behandelt werden und auch vorübergehende Einschränkungen bei der Ernährung sind für solche Patienten nicht notwendig. In 95 Prozent der Fälle heilt eine akute unkomplizierte Divertikulitis innerhalb einer Woche aus.
Um einer Divertikulitis vorzubeugen, wird eine ballaststoffreiche Ernährung empfohlen. / © Getty Images/Peter Cade
Dagegen müssen Patienten mit akuter komplizierter Divertikulitis stationär behandelt werden und ein Antibiotikum erhalten, wobei das nicht resorbierbare »Darm-Antibiotikum« Rifaximin nicht empfohlen wird. Teilweise wird den Patienten zusätzlich für einige Tage eine leichte, ballaststoffarme Schonkost verordnet. Gegen die Schmerzen sollten keine nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) verwendet werden. Wegen mangelnder Wirksamkeitsnachweise rät die Leitlinie von der Gabe eines Probiotikums ebenfalls ab, auch bei unkompliziertem Verlauf und zur Sekundärprophylaxe.
Kommt es trotz konservativer Therapie zu Komplikationen oder häufig wiederkehrenden akuten Entzündungsepisoden, kann der betroffene Darmabschnitt operativ entfernt werden. Eine solche OP ist allerdings nur selten notwendig.