Deutschland auf extreme Hitzewellen schlecht vorbereitet |
Christina Hohmann-Jeddi |
01.07.2025 15:30 Uhr |
Ältere Menschen sind bei extremen Hitzeereignissen besonders gefährdet. / © Getty Images/Yaraslau Saulevich
»Wenn keine ausreichenden Vorbereitungen getroffen werden, können in extremen Hitzefällen Zehntausende Todesfälle binnen weniger Tage die Folge sein – und die wären zu vermeiden«, warnt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), Professor Dr. Markus Gosch, heute in einer Mitteilung. Er bezieht sich mit dieser Aussage auf einen Bericht der DGG, der am 27. Juni in der »Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie« veröffentlicht wurde und grundlegende Versäumnisse im deutschen Katastrophenschutz dokumentiert.
Demnach hätten andere Länder bereits schwere Hitzewellen erlebt – etwa Kanada, wo 2021 im Raum Vancouver fast zwei Wochen lang Temperaturen bis zu 49 °C gemessen wurden mit erheblichen Konsequenzen für die Natur, für vulnerable Personengruppen und die Tierwelt. »Während andere Länder bereits katastrophale Hitzewellen erlebt haben – und das sind längst nicht mehr nur die Länder im Süden Europas –, fehlen in Deutschland grundlegende Vorbereitungen für solche Extremereignisse«, sagt Professor Dr. Clemens Becker, Leiter der Unit Digitale Geriatrie am Universitätsklinikum Heidelberg und Erstautor der Publikation.
Besonders gefährdet durch Hitze seien ältere Menschen, betonen die Geriater. Die Datenanalyse zeigt, dass hitzebedingte Todesfälle mit zunehmendem Alter drastisch ansteigen. Die Ursachen für die erhöhte Empfindlichkeit im Alter sind eine eingeschränkte Temperaturregulation, vermindertes Durstempfinden, häufige Vorerkrankungen (Herz-Kreislauf-System, Niere), Medikamenteninteraktionen bei Hitze, eingeschränkte Mobilität und kognitive Einschränkungen. Auch Menschen mit chronischen Erkrankungen, Schwangere, Kleinkinder, Obdachlose oder im Freien Beschäftigte zählen der DGG zufolge zu den Risikogruppen.
Das Problem: In Deutschland gelten extreme Hitzeereignisse bislang nicht als Naturkatastrophen – das erschwert präventive Maßnahmen. »Die meisten Regionen in Deutschland sind auf Extremhitze nicht vorbereitet«, so Becker. Nur 25 von mehreren Tausend Kommunen verfügen dem Bericht zufolge derzeit über Hitzeaktionspläne – und die beinhalten oft keine Szenarien für Extremereignisse wie einen Hitzedom (siehe Kasten).
Ein Hitzedom ist ein meteorologisches Phänomen, bei dem ein starkes Hochdruckgebiet eine Art Kuppel (Englisch: Dome) in der Atmosphäre bildet, die heiße Luft über einem bestimmten Gebiet einschließt. Diese eingeschlossene Luft kann nicht entweichen und führt zu extrem hohen Temperaturen und oft auch zu Trockenheit. Die Dauer eines Hitzedoms ist abhängig von verschiedenen Faktoren wie der Stärke des Hochdruckgebietes, der geografischen Lage und der vorherrschenden Wetterlage. So können über wenige Tage bis mehrere Wochen extreme Temperaturen entstehen.
Die DGG fordert nun ein Umdenken – weg von reaktiver Krisenbewältigung hin zu präventiver Katastrophenvorsorge. Hitzeereignisse bedürften der mehrmonatigen, eher sogar mehrjährigen Vorbereitung. »Ein Hitzedom ohne Vorbereitung kann zu mehreren Zehntausend Todesfällen in wenigen Tagen führen und muss zumindest in Regionen wie dem Rheintal, der Kölner Bucht, den Metropolregionen wie München, Stuttgart, Dresden, Berlin, Frankfurt und dem Ruhrgebiet von Krisenstäben vorbereitet werden«, heißt es in dem Bericht.
Die DGG fordert die Einrichtung von Krisenstäben, die Vorbereitung von zentralen Notaufnahmen auf Hitzeschlagpatienten, die Etablierung mobiler Einsatzteams für besonders gefährdete Personen und die umfassende Überarbeitung von Hitzeaktionsplänen. Auch temporäre Beschäftigungsverbote für Personen, die im Freien arbeiten, Urlaubssperren im Gesundheitswesen oder Einrichtung und Kennzeichnung gekühlter Rückzugsräume in Stadtteilen gehören zu den empfohlenen Maßnahmen.
Zudem könnte nach Vorstellung der Altersmediziner mithilfe eines »Climate Medication Review« bereits am Beginn einer Hitzewelle die Dauermedikation auf potenziell dehydrierende Medikamente überprüft werden. Die Arzneimittel müssten je nach Möglichkeit angepasst oder pausiert werden. Bei guter Vorbereitung könne eine derartige Maßnahme bereits vorausschauend in Medikationsplänen vermerkt werden.
Der Klimawandel wird die Wahrscheinlichkeit von Extremwetterlagen weiter erhöhen. Dennoch sehen laut Umfragen weniger als 20 Prozent der Deutschen darin ein vorrangiges Problem. Dabei verursacht die Hitze auch in normalen Sommern schon Todesfälle in Deutschland. Wie das Umweltbundesamt (UBA) und das Robert-Koch-Institut berechneten, gab es in den Sommern 2023 und 2024 jeweils etwa 3000 hitzebedingte Todesfälle in Deutschland. Betroffen waren vor allem Menschen über 75 Jahre mit Vorerkrankungen wie Demenz, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, teilte das UBA am 3. Juni mit.
Der Studie zufolge erhöhten schon einzelne heiße Tage die Sterblichkeit, wenn die Abkühlung in der Nacht ausbleibe. »Bleibt es über mehrere Tage in Folge heiß ohne nächtliche Abkühlung, steigt die Sterblichkeit weiter an und erreicht ein nach etwa drei bis vier Tagen gleichbleibend hohes Niveau«, informiert das UBA. In Städten sei die Hitzebelastung größer als auf dem Land und in West- und Süddeutschland ausgeprägter als in Nord- und Ostdeutschland.
»Aufgrund des Klimawandels wird sich das Problem der Übersterblichkeit im Sommer in Zukunft noch weiter verschärfen«, sagt UBA-Präsident Professor Dr. Dirk Messner. »Umso wichtiger ist es, dass Umwelt- und Gesundheitsschutz hier Hand und Hand gehen und den Menschen unterstützend zur Seite stehen.«