»Die Apothekerschaft muss lauter werden« |
Was hat ARMIN den Patienten gebracht? Dies erläuterte Dr. Christiane Eickhoff (am Rednerpult) beim Themenforum. / Foto: PZ/Alois Müller
Wenn Ärzte- und Apothekerschaft zusammenarbeiten, lässt sich die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) steigern. Mit diesem gemeinsamen Ziel der Berufsgruppen war 2014 das Modellvorhaben Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) gestartet. Das Gemeinschaftsprojekt der Landesapothekerverbände Sachsen und Thüringen, der Kassenärztlichen Vereinigungen in Sachsen und Thüringen sowie der Krankenkasse AOK Plus lief im vergangenen Jahr aus. Was aus den Erfahrungen mit ARMIN für die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) gelernt werden kann, war Thema eines Forums beim Deutschen Apothekertag.
Dr. Christiane Eickhoff vom Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA, die an der konzeptionellen Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von ARMIN beteiligt war, stellte in einem Impulsvortrag einige Ergebnisse der Auswertung vor. »ARMIN hatte nachweislich einen großen Nutzen für die Patienten.« Patienten aus der ARMIN-Gruppe hatten eine um 16 Prozent verringerte Sterblichkeit gegenüber einer Kontrollgruppe. Auch die Adhärenz war deutlich besser. »Spontan konnte aber die Hälfte der Patienten auf Nachfrage keinen Nutzen der Interventionen nennen«, sagte Eickhoff.
PZ-Redakteurin Daniela Hüttemann moderierte das Themenforum zu ARMIN. / Foto: PZ/Alois Müller
Warum ist das so? Ein Grund: Die Erwartungen der Patienten, zum Beispiel Überprüfung der Medikation, mehr Wissen und Reduktion der einzunehmenden Arzneimittel, wurden subjektiv nicht erfüllt. »In deutlicher Diskrepanz dazu stehen die Verbesserungen in der Arzneimitteltherapie, die objektiv für die Patienten erreicht wurden«, sagte Eickhoff. »Der Nutzen bleibt oft unklar; diesen müssen wir besser kommunizieren.«
Dies griff in der Diskussionsrunde unter Leitung von PZ-Redakteurin Daniela Hüttemann auch Susanne Donner, ARMIN-Apothekerin und stellvertretende Vorsitzende des Sächsischen Apothekerverbands, auf. »Wir waren zu leise.« Dies sei typisch für den Berufsstand. Bei ARMIN habe man den Nutzen nicht genug betont, bei den pDL müsse man jetzt den Mehrwert besser herausstellen. »Da kommunizieren wir schon ganz anders mit den Patientinnen und Patienten«, so die Apothekeninhaberin aus Dippoldiswalde.
Claudia Sehmisch, Apothekeninhaberin aus Leipzig und Vorstandsmitglied der Sächsischen Landesapothekerkammer, berichtete, dass die Arbeit im ARMIN-Projekt sie und ihre Mitarbeiter für die pDL optimal vorbereitet hätte. »Wir konnten nahtlos übergehen, denn wir waren schon eingespielt.« Die Motivation im Team sei insgesamt gestiegen und die Approbierten spornten sich gegenseitig an.
Dass das Angebot der pDL Teamwork ist, verdeutlichten Dr. Katja Renner, angestellte Apothekerin aus Heinsberg, und Isabel Otten, die in derselben Apotheke als PTA arbeitet. Sie spreche Patienten für die Dienstleistungen an und erkläre deren Nutzen, berichtete die PTA. Renner führe dann beispielsweise die Medikationsanalyse durch. Zwei Tipps: Wirtschaftlich sei es sinnvoll, mehrere pDL miteinander zu kombinieren, und außerdem sollten die notwendigen Dokumente jederzeit griffbereit am HV-Tisch liegen.
Scheu vor Rückfragen bei den Ärzten seien kein Grund, auf pDL zu verzichten, betonte Donner. Viele arzneimittelbezogene Probleme (ABP), die bei Medikationsanalysen identifiziert werden, könnten in der Apotheke gelöst werden, zum Beispiel Anwendungs- oder Adhärenzprobleme. Insgesamt wünsche sie sich aber für die Zukunft, dass – entsprechend dem »Goldstandard ARMIN« – die Ärzteschaft mit ins Boot geholt werde, um gemeinsam an der AMTS zu arbeiten.
