Der Trip zum Glück? |
Man wird eins mit der Natur und nimmt alle Sinneseindrücke deutlicher wahr: So beschreiben Menschen die Wirkung von Psychedelika. / Foto: Imago/Panthermedia
Psychedelika sind Substanzen, die über eine agonistische Wirkung am 5HT2A-Serotoninrezeptor eine Veränderung des Bewusstseins bewirken. In diesem Zustand können sich die sensorische Wahrnehmung, die Stimmung, das Denken und das Ich-Bewusstsein tiefgreifend verändern. Im Unterschied zu anderen Rauschzuständen, etwa durch Alkohol, ist der Betroffene dabei hellwach. Die Schärfung der Sinne führt dazu, dass sensorische Reize wie Farben, Formen oder auch Töne viel stärker wahrgenommen werden als sonst und ineinander übergehen können. Auch Halluzinationen sind möglich.
In einigen Kulturen hat die Anwendung von Psychedelika im Rahmen religiöser Zeremonien eine lange Tradition. Verwendet werden etwa Psilocybin-haltige Pilze, sogenannte magic Mushrooms aus der Gattung der Psilocybe (Kahlköpfe), Mescalin-haltige sogenannte Mescal-Buttons aus dem Kaktus Lophophora williamsii oder Ayahuasca, ein Dekokt aus der Liane Banisteriopsis caapi, das Dimethyltryptamin (DMT) enthält.
In der westlichen Welt machte vor allem der Chemiker Albert Hofmann die Psychedelika salonfähig, der 1938 zum ersten Mal Lysergsäurediethylamid (LSD) synthetisierte, ein halbsynthetisches Derivat des Mutterkornalkaloids Ergin (Lysergsäureamid, LSA). Die psychedelische Wirkung der Substanz entdeckte er 1943 in einem Selbstversuch. Hofmann war bei der Firma Sandoz beschäftigt, die LSD 1949 unter dem Handelsnamen Delysid® auf den Markt brachte.
Delysid war dazu vorgesehen, bei psychisch Gesunden sogenannte Modellpsychosen auszulösen, psychotische Zustände, die es etwa Psychiatern ermöglichen sollten, den Bewusstseinszustand von Schizophrenie-Patienten nachzuempfinden. Auch im Rahmen der sogenannten psycholytischen Therapie wurde das Präparat eingesetzt, um verborgene oder unbewusste Gefühle und Denkinhalte von psychiatrischen Patienten an die Oberfläche zu holen und so der Psychotherapie zugänglich zu machen. All diesen therapeutischen Anwendungen wie auch der zunehmenden Verwendung als Rauschdroge insbesondere von Vertretern der Hippie-Bewegung setzte das Verbot von LSD und anderen Psychedelika Anfang der 1970er-Jahre offiziell ein Ende.
Nach wie vor zählen die Substanzen zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, die in Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz gelistet sind. Ihr Besitz und Erwerb ist nur für wissenschaftliche Zwecke und nur mit einer Sondererlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erlaubt. In den USA gelten ähnliche Vorschriften; auch hier gehören die Psychedelika zu den sogenannten Schedule-I-Drugs. Allerdings gibt es dort inzwischen Bestrebungen, die Restriktionen zu lockern.
Der Hintergrund sind neuere Studien, die für einzelne Psychedelika eine sehr gute Wirksamkeit bei bestimmten psychischen Erkrankungen gezeigt haben. Positive Ergebnisse gibt es vor allem für Psilocybin bei Depression, aber auch für 3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin (MDMA, Ecstasy) bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Psilocybin, das in vivo zur Wirksubstanz Psilocin hydrolysiert wird, wurde 2018 von der US-Arzneimittelaufsicht sogar als Therapiedurchbruch (Breakthrough Therapy) eingestuft. Diesen Status erhalten Wirkstoffe, die im Vergleich zu verfügbaren Alternativen einen substanziellen Fortschritt darstellen. Entsprechende Zulassungsanträge bearbeitet die FDA mit höchster Priorität.
Nach der kürzlich erfolgten Zulassung von Esketamin (Spravato®), dem S-Enantiomer des Narkosemittels Ketamin, kommt damit wohl bald noch mehr Schwung in die Depressionstherapie. Auch Ketamin hat eine Wandlung von der halluzinogenen Droge zu einem Antidepressivum vollzogen. Es gehört aber nicht zu den klassischen Psychedelika und greift anders als diese auch nicht am 5HT2A-Serotoninrezeptor, sondern am NMDA-Glutamatrezeptor an.
»Die Renaissance der Psychedelika eingeleitet hat vor allem die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Roland Griffiths an der Johns Hopkins University in Baltimore«, sagte Professor Dr. Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim Ende November beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin. 2006 veröffentlichte die Gruppe um Griffiths im Fachjournal »Psychopharmacology« die Ergebnisse einer Doppelblindstudie mit gesunden Freiwilligen, die unter kontrollierten Bedingungen einmal Psilocybin und einmal Methylphenidat als aktives Placebo erhalten hatten (DOI: 10.1007/s00213-006-0457-5).
