Die CDU und das 20-Minuten-Versprechen |
Cornelia Dölger |
27.08.2024 16:20 Uhr |
Am 1. September werden die Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen an die Wahlurnen gerufen. / Foto: IMAGO/IlluPics
Am Sonntag richten sich die Blicke nach Thüringen und Sachsen: In den beiden Bundesländern werden am 1. September neue Landtage gewählt – und das könnte eine politische Zäsur bedeuten. Denn wenn die Wahlergebnisse den aktuellen Umfragen auch nur ansatzweise ähneln, wird die AfD – die in beiden Ländern als gesichert rechtextremistisch gilt – deutlich die Nase vorn haben.
Tausende Menschen in Sachsen, Thüringen und anderen Bundesländern haben daher zuletzt verstärkt gegen Rechtsextremismus protestiert und sind für eine starke Demokratie auf die Straße gegangen; das Schreckensbild eines AfD-Ministerpräsidenten Björn Höcke dürfte auch Nicht-Thüringer zum Protest angespornt haben, auch wenn Höckes Chancen überschaubar sind, weil ihm die Koalitionspartner fehlen werden.
Und noch mehr Umwälzungen könnten die Parteienverhältnisse in den Landtagen erfassen: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), erst im Januar in Chemnitz gegründet, rangiert weit vorne, hat bereits bei der Europawahl im Juni aus dem Stand mehr als 6 Prozent geholt.
In Thüringen, wo derzeit die Linken in einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung regieren, kämpft das Bündnis laut Umfragen mit der CDU um Platz zwei nach der AfD, könnte demnach entscheidend für zukünftige Koalitionen sein. Abgeschlagen sind hingegen in beiden Ländern die Ampelparteien, auch die Linke hat dramatisch an Boden verloren, in Sachsen muss sie um den Wiedereinzug in den Landtag fürchten.
Grund genug also, sich anzuschauen, welche Ideen die Parteien mitbringen. Im Wahlkampf bewegen auch bundespolitische Themen die Menschen, etwa Asyl und Migration oder Ukrainekrieg, landespolitisch geht es etwa um Überalterung und Abwanderung.
Beides spielt auch für die Gesundheitsversorgung eine Rolle, weshalb die Parteien in beiden Bundesländern sich dazu in ihren Wahlprogrammen äußern. So postuliert die Linke in Thüringen: »Moderne Gesundheitspolitik muss auf den demografischen Wandel reagieren.«
Mit einem »Bündel an Maßnahmen« will sie aktiv werden, um die Gesundheitsversorgung zu stabilisieren, darunter die Niederlassungsförderung für (Zahn-)Medizinerinnen und -mediziner sowie für Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. Diese können demnach eine finanzielle Förderung bei einer Praxis-/Apothekengründung oder -übernahme bekommen; 2023 sei der Betrag bereits auf 40.000 Euro erhöht worden, schreibt die Linke.
Mit einem Versorgungsversprechen tritt die Thüringer CDU in ihrem »Thüringen-Plan« auf. Binnen 20 Minuten sollten Arztpraxen und Apotheken erreichbar sein, das sei Teil »unseres 20-Minuten-Versprechens«. Konkret heißt es: »Der Hausarzt muss die erste Anlaufstelle bleiben. Ebenso wie der Kinder-, Frauen- und Zahnarzt und die Apotheke darf er nicht länger als 20 Minuten entfernt sein.«
Die CDU will zudem die Studienabgänger zum Bleiben bewegen. Dazu soll das Land 20 Prozent der verfügbaren Studienplätze an Bewerber vergeben, die sich zu einer Niederlassung als Haus-, Frauen-, Kinder- oder Zahnarzt oder als Apotheker in unterversorgten Gebieten in Thüringen entschließen.
Die Eignung als Landarzt oder -apotheker sei dabei entscheidend, weniger der Notendurchschnitt, schreibt die CDU, ohne konkreter zu werden. Zudem sollten die Niederlassung von Ärzten und Apothekern unterstützt und die Kapazitäten bei Ausbildung und Studium in den Gesundheitsberufen erhöht werden.
