Der Tod als sinnliches Erlebnis |
Jennifer Evans |
29.08.2025 18:00 Uhr |
Totenfürsorge: Ein Verlust ist schwer zu begreifen. Vielen hilft es, Zeit mit dem Verstorbenen zu verbringen, ihn anzufassen und zu versorgen. / © Tara Wolff
PZ: Sie haben vor zehn Jahren das Kurzfilmprojekt »Sarggeschichten« ins Leben gerufen. Wie kam es zu den Videos, die auch auf Youtube verfügbar sind?
Benz: Ich wollte Menschen kleine, gut verdauliche Einblicke in die Themen Tod, Trauer und Bestattung geben, um ihnen mehr Selbstbestimmung im Abschied zu ermöglichen. Bewegte Bilder schienen mir das passende Medium. Sie vermitteln Eindrücke, die Worte allein oft nicht leisten können. Die meisten Klicks hat bislang das Thema bekommen: Wie versorge ich einen verstorbenen Menschen?
PZ: Viele wissen vielleicht nicht, dass es diese Möglichkeit gibt …
Benz: Zum einen das und zum anderen ist ihnen nicht bewusst, wie schön diese Erfahrung sein kann. Zur Versorgung eines verstorbenen Menschen können sich Zugehörige treffen, ihn gemeinsam waschen, anziehen und in den Sarg legen. Anschließend können sie Geschenke, besondere Gegenstände oder Blumen zu ihm legen. Die Zeit zwischen Tod und Bestattung ist eine entscheidende Phase für Trauernde. Einen wichtigen Menschen mit allen Sinnen zu verabschieden, kann heilsam und kraftvoll sein. Ein Moment, den sie in ihrem Herzen behalten und den ihnen niemand wieder nehmen kann.
PZ: Was macht diese Erfahrung mit den Trauernden?
Benz: Für viele ist es ganz beglückend. Ich erlebe oft, dass Menschen nach einer solchen Versorgung leuchtende Augen bekommen und sagen, wie schön es war. Auch wenn einige im nächsten Moment erschrecken, weil sie sich fragen, wie Freude in so einem traurigen Moment Platz haben kann. Das zeigt aber auch, wie all diese Gefühle nebeneinander existieren dürfen. Ich wünsche mir, dass zumindest jeder Mensch die Möglichkeit dazu bekommt, diese Versorgungserfahrung zu machen – auch wenn er sich am Ende dagegen entscheidet. Allerdings müssen die Bestatterinnen und Bestatter über solche Spielräume informieren. Zudem brauchen Trauernde dabei Begleitung, Erklärung und Raum, um zu spüren, wie sie sich verabschieden wollen.
PZ: Dieses Erlebnis kann auch dem Kopf helfen, das Geschehene zu realisieren, oder?
Benz: Meiner Erfahrung nach bedauern es viele Menschen, keine Totenversorgung erlebt zu haben. Es ist bedeutsam mit allen Sinnen zu spüren, dass ein besonderer Mensch gestorben ist und zu merken: Wenn ich ihn anspreche, antwortet er nicht mehr, wenn ich ihn berühre, fühlt er sich kalt an, und wenn ich ihn anschaue, sehe ich, wie seine Haut sich verändert hat. Auf diese Weise lässt sich der Tod nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen begreifen. Es erscheint für uns etwas klarer, warum dieser Mensch weg ist und warum dieser Körper bald unter die Erde kommt oder kremiert wird. Und das ist etwas ganz anderes, als später nur die Urne zu sehen, zur Trauerfeier zu gehen und die Beerdigung zu beobachten.
PZ: Der Tod als sinnliches Erlebnis also?
Benz: Ja, ›begreifen‹ kommt von ›anfassen‹. Ich glaube, wenn wir uns mit dem Tod auseinandersetzen, verstehen wir, wie kostbar und fragil das Leben ist. Und ich glaube, wenn wir das realisiert haben, gehen wir liebevoller miteinander und mit unserer Erde um. Auch deshalb wünsche ich mir, dass mehr Menschen dieses Erlebnis der Totenfürsorge – wie man auch sagen kann – haben, und nicht von der Todesnachricht direkt zur Trauerfeier übergehen.
PZ: Gibt es in Ihrer Erfahrung noch andere Aspekte rund um die Bestattung, die vielen nicht bewusst sind?