Magic Mushrooms sind weltweit verbreitet. Der Stattliche Kahlkopf (Psilocybe azurescens) kommt unter anderem in Deutschland vor. / Foto: Imago/Westend61
Die Probanden wurden anschließend von den Untersuchern gebeten, ihre Erfahrungen unter dem Einfluss der jeweiligen Substanz zu beschreiben. Diese unterschieden sich zwischen Verum und Placebo grundlegend. So berichteten die Teilnehmer nach der Anwendung von Psilocybin deutlich häufiger von Freude und intensivem Glücksgefühl, Frieden und Harmonie, aber auch dem Bedürfnis zu weinen. Als besonders bemerkenswert hob Gründer hervor, dass die große Mehrheit der Probanden die psychedelische Erfahrung als eines der fünf bedeutsamsten oder sogar das bedeutsamste Erlebnis ihres Lebens einstufte – vergleichbar etwa mit der Geburt eines Kindes.
Für Furore sorgte 2016 die Arbeitsgruppe von Dr. Robin Carhart-Harris vom Imperial College in London mit einer Publikation im Fachjournal »The Lancet Psychiatry« (DOI: 10.1016/S2215-0366(16)30065-7). Sie berichtete darin von starken und lang anhaltenden Effekten, die Psilocybin bei einer kleinen Gruppe von Patienten mit therapieresistenter Depression gehabt hatte. Die Patienten erhielten zunächst eine mäßige Dosis von 10 mg und dann im Abstand von sieben Tagen eine hohe Dosis von 25 mg. »Danach waren ausgeprägte antidepressive Effekte zu verzeichnen: Drei Monate nach diesen Einzelgaben waren fünf von zwölf Patienten noch immer in Remission«, sagte Gründer.
Die Effektstärken in dieser Studie seien sehr groß gewesen. Man müsse aber einschränkend sagen, dass das für viele neue Arzneistoffe in ersten offenen Studien gelte. »Wenn man dann größere, doppelblinde Studien macht, nehmen die Effektstärken in der Regel deutlich ab«, so Gründer. Die Ergebnisse von größeren Studien seien abzuwarten.
Sie werden wohl nicht lange auf sich warten lassen: Weltweit laufen mehrere Phase-II-Studien mit Psilocybin bei Depression. Am Imperial College wurde unter Carhart-Harris' Leitung das erste auf die psychedelische Forschung spezialisierte Zentrum gegründet. In Deutschland sind das ZI und die Berliner Charité auf diesem Forschungsfeld besonders aktiv.
Bereits in Phase III der klinischen Prüfung ist MDMA bei PTBS, nachdem unter anderem eine Phase-II-Studie mit traumatisierten Militärveteranen, Feuerwehrleuten und Polizisten positive Effekte gezeigt hat (»The Lancet Psychiatry« 2018, DOI: 10.1016/S2215-0366(18)30135-4). Weitere psychische Erkrankungen, bei denen Psychedelika derzeit getestet werden, sind Zwangs- und Essstörungen sowie Cocain- und Opiatabhängigkeit.
Doch wie kommen alle diese Wirkungen überhaupt zustande? Diese Frage ist drängend, aber laut Gründer momentan noch nicht gelöst. Griffiths habe in seinen Arbeiten immer wieder darauf hingewiesen, dass diejenigen Patienten den besten Effekt haben, die die am stärksten ausgeprägte spirituelle Erfahrung machen. »Ist das therapeutische Agens also der biologische Effekt der Substanzen oder die durch sie ausgelöste spirituelle Erfahrung?«, fragte der Psychiater. »Wir denken in der biologischen Psychiatrie oft, dass psychisches Erleben ein Epiphänomen von Neurobiologie ist. Und wenn wir die Neurobiologie beeinflussen, wird damit dann auch das subjektive Erleben beeinflusst. Ich glaube, durch diese Substanzen werden diese Vorstellungen herausgefordert.«
Welche Erfahrung es ist, die bei den Patienten möglicherweise eine Besserung ihrer psychischen Erkrankung bewirken kann, führte Dr. Henrik Jungaberle, Sozialwissenschaftler und Gründer der in Berlin ansässigen Wissenschaftsorganisation MIND European Foundation for Psychedelic Science, aus. Die Empfindung werde immer wieder als »mystische Erfahrung« beschrieben – ein Begriff, der wegen seiner Nähe zum religiösen Kontext jedoch in die Irre führen könne. Der Patient erlebe eine Verbundenheitserfahrung, eine zeitweise Auflösung des starren Selbstkonzeptes. Dieses könne ihm eine stärkere Empfindung für sich selbst, für andere und für die umgebende Natur ermöglichen.
Von entscheidender Bedeutung sei die sogenannte Kontextualisierung dieser Erfahrung, bei der der Therapeut dem Patienten hilft, die Empfindung zu deuten. Deshalb sei es auch so wichtig, dass die Einnahme unter kontrollierten Bedingungen stattfindet. »Psilocybin in einer psychiatrischen Universitätsklinik einzunehmen, ist etwas anderes als auf einem Musikfestival«, sagte Jungaberle. Zu den Aufgaben des Therapeuten gehöre es auch, den Patienten vorher auf die Möglichkeit von unangenehmen Erfahrungen unter Psychedelika, sogenannte bad Trips, hinzuweisen und diese falls erforderlich hinterher mit ihm durchzugehen.
Unter diesen Voraussetzungen sei die therapeutische Anwendung von Psychedelika sicher. Die klinisch verwendeten Substanzen hätten eine sehr große therapeutische Breite und nahezu kein Suchtpotenzial. Die von Kritikern oft angeführte Gefahr einer Manifestation oder Exazerbation psychotischer Störungen sei nur sehr gering: »In den letzten 25 Jahren ist kein einziger Fall einer durch Psychedelika-Anwendung ausgelösten dauerhaften Psychose in klinischen Studien vorgekommen«, so Jungaberle.