»Das ist eine Frechheit!« |
Aus Sicht von ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening sind die Eckpunkte der Ampel-Koalition zum Lieferengpass-Management nur Hohn und Spott für die Apotheken. / Foto: ABDA/Erik Hinz
Das Bundesgesundheitsministerium hat am heutigen Dienstagmorgen die ersten Eckpunkte für ein mögliches Generika-Gesetz vorgestellt. Mit dem Vorhaben will die Ampel-Koalition die Verfügbarkeit von Arzneimitteln, insbesondere im Bereich der Kinderarzneimittel, verbessern. Unter anderem sollen die Festbeträge teils komplett wegfallen, teils nach oben korrigiert werden. Hinzu kommen neue Ausschreibungskriterien bei der Rabattvertragsvergabe. Im Apothekenbereich plant die Bundesregierung mit einer neuen Pauschale in Höhe von 50 Cent, die die Apotheken abrechnen können, wenn sie bei bestimmten Arzneimitteln Rücksprache mit einem Arzt halten müssen. Betroffen sind nur Wirkstoffe, die auf der Liste der versorgungskritischen Medikamente des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stehen. Außerdem sollen die während der Coronavirus-Pandemie eingeführten, gelockerten Abgaberegeln verstetigt werden. (Hier lesen Sie alle Details zu den Eckpunkten).
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte in einem Presse-Statement zu den Eckpunkten: »Wir haben es mit der Ökonomisierung auch in der Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten übertrieben. Besonders bei Kinderarzneimitteln spüren wir die Konsequenzen gerade besonders hart. (…) Die Discounter-Politik hat die Arzneimittelversorgung kontinuierlich über Jahrzehnte verschlechtert. Das zurückzudrehen, geht nicht über Nacht. Deswegen müssen wir bei Lieferengpässen den Apothekern helfen, ihren Kunden Alternativen anzubieten, wenn Medikamente nicht auf Lager sind. Ist ein Medikament nicht vorrätig, dürfen sie künftig ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben oder aus Pillen Säfte machen. Müssen Sie dafür mit dem Arzt Rücksprache halten, wird das zusätzlich honoriert.«
Zwei zentrale Forderungen der Apothekerschaft könnten somit schon bald umgesetzt werden. In einem ersten Statement begrüßt ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening das Vorhaben auch grundsätzlich. Es sei richtig, Patienten finanziell von Mehrkosten zu entlasten. Mit den für die Apotheken vorgeschlagenen Neuregelungen ist Overwiening allerdings überhaupt nicht zufrieden. »Über die Apotheken, die seit Monaten mit großem Engagement und Aufwand die Lieferengpässe managen und somit die Menschen zuverlässig versorgen, gießt das Ministerium aber nun offenbar Hohn und Spott aus. Jede Apotheke soll laut Ministerium genau 50 Cent für jedes erfolgreich gefundene Austauscharzneimittel bekommen - aber nur, wenn es vorher als versorgungskritisch eingestuft wurde und mit der Arztpraxis Rücksprache gehalten wurde. Das ist wirklich eine Frechheit!«
Overwiening zufolge wird die Bürokratie dadurch noch erhöht, zudem werde der teils stundenlange Arbeitsaufwand nicht einmal ansatzweise bezuschusst. »Und als Zeichen der Wertschätzung kann man dieses Almosen wohl auch kaum bezeichnen«, so die ABDA-Präsidentin. Gerade vor den bevorstehenden Notdiensten an den Feiertagen könne kein Apotheker verstehen, wie solch ein Cent-Aufschlag die Versorgungssicherheit stabilisieren oder gar verbessern soll. Overwiening malt daher ein bedrohliches Szenario: »Wenn in den nächsten Tagen alle Apotheken das Lieferengpassmanagement einstellen und keine Mühe mehr auf die Suche nach Ersatzpräparaten verwenden würden, müssten Politik und Kassen zusehen, wie die Arzneimittelversorgung in Deutschland zusammenbricht.«