Für ein gemeinsames Medikationsmanagement von Ärzten und Apothekern will die CDU zudem die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) »flächendeckend ausrollen«, dessen Laufzeit im Juni 2022 nach acht Jahren ausgeschöpft war. Bislang gibt es noch keine Anschlussvereinbarung, allerdings wirbt etwa auch der Thüringer Landesapothekerverband dafür, das Projekt bundesweit möglich zu machen.
Auch die SPD Thüringen will die Niederlassung von Ärzten und Apothekern auf dem Land weiter fördern. »Die flächendeckende Versorgung durch Apotheken ist für uns ein zentrales politisches Anliegen«, heißt es. »Wir werden die pharmazeutische Ausbildung in Thüringen stärken und Anreize für eine Niederlassung in unterversorgten Regionen schaffen.« Der geplante Neubau des Instituts für Pharmazie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena werde unterstützt.
Ebenso wollen die Thüringer Grünen den Apotheken helfen. Mit »gezielten Maßnahmen« solle vor allem für den Erhalt der Landoffizinen gekämpft werden, schreiben sie, etwa mit Fachkräfteoffensiven. Außerdem sollen Gesundheitskioske, Gemeindeschwestern und telemedizinische Angebote die Versorgung in ländlichen, unterversorgten Regionen ergänzen.
Am ausführlichsten widmen sich die Liberalen den Gesundheitsthemen. In ihrem 85 Seiten starken Wahlprogramm »Für Thüringen« geht es ebenfalls um Niederlassungsförderung und eine Fachkräfteoffensive. Apotheken stellten mit anderen Leistungserbringern das Rückgrat der Versorgung dar. Um die wohnortnahe pharmazeutische Versorgung thüringenweit zu erhalten, dürfe das heilberuflich getragene Apothekennetz weder ausgehöhlt noch zurückgebaut werden.
»Allgemein stellt die Vergütung von Beratungs- und Versorgungsleistungen das zentrale Element dar, um die Niederlassung wieder attraktiver zu machen. Wir wollen uns daher auf Bundesebene für eine Weiterentwicklung der Vergütungs- und Leistungselemente von Apothekern einsetzen.« Dafür sei zentral, das Fixum auf ein »wieder auskömmliches Niveau anzuheben und anschließend zu dynamisieren sowie die pharmazeutischen Dienstleistungen angemessen zu vergüten«. Letztere sollen zudem weiterentwickelt werden.
Bei der Übernahme und Weiterführung einer Apotheke solle zudem der Nachfolger Anspruch auf den Bestandsschutz des Vorgängers erhalten, so die FDP. Und weiter: »Auch treten wir auf Bundesebene gegen die Einführung von Scheinapotheken und Übertragung pharmazeutischer Aufgaben auf Parallelstrukturen ein, um die Arzneimittelversorgung und -sicherheit nicht zu gefährden.«
Assistierte Telemedizin in Apotheken, wie im Digitalgesetz vorgesehen, solle ähnlich wie im Nachbarland Frankreich etwa mit Telemedizinkabinen umgesetzt werden. Modellprojekte zur Telemedizin sollen gefördert werden, um assistierte Telemedizin in Apotheken »bestmöglich zu nutzen«. Für die Erstausstattung von Praxen und Apotheken mit telemedizinischer Infrastruktur soll es eine Förderung geben.
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, will die FDP ebenfalls die Studienkapazitäten in den Gesundheitsberufen ausbauen. Dafür möge der Ausbau der Zahnklinik und der Pharmazie am Uniklinikum Jena möglichst bald erfolgen. Um sofort mehr Studienplätze zu schaffen, sollten die Studienkapazitäten privater oder europäischer Hochschulen bis zum Abschluss des Ausbaus genutzt werden.
