Der Mensch hält weniger Hitze aus als angenommen |
Annette Rößler |
16.08.2024 15:30 Uhr |
Die Haut zu befeuchten, verschafft bei hohen Temperaturen zuverlässig Abkühlung. Gut, wenn das möglich ist. / Foto: Imago Images/Jochen Eckel
Ein paar Grundbegriffe muss man kennen, wenn man sich mit der für den Menschen maximal tolerablen Temperatur beschäftigt. Da ist zunächst die Feuchtkugeltemperatur oder auch Kühlgrenztemperatur (tF). Diese ist definiert als die niedrigste Temperatur, die durch Verdunsten von Wasser in die Luft erreicht werden kann. Gemessen wird sie mit einem sogenannten Psychrometer. Das ist ein Thermometer, dessen Kugel mit einem feuchten Stoff überzogen ist – daher der Name. Es gibt Psychrometer-Tabellen, in denen die jeweilige tF gegen die mit einem trockenen Thermometer gemessene Temperatur aufgetragen ist.
Die Kühlgrenztemperatur ist im Zusammenhang mit der Hitzewirkung auf den Menschen deshalb wichtig, weil Schwitzen, also die Abgabe von Verdunstungskälte, ein entscheidender Mechanismus ist, mit dem sich der menschliche Organismus abkühlt. In einer vielzitierten Arbeit, die 2010 im Fachjournal »PNAS« erschien, ermittelten die Professoren Dr. Steven C. Sherwood von der University of New South Wales in Sydney, Australien, und Dr. Matthew Huber von der Purdue University in West Lafayette, USA, die für den Menschen maximal tolerable Hitze anhand theoretischer Überlegungen.
Ein ruhender menschlicher Organismus produziere circa 100 W metabolische Energie, heißt es da. Diese werde nur zum Teil benötigt, um die Körperkerntemperatur von 37 °C aufrechtzuerhalten. Den Energieüberschuss müsse der Körper loswerden; das tue er, indem er die Hauttemperatur konstant auf 35 °C oder niedriger einstellt. Liege die Hauttemperatur für längere Zeit (sechs Stunden oder mehr) über 35 °C, führe das zu einem Anstieg der Körperkerntemperatur (Hyperthermie). Letale Temperaturen von 42 bis 43 °C im Körperkern würden auch bei akklimatisierten und fitten Menschen bereits bei einer Hauttemperatur von 37 bis 38 °C erreicht.
Über einen längeren Zeitraum könne der Mensch daher eine Kühlgrenztemperatur von mehr als 35 °C nicht überleben, schrieben Sherwood und Huber. Dabei ist zu beachten, dass die tF auch von der Luftfeuchte beeinflusst wird: Bei trockener Hitze kann die Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen und die psychrometrische Differenz zur Trockentemperatur ist daher größer als bei feuchter Hitze.
Liegt die Luftfeuchtigkeit nahe 100 Prozent, ist die tF nahezu identisch mit der Außentemperatur. Mit abnehmender Luftfeuchtigkeit sinkt die tF immer stärker unter die Trockentemperatur. Deshalb sind sehr hohe Temperaturen für den Menschen bei niedriger Luftfeuchte besser erträglich als als bei hoher – die Abkühlung durch Schwitzen funktioniert dann besser.
Bezeichnenderweise erschien der Artikel unter dem Titel »An adaptability limit to climate change due to heat stress« (»Eine Grenze der Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel durch Hitzestress«). Die Autoren nutzten ihre Berechnung der maximal tolerablen Hitze darin nämlich lediglich als Ausgangspunkt für Überlegungen zu der Frage, wie stark die globalen Durchschnittstemperaturen ansteigen dürften, bevor Teile der Erde für den Menschen unbewohnbar werden. Seitdem hätten öffentliche Gesundheitseinrichtungen sich aber zu sehr auf diese theoretische Studie gestützt, um Hitze-Obergrenzen festzulegen, sagen heutige Forschende laut einem »News«-Artikel auf der Seite des Fachjournals »Nature«.
Einer von ihnen ist Professor Dr. Ollie Jay von der University of Sydney. Er forscht dort im sogenannten Heat and Health Laboratory mit einer Klimakammer, in der Probanden unter kontrollierten Bedingungen definierten Temperaturen und Luftfeuchten ausgesetzt sind. Der Raum misst 4 x 5 m2 und die Testpersonen können sich darin bewegen, essen und schlafen. Dies sind viel realistischere Bedingungen als in den Berechnungen von Sherwood und Huber, die den menschlichen Organismus quasi so behandelten, als sei er ein unbekleidetes Objekt, das weder schwitzt noch sich bewegt.
Voriges Jahr veröffentlichte ein Team um Jay im Fachjournal »Nature Communications« Ergebnisse dieser Forschung unter der Überschrift »A physiological approach for assessing human survivability and liveability to heat in a changing climate« (»Ein physiologischer Ansatz zur Bewertung der Überlebensfähigkeit des Menschen bei Hitze in einem sich ändernden Klima«). Die Autoren machen damit gleich von vorneherein deutlich, dass sie in ihrer Arbeit die Unzulänglichkeit früherer Überlegungen, die die Physiologie außen vor gelassen hatten, wettmachen wollen.
Die Annahme einer tF von 35 °C als für den Menschen maximal tolerable Hitze stelle eine enorme Unterschätzung des Risikos dar, schreiben die Forschenden. Sie differenzieren in ihrem Modell nicht nur nach Geschlecht, sondern auch zwischen jungen (18 bis 30 Jahre) und alten Menschen (älter als 65 Jahre), weil im Alter die Fähigkeit zu schwitzen abnimmt. Außerdem berücksichtigen sie Faktoren wie eine direkte Sonnenlichtexposition (versus Schatten) sowie die Luftfeuchtigkeit und kommen so schließlich auf Obergrenzen für die tF von circa 26 bis 34 °C bei jungen Menschen und circa 22 bis 34 °C bei Senioren.
Ältere Menschen schwitzen nicht so leicht wie jüngere und sind deshalb bei starker Hitze besonders gefährdet. / Foto: Getty Images/Miguel Angel Flores
Die Höchsttemperaturen, die ein Mensch überleben könne, sänken mit zunehmender Sonneneinstrahlung und Luftfeuchte, aber am stärksten mit steigendem Alter. So liege etwa die maximal tolerable tF für ältere Frauen circa 7 bis 13 °C unter dem lange als Grenze angesehenen Wert von 35 °C.
Auf »Nature News« heißt es, dass die Forschenden ihr Modell mit weiteren Testreihen noch verfeinern wollen, um so zu ermitteln, bei welchen Temperaturen unterschiedlich anstrengende Tätigkeiten für verschiedene Menschen noch sicher sind. Einen weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet die Suche nach bestmöglichen Methoden zur Abkühlung. Dabei sei bereits herausgekommen, dass Ventilatoren nur bei feuchter Luft und einer Temperatur bis 38 °C abkühlend wirken. Bei Trockenheit verstärkten sie dagegen Hitzestress, was bei älteren Menschen zu einer stärkeren Belastung des Herzens führe.
Die Haut zu befeuchten, wirke sowohl bei hoher als auch bei niedriger Luftfeuchtigkeit abkühlend. Dieser Tipp lässt sich derzeit in Deutschland sofort in die Praxis umsetzen.