»Die eine Epilepsie des Kindesalters gibt es nicht« |
| Brigitte M. Gensthaler |
| 31.03.2023 12:30 Uhr |
Epilepsien bei Kindern sind sehr vielgestaltig. Die Diagnose entscheidet mit über die Therapie. / Foto: Adobe Stock/Satjawat
»Die eine Epilepsie des Kindesalters gibt es nicht; es ist vielmehr eine sehr breite Palette an Erkrankungen«, berichtete Dr. Friederike Wilbert von der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinik Freiburg, kürzlich beim Schwarzwälder Frühjahrskongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. »Ziel der Therapie ist die Anfallsfreiheit oder zumindest -reduktion.«
Am häufigsten sei die medikamentöse Therapie, für die mehr als 20 Arzneistoffe in Deutschland zugelassen sind. Man spricht heute von »anfallssupprimierender Medikation« (ASM), die Anfälle verhindern soll. Neue Ansätze eröffne die Disease-modifying Epilepsy Medication (DMEM), zum Beispiel mit Antisense-Oligonukleotiden oder AAV-9-basierter Gentherapie, die im Dravet-Mausmodell bereits erfolgreich war, informierte die Neuropädiaterin.
Diagnose und Therapie von Epilepsien im Kindesalter seien herausfordernd. So könne sich im Kindesalter sowohl eine lebenslange Epilepsie als auch eine altersgebundene selbstlimitierende Form manifestieren.
Zu den selbstlimitierenden Formen gehört die Rolando-Epilepsie. Die fokalen, bewusst erlebten Anfälle mit motorischen und sensorischen Anzeichen treten im Wachen und im Schlaf auf und manifestieren sich oft um das siebte Lebensjahr herum. Oft kommen Verhaltensauffälligkeiten, Störungen der Sprache und der Exekutivfunktionen hinzu. Soll man behandeln oder nicht? »Etwa 20 Prozent der Kinder erleben nur einen Anfall; zudem sind die Anfälle teilweise schwer unterdrückbar und Komorbiditäten kaum zu verhindern«, sagte die Ärztin. In Deutschland werden beispielsweise Sultiam, Levetiracetam, Clobazam und Valproat eingesetzt.
Wie sieht es mit Generika aus? »Ist das Kind unter einem Medikament anfallsfrei, müssen wir alles daransetzen, bei diesem Präparat zu bleiben«, unterstrich Wilbert. In Zeiten von Lieferschwierigkeiten könne man bei nicht anfallsfreien Patienten diskutieren, ob ein Präparatewechsel vertretbar – aber nicht erwünscht – sei.
Eine Multisystemerkrankung mit genetisch bedingter struktureller Epilepsie ist die Tuberöse Sklerose, bei der Mutationen im TSC1- und TSC2-Gen zu reduzierter Hemmung von mTOR führen. Diese Form mit fokalen Anfällen und/oder epileptischen Spasmen sei häufig pharmakotherapierefraktär. Wird mit Vigabatrin als Erstlinientherapie keine Verbesserung und Anfallsunterdrückung erzielt, kann eine Cortison-Stoßtherapie ergänzt werden. Weitere Optionen sind Everolimus als mTOR-Inhibitor, Cannabidiol und eine ketogene Diät. Mitunter seien epilepsiechirurgische Eingriffe eine Option.
Liegt der Epilepsie eine monogenetisch bedingte GLUT1-Defizienz (Glucose-Transporter-1-Defizienz) zugrunde, sei die ketogene Diät (KD), eine extreme Low-Carb-Diät, in Kombination mit ASM die Therapie der Wahl, informierte die Ärztin. Die KD sei bei vielen Epilepsien eine Option, zum Beispiel beim Lennox-Gastaut-Syndrom, einer Gruppe von Epilepsien ohne gemeinsame Ätiologie und mit verschiedenen pharmakorefraktären Anfallstypen.
Ketone bieten eine alternative Energiezufuhr für das Gehirn. Wilbert beschrieb verschiedene Formen der KD, die immer eine deutliche Einschränkung für die Familie bedeutet und eine ausführliche Schulung erfordert. Der Mechanismus sei noch nicht ganz geklärt, aber die Azidose solle Nervenzellen beeinflussen, weniger häufig epileptische Anfälle zu generieren. »Die ketogene Diät ist keine kurative Therapie«, stellte sie klar. Es sei eine »ganz einseitige Ernährung« mit wenig Vitaminen und Spurenelementen und Risiken für Nierensteine und Hypoglykämien. Diese Therapie erfordere regelmäßige Kontrollen und eine umfangreiche Labordiagnostik.