Wie die beiden Heilberufsgruppen das ARMIN-Projekt bewerten, wurde im zweiten Teil des Themenforums besprochen: Gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen sowie eine klare Rollenverteilung seien die Erfolgsfaktoren des Projekts aus Sicht der beteiligten Ärzte und Apotheker.
Als Hauptgrund für die Teilnahme an dem Modellprojekt hätten die meisten Heilberufler in einer Befragung angegeben, mehr AMTS für die Patienten und eine bessere interprofessionelle Zusammenarbeit erreichen zu wollen, berichtete Dr. Uta Müller von der ABDA im Impulsreferat. »Alle haben profitiert!«
Beide Berufsgruppen hätten hohes Vertrauen in die Fachkenntnis des anderen Heilberufs, sagte die Apothekerin, die das Projekt wissenschaftlich über Jahre hinweg begleitete. Ein Herzstück des Medikationsmanagements sei die klare Aufgabenverteilung: So wurden pharmazeutische und medizinische Aspekte der AMTS-Prüfung voneinander abgegrenzt.
»Alle Teilnehmer stimmten zu, dass die Zusammenarbeit der Heilberufler für die Qualität von Medikationsplänen sehr wichtig sei«, so Müller. Tatsächlich war die Zahl der Interventionen vor allem in den ersten Monaten sehr hoch: Nur bei 8 Prozent der Patienten habe die Apotheke keine ABP gefunden. »Acht von zehn ABP wurden direkt durch die pharmazeutische Intervention gelöst. Nur bei 20 Prozent war eine Intervention des Arztes nötig.« Noch ein positives Ergebnis: Aufwand und Nutzen schätzten beide Berufsgruppen als ausgewogen ein und beide sahen einen Zusatznutzen durch die Verbesserung der AMTS.
Müller zog ein überaus positives Fazit: »Alle Befragten wollen das ARMIN-Medikationsmanagement weiterhin anbieten und wünschen sich, dass möglichst alle Krankenkassen mitmachen.« Ebenfalls wichtig mit Blick auf die pDL: 80 Prozent der Apotheker schätzten, dass die meisten ihrer Patienten eine dauerhafte Betreuung brauchen.
In der Diskussionsrunde unterstrichen Ärzte und Apotheker die positiven Ergebnisse. Dr. Annette Rommel, niedergelassene Allgemeinmedizinerin und erste Vorsitzende der KV Thüringen und digital zugeschaltet, berichtete von ihrer Begeisterung für das ARMIN-Projekt. »Die gute Zusammenarbeit mit meiner Apotheke hat sich noch verbessert.«
Nach Ende des Modellprojekts seien Ärzte und Apotheker bei der Politik vorstellig geworden und hätten die Studie gemeinsam im Gesundheitsausschuss vorgestellt, um das Modellprojekt in die Regelversorgung zu überführen. »Doch dafür fehlt leider die rechtliche Grundlage.«
Teil 2 des Themenforums: Was brachte ARMIN für die Heilberufler? / Foto: PZ/Alois Müller
Auch für Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der AMK und Mitinitiator des Projekts, ist die interprofessionelle Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg. Im Gesundheitsausschuss hätten alle Parteien das ARMIN-Projekt begrüßt. »Dieser Evidenz kann sich keiner verschließen, auch nicht Minister Karl Lauterbach.«
»Wir müssen dranbleiben«, unterstrich Stefan Fink, Inhaber der Classic-Apotheke in Weimar und Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands des DAV. »ARMIN war eine Win-win-Situation. Wir müssen weiter zusammenarbeiten, Rücksicht nehmen und Vertrauen schaffen.« Mit den pDL hätten die Apotheker immerhin schon den Baustein der Medikationsanalyse in der Hand. »Mit ARMIN waren wir der Zeit voraus«, so Fink.
Franziska Scharpf, Mitinhaberin der Scharpf-Apotheken in Sonthofen und zweite Vizepräsidentin der Bayerischen Landesapothekerkammer, sieht die Apotheker auf gutem Weg. Hochrisikopatienten bräuchten eine sehr intensive Betreuung. »Habt den Mut und das Selbstbewusstsein, die pDL anzubieten. Das sind alles Win-win-win-Situationen für eine super Versorgung.«
Auch wenn manche Ärzte »komische Vorbehalte« gegen pDL hätten: Rommel ist überzeugt, dass diese abgebaut werden können. »Wir müssen miteinander reden und gemeinsam auftreten – gerade jetzt, da das ambulante Gesundheitswesen durch Lauterbachs Strukturreformpläne strukturell bedroht ist.«