Auch Thomas Preis, Chef des Apothekerverbandes Nordrhein, beschwerte sich gegenüber der PZ über die Höhe der neu geplanten Vergütung. »Endlich werden Apotheken für ihren enormen Aufwand bei den Lieferengpässen honoriert. Aber mehr als ein Almosen ist dabei nicht zu Stande gekommen. Denn die geplante Pauschale deckt nicht einmal ansatzweise die wirklichen Mehrkosten der rund 18.000 Apotheken. Nach unseren Berechnungen stehen den etwa 40 Millionen Euro monatlich an zusätzlichen Arbeitskosten der Apotheken lediglich etwa 5 Millionen Pauschale pro Monat gegenüber. Das ist rechnerisch ein Stundenlohn von unter 5 Euro. Zusätzlich werden die Apotheken ab Februar durch den erhöhten Kassenabschlag mit jährlich 120 Millionen Euro belastet. Das Eckpunktepapier des BMG ist daher aus unserer Sicht noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Zumal auch die Preisanpassungen für die pharmazeutische Industrie nicht ausreichen wird die Lieferengpässe kurzfristig zu beenden.«
Die Pharmaindustrie begrüßt das Vorhaben. Bork Bretthauer, Geschäftsführer bei Pro Generika, erklärte: »Das Bundesgesundheitsministerium hat endlich erkannt, dass das Hauptsache-Billig-Prinzip bei Generika die Versorgung destabilisiert hat und zu Engpässen führt. Es ist gut, dass sie jetzt gegensteuern will und in einzelnen Bereichen den extremen Kostendruck lockern will. (…)« Das Eckpunktepapier bezeichnete Bretthauer als einen »Startschuss« für einen mehrmonatigen Beratungsprozess. Etwas kritischer betrachtet der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) den Entwurf. Der BPI-Vorsitzende Hans-Georg Feldmeier sagte: »Die Probleme der kaputten Preise wurden zwar erkannt, aber die Umsetzung ist zu kurz gesprungen. Die Maßnahmen sind nämlich nur auf den Versorgungsbereich der Kinderarzneimittel eingegrenzt. Die Lieferproblematik betrifft aber die gesamte Grundversorgung.«
Auch der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Hubertus Cranz, ist nur bedingt zufrieden: »Grundsätzlich gehen die Überlegungen in die richtige Richtung. Allerdings dürfen aktuelle Probleme nicht allein eine Neustrukturierung des Bestandsmarktes bestimmen. Während des Gesetzgebungsverfahrens sollten langfristig stabile Strukturen geschaffen werden.« Cranz kritisierte auch die vorgesehene neue Lagerhaltungspflicht.
Für die Krankenkassen könnte das Gesetz teuer werden – die Einsparungen im Arzneimittelbereich werden voraussichtlich stark sinken. Trotzdem reagierte der GKV-Spitzenverband in einem ersten Statement durchaus verständnisvoll. Die Pharmaindustrie habe durch ihre Lieferausfälle das gesamte Gesundheitswesen unter Stress gesetzt. »Es ist absolut notwendig, dass das BMG nun eingreift, um die Arzneimittelversorgung wieder zuverlässiger zu machen«, erklärte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Verbandes. Die neuen Ausschreibekriterien begrüßt Pfeiffer. Überraschend ist, dass der GKV-SV eingesteht, dass »die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen insgesamt nicht sicherstellen, dass immer genau die Medikamente ausreichend verfügbar waren«. Allerdings: Statt kurzfristiger »Weihnachtsgeschenke für die Pharmaindustrie« fordert der Kassenverband einen Medikamentengipfel, an dem unter anderem die Apothekerschaft beteiligt ist. Die Krankenkassen kündigen zudem an, die Preiserhöhungen im Arzneimittelbereich über die Zusatzbeiträge an die Versicherten weiterzureichen. »Wir warnen vor der Annahme, dass internationale Pharmakonzerne ihre globalen Produktionsstandorte alleine deshalb ändern, weil gesetzlich Krankenversicherte künftig über ihre Krankenkassenbeiträge höhere Medikamentenpreise in Deutschland bezahlen müssen«, so Pfeiffer.