Die Studiengebühren für das Medizin-, Pharmazie-oder Zahnmedizinstudium sollen demnach für die Dauer der Regelstudienzeit durch Landesmittel bezahlt werden – allerdings nur den Studierenden, die sich dazu verpflichten, die Praxisbestandteile der Studiengänge und der Weiterbildungen in Thüringen zu absolvieren sowie sich anschließend für fünf Jahre in Thüringen niederzulassen.
Unter der Kapitelüberschrift »Für ein leistungsfähiges Gesundheitssystem« betont die AfD die Bedeutung der wohnortnahen Versorgung, nennt Apotheken aber nicht explizit. Die Partei möchte unter anderem die Zahl der Medizinstudienplätze erhöhen. Befremdliches Detail: An der Uni Jena sollen laut Programm Studienplätze »speziell für Landeskinder« vorgehalten werden.
In Sachsen hat die CDU sich vorgenommen: »Wir werden die flächendeckende Versorgung durch Vor-Ort-Apotheken sichern.« Pharmazeutische Dienstleistungen und das Impfen durch die Vor-Ort Apotheken sollen ausgebaut werden, außerdem will die CDU die Pharmazieausbildung in Leipzig ausbauen und die Zahl der Studienplätze für Humanmedizin, Zahnmedizin sowie Pharmazie erhöhen. Es soll eine Quote unter anderem für Apotheker geben – wo und wie genau, verrät die CDU nicht. Die Arzneimittelproduktion in Mitteldeutschland will sie vorantreiben, dafür werde eine gemeinsame Strategie mit Sachsen-Anhalt und Thüringen erarbeitet.
Für eine gute Gesundheitsversorgung sieht die sächsische FDP die Apotheken im Zusammenspiel mit anderen Leistungserbringern im Fokus. Die inhabergeführten, öffentlichen Apotheken seien »die zentralen Garanten für die Sicherstellung der wohnortnahen pharmazeutischen Versorgung der Patienten«.
Die Beratungs- und Versorgungsleistung der Apotheken müsse besser honoriert werden, dafür setze sich die FDP auf Bundesebene ein. Wettbewerb müsse »fair und europarechtskonform« stattfinden. Das Fremdbesitzverbot müsse unbedingt erhalten bleiben.
Die Rolle der Apothekerinnen und Apotheker wollen die Grünen in Sachsen aufwerten. Sie sollen demnach stärker in die Versorgung von Patientinnen und Patienten eingebunden werden, etwa durch eine Ausweitung der pharmazeutischen Dienstleistungen. Apotheken sollten zudem neue Kompetenzen bekommen, heißt es allgemein.
Die SPD Sachsen äußert sich in ihrem Programm nicht zu Apotheken, erwähnt aber, dass es ihr darum gehe, den akademischen Nachwuchs auch im Bereich Pharmazie ins Land zu holen.
Telemedizinische Ambulanzen, die etwa an Apotheken angegliedert sind, stellt sich die AfD vor. Dort soll demnach geschultes nichtärztliches Personal medizinisch-technische Unterstützung bei Video-Sprechstunden leisten, was in Modellvorhaben erprobt werden solle.
Ärzte, Zahnärzte und Apotheker seien das Rückgrat der Versorgung – allerdings müsse auch über alternative Versorgungsangebote und Behandlungsstrukturen nachgedacht werden, etwa lokale medizinische Versorgungszentren (MVZ), die allerdings nicht investorenbetrieben sein dürften.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) thematisiert insbesondere die Versorgungssicherheit und die Bekämpfung von Lieferengpässen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, schlägt das BSW eine verstärkte Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe sowie des ambulanten und stationären Bereichs vor. Apotheken werden nicht explizit genannt.
Die Freien Wähler in Sachsen wollen Apotheken finanzielle Anreize setzen, um auf dem Land »zumindest mobile Angebote« zur Verfügung zu stellen. Zudem sollen Apotheken erweiterte Versorgungsangebote machen dürfen, welche genau, beschreiben die Freien Wähler nicht.