»Das Maß ist voll« |
Sven Siebenand |
04.06.2023 14:40 Uhr |
Thomas Benkert, Präsident der Bundesapothekerkammer, hat den Pharmacon Meran 2023 heute eröffnet. / Foto: PZ/Müller
»Viele der Probleme, mit denen wir heute in den Apotheken vor Ort tagtäglich zu kämpfen haben, sind nicht vom Himmel gefallen; vielmehr sind sie Folge einer nicht nur absehbaren, sondern vielmehr einer vorhergesagten Entwicklung«, so Benkerts erster Kritikpunkt bei der Eröffnung des Fortbildungskongresses. Als Beispiel führte er die überbordenden Lieferengpässe bei Arzneimitteln an. Benkert erinnerte daran, dass die Produktion von Wirk- und Hilfsstoffe schon seit Langem in preiswertere Drittländer abgewandert sei und Deutschland sich von international agierenden Konzernen und komplizierten Lieferketten abhängig gemacht habe. Die Apothekerschaft habe immer wieder darauf hingewiesen. »Getan hat sich wenig bis nichts«, konstatierte der BAK-Präsident.
Folglich sei es keine Überraschung, dass der Tagesablauf in den Apotheken von der Sorge und dem Kampf bestimmt ist, ob die Patienten mit ihren Arzneimitteln versorgt werden können. Dabei handele es sich oft um Medikamente, die für die Versorgung relevant beziehungsweise für die Patienten essenziell sind. »Daher ist es essenziell, dass wir die Patientinnen und Patienten schnell und unbürokratisch mit alternativen gleichwertigen Arzneimitteln versorgen können. Und es ist für mich völlig indiskutabel, dass wir erst zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei Großhandlungen mit entsprechender Dokumentation starten müssen, bevor wir endlich ein alternatives Präparat abgeben können.«
Wenn die Politik nicht billigend in Kauf nehmen wolle, dass die Arzneimittelversorgung immer mehr ausgehöhlt wird, müsse das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) dringend nachgebessert werden. Dies gelte auch hinsichtlich der Honorierung für die Apotheke, wenn sie für ein nicht lieferbares Arzneimittel einen gleichwertigen Ersatz sucht ‒ bis hin zur Rücksprache mit der Arztpraxis. »Die bisher vorgesehenen 50 Cent für den Austausch sind eine Missachtung unserer Leistung, eine Missachtung unseres Engagements«, kritisierte Benkert.
Die Apotheken brauchen verlässliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Der BAK-Präsident hob hervor, dass das Fixum pro Packung seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz im Jahr 2004 nur einmal angepasst wurde. Aktuell hat die Bundesregierung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz den Apothekenabschlag ab 1. Februar 2023 erhöht, das heißt das Einkommen sogar systematisch reduziert. Auch die Erhöhung der Inflationsrate gehe nicht spurlos an den Apotheken vorbei. Benkert: »Dass der wirtschaftliche Spielraum der Apotheken über die Jahre immer enger geworden ist und viele keinen mehr haben, zeigt der Rückgang der Zahl der Apotheken überdeutlich.«
»Das Maß ist voll«, betonte Benkert und sprach damit wohl sehr vielen Apothekenteams aus dem Herzen. »Wir werden am 14. Juni ein sichtbares Zeichen setzen und auf die angespannte Situation der Apotheken hinweisen. Was die Politik anderen zugesteht ‒ eine Kompensation für steigende Kosten und eine Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung ‒, das muss auch für die Apotheken gelten.« Der BAK-Präsident verwies auf den staatlichen Versorgungsauftrag der Apotheker. Dies bedinge, dass der Staat die Apotheken auch angemessen für ihre Leistungen honoriert.
Im Folgenden ging Benkert auch das Thema Nachwuchsmangel an. »Apothekerinnen und Apotheker werden händeringend in allen pharmazeutischen Tätigkeitsbereichen gesucht, vor allem aber in den öffentlichen Apotheken. Wir benötigen daher mehr Studienplätze für Pharmazie. Es sind Aufwendungen, die die Länder sinnvoll in ihre Gesundheitsinfrastruktur investieren.« Und auch die Qualität der Ausbildung sei ihm ein Anliegen. Nach mehr als 20 Jahren sei eine Novellierung der Ausbildungsordnung für Apotheker überfällig. »Ich bin stolz darauf, dass es gelungen ist, ein zwischen den Berufsfachverbänden, den Hochschullehrern und der Bundesapothekerkammer abgestimmtes Positionspapier mit Vorschlägen zur Änderung der Ausbildungsordnung zu erarbeiten. Dieses liegt dem BMG vor. Wir hoffen, es in den nächsten Wochen dem Bundesgesundheitsminister in einem persönlichen Gespräch vorstellen zu können. Und wir hoffen natürlich auf die zügige Einleitung des Novellierungsverfahrens.«
In Meran trifft sich die Apothekerschaft seit fast 60 Jahren zur Fortbildung. Mehr als 600 Teilnehmende konnte BAK-Präsident Thomas Benkert in diesem Jahr begrüßen. / Foto: PZ/Müller
Abschließend ging der BAK-Präsident auf das Thema Medikationsmanagement ein. Dabei hob er die jüngst veröffentlichten Ergebnisse des Modellvorhabens ARMIN ‒ Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen hervor. Diese haben eindrücklich gezeigt, dass Patienten von einem interprofessionellen Medikationsmanagement profitieren. Für Benkert liegt es daher klar auf der Hand, dass ARMIN nicht nur ein Modellvorhaben in Sachsen und Thüringen gewesen sein kann. »Es braucht eine bundesgesetzliche Regelung für das Medikationsmanagement durch Arzt und Apotheker. Dafür werden wir uns einsetzen.«
Mit der erweiterten Medikationsberatung von Patienten mit Polymedikation, mit oraler Zytostatikatherapie oder nach Organtransplantation gibt es auch pharmazeutische Dienstleistungen, die auf das Medikationsmanagement einzahlen. »Der Fokus in den Apotheken liegt derzeit sicher situationsbedingt auf dem Management der Lieferengpässe. Gleichwohl kann ich Sie nur dazu ermuntern, pharmazeutische Dienstleistungen anzubieten«, so Benkert. Er ist überzeugt, dass sie einerseits einen Mehrwert für die Apotheken schaffen, da diese sich mit ihrer ureigensten Expertise einbringen können. Zum anderen würden sie vor allem auch für die Patienten einen Mehrwert schaffen, den diese zu schätzen wissen.