Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.05.2024 13:30 Uhr |
Professor Dr. Jochen Maas von der Technischen Hochschule Mittelhessen denkt, dass mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen für die Pharmaindustrie die Zukunftsperspektiven für Deutschland verbessert werden können. / Foto: PZ/Alois Müller
Mitte des 18. Jahrhunderts habe sich in Deutschland die Pharmaindustrie auf zwei Schienen entwickelt: zum einen aus Apotheken, die sich industrialisierten, zum anderen aus der Steinkohleteer- und Farbindustrie, berichtete Maas. Zwischen 1900 und 1910 gingen vier Medizin-Nobelpreise an deutsche Forscher. »Das war die Hochzeit«, sagte der Biologe und Tierarzt. »Zu der Zeit war Deutschland die Apotheke der Welt.« In den beiden Weltkriegen habe die Pharmaindustrie dann Exportmärkte verloren und sich selbst ins moralische Abseits manövriert. Nach dem Zweiten Weltkrieg erholte sich die Wirtschaft und es entstand mit der Höchst AG das größte Pharmaunternehmen der Welt.
Doch Globalisierung, ein starker Kostendruck im Gesundheitssystem und überbordende Bürokratie machten der Pharmaindustrie danach zunehmend zu schaffen. »Weltweit gibt es nur noch einen Pharmamarkt, der wächst – nämlich der US-amerikanische, der ohnehin bereits der größte der Welt ist«, sagte Maas. Forschung, Entwicklung und Firmengründungen fänden vor allem dort statt.
Der Referent betonte, dass Arzneimittel heute fast immer global und nicht national entwickelt würden, wobei auch eine globale Zulassung angestrebt werde. Die Standorte internationaler Unternehmen stünden dabei in Konkurrenz zueinander. Die Entscheidungen für Standorte richteten sich nach der Größe der Märkte und den politischen Rahmenbedingungen.
Bei Letzteren stehe Deutschland nicht gut da, sagte Maas. Er beklagte unter anderem das komplizierte Forschungsförderungssystem, mangelnde Technologieoffenheit, hohen Bürokratieaufwand, Nachholbedarf in der Digitalisierung und gedeckelte Marktpreise für Medikamente. Sein Fazit: »Wir verlieren zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit.«
Als Folge gehe die Zahl an deutschen und europäischen Unternehmen in der Gesundheitsbranche leicht zurück, während sie in China und USA ansteige. Deutschland habe zwar noch eine ungeheure Forschungsintensität im Pharmabereich und sei immer noch Exportweltmeister, aber nicht mehr Produktionsweltmeister, berichtete der Referent.
Bei der Kapazität biotechnologischer Produktionsanlagen befinde sich Deutschland auf Platz 5 und bei der Durchführung von klinischen Studien sei Deutschland auf Platz 7 abgerutscht. In Europa insgesamt fließe deutlich weniger Geld in Forschung und Entwicklung als in den USA. »Die finanziellen Aufwendungen für Pharmaforschung in den USA liegen viermal höher als die kombinierten Aufwendungen der EU-Mitgliedsstaaten.« Inzwischen stammten etwa 50 Prozent der neuen Arzneimittel aus den USA und nur 22 Prozent aus Europa.