Der nächste Antikörper bei DLBCL |
Annette Rößler |
01.11.2023 11:00 Uhr |
B-Lymphozyten sind ein wichtiger Teil des adaptiven Immunsystems. Beim diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom sind bestimmte B-Zellen entartet. / Foto: Getty Images/MedicalRF.com
An einem diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) erkranken in Deutschland pro Jahr etwa sieben von 100.000 Einwohnern. Damit zählt das DLBCL zu den seltenen Erkrankungen, obgleich es unter den malignen Lymphomen eines der häufigsten ist. Die Therapie erfolgt in der Erstlinie mit dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab plus Chemotherapie (R-CHOP). Bei einem (wiederholten) Rezidiv stehen verschiedene weitere Therapieansätze zur Verfügung, darunter eine Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation, eine Anti-CD19-CAR-T-Zelltherapie mit Axicabtagen-Ciloleucel oder Tisagenlecleucel sowie seit August 2023 ein Anti-CD20-Therapie mit dem bispezifischen Antikörper Glofitamab.
Letzterer ist sowohl gegen CD20 auf B-Zellen gerichtet als auch gegen CD3 auf T-Zellen. Dasselbe gilt für den Neuling Epcoritamab (Tepkinly® 4 mg/0,8 ml Konzentrat zur Herstellung einer Injektionslösung und 48 mg Injektionslösung, Abbvie). Wie Glofitamab wirkt Epcoritamab, indem es CD20-exprimierende B-Zellen mit CD3-exprimierenden T-Zellen zusammenbringt, was schließlich zur T-Zell-vermittelten Abtötung der B-Zellen führt. Es werden alle B-Zellen attackiert, die das Oberflächenmerkmal CD20 tragen; bei den meisten Patienten mit DLBCL sind das überwiegend Lymphomzellen.
Epcoritamab ist unter besonderen Bedingungen zugelassen als Monotherapie für erwachsene Patienten mit rezidivierendem oder refraktärem DLBCL ab der Drittlinie. Es wird in 28-tägigen Zyklen gegeben. Im ersten Zyklus werden zunächst 0,16 mg (Initialdosis) an Tag 1 und 0,8 mg (Zwischendosis) an Tag 8 verabreicht. An Tag 15 im ersten Zyklus wird dann die erste volle Dosis von 48 mg gegeben gefolgt von einer weiteren an Tag 22, die die letzte im ersten Zyklus darstellt. In den Zyklen zwei bis drei wird Epcoritamab wöchentlich gegeben, in den Zyklen vier bis neun alle zwei Wochen und ab dem zehnten Zyklus alle vier Wochen. Die Therapie wird so lange fortgesetzt, bis die Erkrankung fortschreitet oder eine inakzeptable Toxizität auftritt.
Die Gabe erfolgt als subkutane Injektion vorzugsweise in den unteren Bauch oder in den Oberschenkel. Nach der Injektion muss der Patient überwacht werden, um im Fall eines Zytokin-Freisetzungssyndroms (CRS) und/oder eines immunzellassoziierten Neurotoxizitätssyndroms (ICANS) schnell reagieren zu können. In der Einrichtung, in der die Behandlung stattfindet, sollte mindestens eine Dosis des Anti-IL-6-Antikörpers Tocilizumab vorhanden sein. Tocilizumab wird bei CRS gegeben. Sowohl CRS als auch ICANS können schwerwiegend und potenziell lebensgefährlich sein.
Jeder Patient, der mit Epcoritamab behandelt wird, soll eine Patientenkarte erhalten und diese stets bei sich führen. Auf der Karte sind die Symptome von CRS und ICANS beschrieben – Fieber, Hypotonie und Hypoxie sowie unter anderem Bewusstseinsstörungen, Schwäche und Krampfanfälle –, bei deren Auftreten er sofort einen Arzt aufsuchen soll.
Die Behandlung mit Epcoritamab kann das Infektionsrisiko erhöhen und ist bei Patienten mit aktiven systemischen Infektionen zu vermeiden. Lebendimpfstoffe, auch attenuierte, dürfen während der Therapie nicht verabreicht werden. Zu den weiteren Risiken, die mit der Anwendung verbunden sind, zählen ein Tumorlysesyndrom und eine Tumor-Flare-Reaktion.
Die Anwendung in der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird nicht empfohlen. Während der Behandlung und für mindestens vier Monate nach der letzten Anwendung von Epcoritamab sollte nicht gestillt werden.
Ausschlaggebend für die Zulassung waren Ergebnisse der offenen, einarmigen Studie EPCORE NHL-1 (NCT03625037), in der Epcoritamab in der nun zugelassenen Indikation getestet wurde. Die Beurteilung der Wirksamkeit erfolgte anhand von 139 Patienten. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt, die Gesamtansprechrate, wurde bei 86 Patienten (62 Prozent) erreicht. 54 Patienten (39 Prozent) zeigten ein komplettes Ansprechen und 32 Patienten (23 Prozent) ein partielles. Die Ansprechdauer lag im Median bei 15,5 Monaten.
Die häufigsten Nebenwirkungen (mindestens 20 Prozent der Behandelten) waren CRS, Fatigue, Neutropenie, Reaktionen an der Injektionsstelle, Schmerzen des Bewegungsapparats, Bauchschmerzen, Fieber, Übelkeit und Durchfall. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten bei 52 Prozent der Patienten auf. Am häufigsten war dabei mit 31 Prozent Betroffenen das CRS. Sieben Patienten starben an den Nebenwirkungen der Therapie.
Tepkinly ist bei 2 bis 8 °C und im Umkarton aufzubewahren und zu transportieren. Für die ersten beiden Dosen des ersten Behandlungszyklus steht das Medikament als Konzentrat zur Herstellung einer Injektionslösung zur Verfügung. Die entsprechende Durchstechflasche hat eine hellblaue Kappe; die Lösung muss gemäß der Anleitung in der Fachinformation mit 0,9-prozentiger Kochsalzlösung verdünnt werden. Für die vollen Dosen von 48 mg, die ab Tag 15 im ersten Zyklus gegeben werden, ist die fertige Injektionslösung vorgesehen. Aus der entsprechenden Durchstechflasche mit der orangenen Kappe müssen vor der Anwendung 0,8 ml in eine Spritze aufgezogen werden.
Vor wenigen Wochen kam mit Glofitamab ein neuer bispezifischer Antikörper für die Behandlung des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) auf den deutschen Markt, im Oktober folgte nun Epcoritamab in der identischen Indikation und mit identischem Wirkmechanismus. Was sind bei der Arzneistoffentwicklung über viele Jahre hinweg schon wenige Wochen? Daher kann auch Epcoritamab – wie Glofitamab im August – vorläufig als Schrittinnovation betrachtet werden.
Beide Substanzen verkörpern als Anti-CD20/Anti-CD3-Antikörper kein komplett neues Wirkprinzip, beide sind nicht für die Erstlinientherapie zugelassen und beide sind keineswegs die einzigen Therapiefortschritte beim DLBCL in den vergangenen Jahren. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die CAR-T-Zelltherapie.
Fakt ist aber auch, dass vor allem bei Patienten in höheren Therapielinien ein hoher medizinischer Bedarf an neuen Therapieoptionen besteht. Die Studienergebnisse rechtfertigen auch im Fall von Epcoritamab die Einordnung als Schrittinnovation. Im Vergleich zu Glofitamab könnte die subkutane Gabe anstelle einer Infusion für die Patienten von Vorteil sein. Wünschenswert wäre natürlich ein direkter Vergleich dieser beiden sehr ähnlichen Antikörper.
Sven Siebenand, Chefredakteur