Das »wann und wie« zur Coronavirus-Quarantäne |
Carolin Lang |
06.03.2020 09:58 Uhr |
Beim Warten auf die Untersuchungsergebnisse sollen begründete Verdachtsfälle für eine SARS-CoV-2 Infektion in häusliche Quarantäne, sofern ihr Gesundheitszustand dies zulässt. / Foto: Fotolia/Wordley Calvo Stock
Um die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 in Deutschland weitestgehend zu verhindern, ist es wichtig, Infizierte schnellstmöglich zu erkennen und zu isolieren. Daher sollte ein Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion möglichst rasch durch einen entsprechenden Test abgeklärt werden. Um eine Struktur in die derzeit zahlreich eingehenden Meldungen der Bürger zu bringen, wird grundsätzlich zwischen begründetem und unbegründetem Verdachtsfall unterschieden.
Ein begründeter Verdachtsfall besteht trotz zunehmenden Infektionsgeschehens in Deutschland laut Robert-Koch-Institut (RKI) weiterhin nur dann, wenn eine Person Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall hatte oder sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat und zusätzlich dazu Symptome aufweist. Ein Arzt kann auch auf SARS-CoV-2 testen, wenn sich ein Patient mit Symptomen in Regionen in Deutschland aufgehalten hat, in denen sich der Erreger verbreitet, etwa im Landkreis Heinsberg.
Befürchtet ein Patient eine Infektion mit SARS-CoV-2, soll er zunächst seinen Hausarzt oder das zuständige Gesundheitsamt telefonisch kontaktieren. Wie geht es ab dann weiter?
Meldet sich ein Bürger direkt beim Gesundheitsamt, wird anhand der Anamnese entschieden, ob ein begründeter Verdachtsfall vorliegt. Ist dies nicht der Fall, wird zu keinen weiteren Maßnahmen geraten, sofern der Mensch nicht krank ist. Besteht jedoch ein begründeter Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion, wird eine Abklärung über den Hausarzt oder das Krankenhaus in die Wege geleitet.
Auch in dem Wissen, dass es durchaus Menschen gibt, die trotz einer Infektion keine Symptome entwickeln, ist die gängige Vorgehensweise an dieser Stelle also: Keine Symptome – keine Maßnahmen. Ein gewisses Restrisiko bleibe dadurch bestehen, allerdings könne der aktuell hohen Nachfrage für Testungen sonst nicht nachgekommen werden. Das berichtet Dr. Kaschlin Butt, die Leiterin des Gesundheitsamtes in Wiesbaden, im Gespräch mit der PZ.
Meldet ein Patient einen Verdacht bei seinem Hausarzt telefonisch an, gibt es je nach regionaler Regelung verschiedene Handlungsmöglichkeiten. Eine dieser Möglichkeiten sieht so aus, dass der Arzt oder ein qualifizierter Praxismitarbeiter den Patienten zu Hause für einen Abstrich aufsucht.
Der Patient kann aber auch, mit dem Hinweis auf eine gesonderte Sprechstunde, in die Praxis bestellt werden. Die gesonderte Sprechstunde sollte vorzugsweise zum Ende der Öffnungszeiten erfolgen. Für den Weg zur Praxis sollte der Patient darauf hingewiesen werden, Kontakte zu anderen möglichst zu meiden und, falls vorhanden, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Diese sind derzeit aber nicht mehr erhältlich.
Eine dritte Möglichkeit ist, dass der Arzt den Patienten zur Diagnostik an eine ausgewiesene Schwerpunktpraxis oder den Bereitschaftsdienst verweist, sofern dies die ersten Anlaufstellen in der Region sind.
Kommt ein Patient unangemeldet in die Praxis, sollten die folgenden sechs Schritte eingehalten werden:
1. Bei der Anmeldung sollte abgeklärt werden, ob ein begründeter Verdachtsfall vorliegt.
2. Liegt solch ein Fall vor, ist dies dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Die Meldung muss innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Eine Meldung an das Gesundheitsamt ist nicht nötig, wenn der Patient sich in den vergangenen 14 Tagen nicht in einem vom RKI ausgewiesenen Risikogebiet aufgehalten hat oder wenn der Patient Kontakt zu einem bislang unbestätigten Fall hatte.
3. Der Patient sollte anschließend eine Schutzmaske bekommen und in ein separates Zimmer geführt werden.
4. Der Arzt untersucht den Patienten unter Einhaltung von Schutzvorkehrungen. Er sollte Handschuhe, eine FFP2-Maske, Kittel und gegebenenfalls eine Schutzbrille tragen.
5. Es soll ein Rachenabstrich gemacht werden, der dann zur Untersuchung in ein Labor eingeschickt wird.
6. Fälle, bei denen ein klinischer Verdacht vorliegt oder eine Infektion nachgewiesen wurde, sollen zwecks Erstattung der Behandlungskosten mit der Ziffer 88240 gekennzeichnet werden.
Sofern die Patienten keine schweren Symptome zeigen und keine Risikofaktoren für Komplikationen aufweisen, sollen sie bis zum Vorliegen der Testergebnisse unter häuslicher Quarantäne stehen. Fällt das Ergebnis negativ aus, wird die Quarantäne aufgehoben.
Bestätigt sich der Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2, werden Betroffene nicht zwangsweise stationär aufgenommen. Wer nicht behandlungsbedürftig ist, kann nach kürzlich angepasstem Flussschema des RKI auch in die häusliche Quarantäne.
