Demenz-Patienten in der Apotheke erkennen |
Daniela Hüttemann |
13.02.2023 18:00 Uhr |
Zu viele Reize wie Telefonklingeln, Bildschirme oder andere Kunden könnten einen Demenz-Patienten überfordern. Daher sollte die Beratung in möglichst ruhiger Umgebung erfolgen, zum Beispiel im Beratungsraum. / Foto: Getty Images/alvarez
Es gibt verschiedene Formen von Demenzen, die unterschiedlich ausgeprägt sein können und behandelt werden. Am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz mit bislang eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten. Ein früher Therapiestart mit Antidementiva sei dennoch sinnvoll, da sich mit diesen Medikamenten die Progression etwas verzögern lässt und die Betroffenen so im Schnitt länger in häuslicher Umgebung bleiben können, betonte die Neurologin Dr. Silke Wunderlich vom Klinikum rechts der Isar der TU München am vergangenen Samstag bei einer gemeinsamen Online-Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Hamburg und der Landesgruppe Hamburg der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG).
Wunderlich stellte die verschiedenen Demenzformen, ihre Charakteristika und Unterschiede sowie Behandlungsmöglichkeiten ausführlich vor und erklärte, warum Apotheken bei der Früherkennung eine wichtige Rolle spielen können.
Andere Demenzen als Alzheimer können behandelbare Ursachen haben, zum Beispiel unbehandelte Grunderkrankungen oder kognitive Nebenwirkungen einer Arzneimitteltherapie. Hier kann gegengesteuert werden. Daher ist eine frühestmögliche Differenzialdiagnose so wichtig.
»Apotheker sind oftmals erster Ansprechpartner bei Gedächtnisstörungen, weil Patienten sich zum Beispiel etwas entsprechendes in der Selbstmedikation kaufen wollen oder Angehörige sich sorgen«, weiß die Ärztin. In solchen Fällen plädierte sie für ein Demenz-Screening in der Apotheke, um gegebenenfalls zum Arztbesuch zu raten.
Ginkgo-biloba-Extrakt in ausreichend hoher Dosierung (240 mg am Tag) sei zwar durchaus eine empfehlenswerte Option bei milder kognitiver Beeinträchtigung, so die Referentin auf Nachfrage, doch sollte eine solche Therapie besser medizinisch begleitet werden. Nach drei Monaten müsse geprüft werden, ob der Patient darauf anspricht oder ob ein Antidementivum angezeigt ist.
Sie gab den Webinar-Teilnehmenden einige Tipps, wie sie eine nachlassende Merkfähigkeit im Rahmen des normalen Alterungsprozesses von einer möglichen Demenz unterscheiden können. »Wenn ein Patient selbst mit einer subjektiven Besorgnis um sein Gedächtnis kommt, handelt es sich häufig um Altersvergesslichkeit oder aber eine Depression«, so die Neurologin. Es könne sich aber auch schon um eine leichte kognitive Störung (MCI) als Vorstufe einer Demenz handeln.
Bei einer Depression machten sich die Angehörigen eher Sorgen um Antrieb und Stimmung, bei Altersvergesslichkeit seien sie oft nicht besorgt, bei MCI und Demenz dagegen schon. Hier komme oft auch die Anfrage von den Angehörigen und nicht vom Patienten selbst.
Bei Altersvergesslichkeit sei das semantische Gedächtnis erhalten und eher das Langzeitgedächtnis beeinträchtigt. Bei einer Alzheimer-Demenz dagegen sei zuerst das Kurzzeitgedächtnis betroffen (Dinge verlegt, Herd angelassen). Wortfindungsstörungen, ungewohnte Formulierungen und auch Geruchsstörungen seien ebenso typisch.
Apotheken sollten auf Auffälligkeiten im Gespräch achten: Wiederholt sich der Patient häufig? Hat er Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden? Hat er Schwierigkeiten beim Zahlvorgang? Das spricht für eine Demenz. Auch wenn die Gedächtnisstörungen von Mal zu Mal deutlicher werden und Symptome mangelnder Urteilsfähigkeit wie das Tragen wetterunpassender Kleidung seien Hinweise.
Weitere Orientierung bieten folgende zehn Fragen (basierend auf einem Demenz-Selbsteinschätzungstest der Demenzhilfe Deutschland), die der Patient mit nie (0 Punkte), selten (1 Punkt) gelegentlich (2 Punkte), oft (3 Punkte) oder ständig (4 Punkte) beantworten soll.
Liegt der Punktwert bei mehr als 15, sollte das Apothekenpersonal dem Betroffenen einen Hausarztbesuch empfehlen.
Der Hausarzt sollte den Pateinten körperlich untersuchen, Begleitsymptome wie Depressionen und Angst erfragen, neuropsychologische Tests sowie kognitive Kurztests durchführen, aber auch die Angehörigen-Einschätzung berücksichtigen und einen Blick auf die bestehende Medikation werfen.
Um sekundäre Demenzen auszuschließen, wird auch ein ausführliches Blutbild gemacht, um beispielsweise Schilddrüsen- oder Elektrolytstörungen auszuschließen. Zu einer finalen Diagnose gehöre dann aber auch immer ein bildgebendes Verfahren, in der Regel ein Kernspin, um andere Erkrankungen auszuschließen und zu differenzieren, welcher Demenztyp vorliegt, betonte Wunderlich. Dies würde noch zu selten gemacht.
Die Unterscheidung des Subtyps sei für Verlauf und Behandlung wichtig. Beispielsweise liege bei einer frontotemporalen Demenz vermutlich ein Serotonin- und Dopamin-Defizit und kein Acetylcholin-Defizit wie bei Alzheimer vor. »Acetylcholin-Esterase-Hemmer als klassische Antidementiva bringen hier nichts oder verschlechtern die Symptomatik sogar«, warnte Wunderlich.
Apotheken könnten aber nicht nur zur Früherkennung beitragen, sondern sollten auch zu präventiven Maßnahmen beraten, so Wunderlich. Denn es gibt viele gut bestätigte Risikofaktoren, auf die man selbst Einfluss hat. Zu den Schutzfaktoren gehören unter anderem ausreichend Bewegung, nicht rauchen, moderater Alkoholkonsum sowie geistig anregende und soziale Aktivitäten.
»Bis zu 20 Prozent der Demenzerkrankungen sind auf Inaktivität zurückzuführen«, verdeutlichte die Neurologin. Außerdem sollten andere Erkrankungen, die eine Demenz begünstigen, gut eingestellt sein, darunter Bluthochdruck, Diabetes, Hyperlipidämie, Vorhofflimmern und Depressionen.
Zudem sieht die Ärztin die Apotheker als wichtige Begleiter von Patient und Angehörigen, nicht nur in der medikamentösen Beratung, sondern auch in der Weitervermittlung von Hilfsangeboten.