Sarah Benz arbeitet als Bestatterin, Trauerbegleiterin, Notfallseelsorgerin und Dozentin in Berlin. / © Stefano Schröter
Benz: Ja, beispielsweise, dass die Bestattung nicht mit der Trauerfeier beginnt, sondern mit Abschied – dem Sterben zu Hause, im Hospiz oder im Krankenhaus. Es ist auch möglich, den verstorbenen Menschen noch mal vom Krankenhaus nach Hause zu holen, um dort Abschied zu nehmen. Oder dass Zugehörige mit ins Krematorium gehen können, wenn sie die Einfahrt des Sargs in den Ofen mitbegleiten möchten. Es kann hilfreich sein, den toten Körper auf diesen Stationen zu begleiten. Grundsätzlich halte ich die Zeit zwischen Tod und Bestattung für eine ganz wichtige, in der sich nicht nur viel gestalten lässt, sondern in der auch viele Weichen für den späteren Trauerprozess gestellt werden. Leider befassen sich viele Menschen mit diesem Abschnitt weniger intensiv als mit der Frage, wie am Ende der Grabstein aussehen soll – obwohl man ja gar keinen platzieren muss. Übrigens muss man auch keine Überurne haben und kann die Aschkapsel, in der die Asche aus dem Krematorium kommt, auch so beisetzen.
PZ: Wissen Menschen, die nach einem Todesfall im Ausnahmezustand sind, was sie gerade brauchen oder was ihnen helfen könnte?
Benz: Oft wird so getan, als ob trauernde Menschen nicht ganz zurechnungsfähig wären und in ihrer Krise nichts entscheiden könnten. Das ist aber nicht richtig. Sie wissen oft genau, was ihnen guttut. Es ist als Bestatterin meine Aufgabe, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem Menschen in Ruhe entscheiden können. Denn es gibt genug Zeit. Menschen denken irrtümlicherweise oft, alles muss sofort entschieden werden, aber es ist okay, zu überlegen oder sich noch mal umzuentscheiden. Bestatten ist ein Prozess, da dürfen sich Dinge entwickeln. Niemand muss am Totenbett schon die Trauerfeier planen. Wir besprechen den nächsten Schritt immer dann, wenn er da ist. Die meisten Trauernden haben ein klares Gefühl davon, wie er sein soll. Und das stellt sich meist auch als genau der richtige Weg heraus. Vielmehr sorgt das Umfeld oft für Unsicherheit – durch gut gemeinte Ratschläge oder eigene Überzeugungen.
PZ: Es gibt kein Skript für solche Situationen …
Benz: Das stimmt. Wir fallen alle in eine emotionale Krise. Auf Gefühle können wir uns nur bedingt vorbereiten, aber zumindest auf die Abläufe. Wer sich mit dem System und den eigenen Vorstellungen vorher auseinandergesetzt hat und weiß, was erlaubt ist, empfindet im Ernstfall weniger Angst und Ohnmacht. Und man kann sich auch besser gegen Strukturen wehren, die einen womöglich einschüchtern wollen. Wer sich nicht auskennt, kann sein Recht auch nicht einfordern. Das Fatale ist, dass durch Unwissen Verluste entstehen können, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Generell würde ich mir wünschen, dass Institutionen besser zusammenarbeiten, um es Trauernden leichter zu machen. Ich setze mich dafür ein, Transparenz und Aufklärung in die Trauerkultur zu bringen, sodass Menschen selbstbestimmter Abschied nehmen können.
Sarah Benz und Katrin Trommler erklären, wie man sich auf den Tod vorbereiten kann. Und beantworten Fragen wie: Darf man einen Sarg von innen schmücken? Ist eine Urne Pflicht? Wie kann man sich aus der Ferne verabschieden? Wie bekommen verstorbene Menschen einen Platz im Leben?
Gleichzeitig sind die beiden Macherinnen des Youtube-Kanals »Sarggeschichten – Kurzfilme, die erklären, was man alles tun und gestalten kann, wenn der Tod ins Leben tritt«.
»Sarggeschichten: Warum selbstbestimmtes Abschiednehmen so wichtig ist«, Mosaik 2023, 320 S., ISBN: 978-3-442-39403-6, EUR 22