Das Uniklinikum in Münster (UKM) hatte zuvor als erstes Klinikum bekannt gemacht, nur noch schwer an Covid-19 erkrankte Personen stationär aufzunehmen. Anlass für die Vorgehensweise beim UKM war eine Forderung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Die DGKH vertritt den Standpunkt, dass sich die stationäre Versorgung auf Covid-19 Patienten mit schweren Verlaufsformen konzentrieren muss, um Krankenhäuser zu entlasten. »Ebenso darf Quarantäne von Verdachtsfällen oder von Infizierten ohne Symptome nicht Aufgabe der Krankenhäuser sein. Nur hierdurch kann die Sicherheit der anderen stationären Patienten der Klinik und des medizinischen Personals gewährleistet werden«, heißt es in einer Stellungnahme.
Das bringe die Vorteile mit sich, dass keine Kreuzkontamination in Wartebereichen stattfinden kann, dass das Risiko einer nosokomialen Ausbreitung reduziert wird und dass die psychische Belastung der Betroffenen reduziert wird. Außerdem rät die DGKH zur ambulanten Diagnostik mit Probennahme im Haushalt der Betroffenen.
Ist eine häusliche Quarantäne angeordnet, vertraut das Gesundheitsamt in Wiesbaden darauf, dass die Betroffenen diese auch einhalten. Eine aktive Überwachung finde nicht statt, sagt Butt. Das wird aber regional unterschiedlich gehandhabt. Manche Gesundheitsämter kontrollieren auch, ob die Quarantäne eingehalten wird. Der Verstoß ist sogar strafbar. Nach Paragraf 75 des Infektionsschutzgesetzes können bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe drohen.
Bei der Anordnung einer häuslichen Quarantäne werden die Betroffenen darüber aufgeklärt, wie sie sich während der Zeit verhalten sollen. Sie dürfen die Wohnung nicht verlassen, Kontakt zu anderen Menschen, außer den Mitbewohnern, ist einzustellen. Der Kontakt mit Mitbewohnern sollte möglichst eingeschränkt werden. Wird eine Quarantäne vom Gesundheitsamt angeordnet, sieht Butt auch eine gewisse Verantwortlichkeit, die Betroffenen zu unterstützen. Bei Problemen können sich die Betroffenen daher an das Amt wenden.
Um eine medizinische Versorgung aufgrund bestehender Erkrankungen sicherzustellen, sollten die Betroffenen ihren Haus- oder Facharzt kontaktieren und ihn über die Situation aufklären. Die Apotheke vor Ort kann mit Botendiensten an dieser Stelle auch eine Hilfe sein. Bei Notfällen soll der Notruf gewählt werden und auch dabei auf die Quarantäne hingewiesen werden. Zur Versorgung der Betroffenen mit Lebensmitteln sollten Familienangehörige, Freunde oder Nachbarn um Hilfe gebeten werden. Die Lebensmittel sollten dann vor der Haustür abgestellt werden.
Die häusliche Quarantäne kann psychosoziale Belastungen mit sich bringen. Da ein direkter Kontakt zu anderen Personen verboten ist, sollen die Betroffenen über Medien wie Internet und Telefon mit Freunden und Familie in Kontakt bleiben. Für Familien mit Kindern kann die häusliche Quarantäne besonders herausfordernd sein.
Die Maßnahmen der sogenannten Eindämmungsstrategie, zu der das RKI rät, haben zum Ziel, einzelne Infektionen schnellstmöglich zu erkennen und die weitere Ausbreitung des Virus weitestgehend zu verhindern. Dazu müssen Infektionsketten so schnell wie möglich unterbrochen werden.
Zu diesem Zweck sollen Kontaktpersonen von bestätigten Infektionsfällen möglichst lückenlos identifiziert und für zwei Wochen, was nach den derzeitigen Erkenntnissen der maximalen Dauer der Inkubationszeit entspricht, ebenfalls in häuslicher Quarantäne untergebracht werden. Davon können auch größere Personengruppen, wie aktuell etwa ganze Schulklassen, betroffen sein. In diesen 14 Tagen soll das Gesundheitsamt mit den Betroffenen täglich in Kontakt stehen, um rasch zu handeln, falls Symptome auftreten sollten.
Theoretisch könne man auch in diesen Fällen statt einer direkten Isolierung zunächst warten, ob jemand Symptome entwickelt, erklärt Butt. Allerdings sei die Verlässlichkeit dieser Vorgehensweise fraglich. Daher wird eine sofortige Quarantäne angeordnet und versucht, die Untersuchungen so schnell wie möglich in die Wege zu leiten, um eine schnellstmögliche Aufhebung zu ermöglichen. Eine lange Verweildauer auf bloßen Verdacht ist laut Butt unverhältnismäßig.
Laut RKI sind Maßnahmen und massiven Anstrengungen auf allen Ebenen des öffentlichen Gesundheitsdienstes zur Eindämmungsstrategie extrem wichtig. Selbst wenn nicht alle Erkrankungen und Kontakte rechtzeitig identifiziert werden können, würden die Maßnahmen zumindest zu einer verlangsamten Ausbreitung führen. Das Hinauszögern der Erkrankungswelle und die Abschwächung der Dynamik hat den Vorteil, dass Zeit gewonnen wird. Das Gesundheitssystem kann sich währenddessen bestmöglich vorbereiten, da kontinuierlich neue Erkenntnisse zum Virus gewonnen werden. Das Virus und die Therapieoptionen können in der gewonnenen Zeit weiter erforscht, Risikogruppen identifiziert, Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Gruppen vorbereitet und Behandlungskapazitäten in Kliniken erhöht werden.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.