| Melanie Höhn |
| 18.11.2025 15:54 Uhr |
Im Jahr 2021 hingen knapp fünf Millionen Todesfälle weltweit direkt oder indirekt mit Antibiotikaresistenzen zusammen. Es wird prognostiziert, dass diese Zahl 2050 auf über 8 Millionen Todesfälle ansteigen wird. / © Adobe Stock/MZ/
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Die Forschung und Vorhaltung von Reserveantibiotika sei derzeit kaum tragfähig. »Wir laufen Gefahr, in wenigen Jahren nicht mehr ausreichend wirksame Mittel zur Verfügung zu haben«, warnte Elmar Kroth, stellvertretender Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland, in seinen einführenden Worten bei einer Presseveranstaltung anlässlich der Europäischen Antibiotikawoche.
Der Verband ruft deshalb dazu auf, den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen entschlossen fortzusetzen. Ein verantwortungsvoller Einsatz der vorhandenen Antibiotika allein genüge nicht: Nur durch gezielte Förderung von Forschung, Produktion und Vorhaltung innovativer wie bewährter Wirkstoffe könne die Versorgung langfristig gesichert werden. Es brauche dafür neue Vergütungsmodelle für Reserveantibiotika, gezielte Innovationsförderung sowie eine langfristig abgesicherte Finanzierung der Produktionskapazitäten.
»Antibiotika gehören zu den wichtigsten Produkten, die wir in der Therapie von Erkrankungen immer brauchen«, betonte Kroth. Es sei ein Thema, das den Verband schon sehr lange bewege. Allerdings stocke der Nachschub dieser Medikamente in den vergangenen Jahren und es habe es wenige neue Produkte gegeben. Es brauche jedoch immer wieder neue Stoffe, um resistent gewordene Keime zu bekämpfen, betonte er. Zudem müsse mit bestehenden Antibiotika sorgfältig umgegangen werden. Dies erfordere Kenntnisse, wie man Antibiotika richtig verwendet. Der Verband bemühe sich deshalb um Aufklärung zur richtigen Einnahme, sowohl der Patientinnen und Patienten als auch der Heilberufler.
Corinna Templin, Direktorin Market Access & Pricing bei Berlin-Chemie-Menarini, nannte es das »Reserveantibiotika-Dilemma«: Die Grundvoraussetzungen für den Marktzugang dieser Arzneimittel seien schwierig. Die Firma habe 2024 das Reserveantibiotikum Vaborem in Deutschland auf den Markt gebracht, doch es wurde lange gezögert, dies zu tun, erklärte Templin bei der Veranstaltung. Nur sehr wenige Patienten bräuchten dieses Arzneimittel, hauptsächlich werde es im Krankenhaus bei erworbenen Pneumonien oder Harnwegsinfektionen eingesetzt.
Eine weitere Schwierigkeit: Der Gesetzgeber regele sehr streng, wann Reserveantibiotika überhaupt eingesetzt werden dürften. Die Herausforderungen aus Sicht der Industrie bestünden deshalb darin, dass die Entwicklung, Produktion und Vorhaltung von Reserveantibiotika kostenintensiv und mit hohen regulatorischen Anforderungen verbunden sei. Es gebe wenig Anreize, Forschung und Entwicklung zu betreiben, weil Absatzmengen und damit auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit begrenzt seien. »Anders als bei der Entwicklung anderer neuer Wirkstoffe gibt es bei der Entwicklung und Vorhaltung von Reserveantibiotika kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Es braucht deshalb dringend strukturelle Lösungen, die diese systemrelevanten Medikamente absichern«, forderte Templin. Derzeit sei es nicht möglich, die Kosten für die Produktion dieser Arzneimittel zu decken.
Zudem würden Reserveantibiotika derzeit nicht im DRG-System berücksichtigt. Wenn ein Krankenhaus also ein Reserveantibiotikum einsetze, bekomme es das Geld dafür von den gesetzlichen Krankenkassen nicht zurück. Somit führe der Einsatz eines solchen Medikaments in einem Krankenhaus zu einem finanziellen Nachteil. »Das kann ein Anreiz sein, diese teuren Antibiotika dann auch noch seltener zu verwenden«, befürchtet Templin.
Zwar hatte der Gesetzgeber diese Problematik im Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) erkannt und die Gesetzeslage dahingehend verbessert, dass in Deutschland der Preis für ein Reserveantibiotikum frei festgelegt werden könne und dieser nicht an eine Nutzenbewertung geknüpft sei. Dennoch seien die Preise für Reserveantibiotika grundsätzlich nicht sehr hoch und würden am Ende trotzdem nicht die Kosten der Industrie decken.
Länder wie Großbritannien würden das Problem durch das sogenannte »Netflix-Modell« lösen, dabei würden die Kosten für die Reserveantibiotika abgekoppelt von der Anzahl der Patienten und der Anzahl der verkauften Packungen.