Darmbakterien als Fabriken für therapeutische Proteine |
Theo Dingermann |
08.08.2022 13:00 Uhr |
Ein Forscherteam aus Kalifornien hat Darmbakterien von Mäusen entnommen und diesen ein Gen eingefügt, das sie – zurück im Darm der Tiere – ein therapeutisches Protein produzieren lässt. / Foto: Getty Images/Science Photo Library/Steve Gschmeissner
Es steckt vermeintlich viel Potenzial in lebenden bakteriellen Therapeutika (LBT), von denen man annimmt, dass sie aus dem Mikrobiom heraus verschiedene pathophysiologische Prozesse positiv beeinflussen könnten. Zahlreiche chronische Krankheiten des Menschen, darunter Adipositas, die nicht alkoholische Fettlebererkrankung, Typ-2-Diabetes, Atherosklerose, das polyzystische Ovarialsyndrom, entzündliche Darmerkrankungen und Krebs sind in der experimentellen Medizin Ziele für LBT. Allerdings haben solche Strategien trotz großer Kreativität der Experten im Bereich der synthetischen Biologie bisher nur in Modellsystemen funktioniert, die weit vom realen System, seien es Mäuse oder der Mensch, entfernt sind. Es scheiterte fast immer daran, dass sich die veränderten Bakterien im Darmmikrobiom nicht ansiedelten.
Nun meldet eine Gruppe um Baylee J. Russell von der Abteilung für Gastroenterologie der University of California San Diego (UCSD) in La Jolla einen Durchbruch im Fachjournal »Cell«. Die Forschenden wendeten einen naheliegenden, aber wohl neuen Trick an: Statt die üblichen Laborstämme von Escherichia coli zu verwenden, isolierten sie zunächst diese Bakterien aus dem Mikrobiom von Menschen und Mäusen und statteten sie dann mit den gewünschten neuen Eigenschaften aus. Im Gegensatz zu den Laborstämmen sind diese Bakterien an das Darmmilieu ihres Wirts angepasst und haben offensichtlich keine Schwierigkeiten, sich dort wieder anzusiedeln, wenn sie nach der labortechnischen Manipulation wieder zurück transplantiert werden.
»Die Bakterien in unserem Körper sind an jeden von uns spezifisch angepasst: an die Art der Lebensmittel, die wir essen, an die allgemeinen Belastungen, denen unser Körper ausgesetzt ist oder die er auslöst, und an unseren genetischen Hintergrund«, sagt der Gastroenterologe an der UCSD und Seniorautor der Studie, Professor Dr. Amir Zarrinpar, in einer Pressemitteilung des Journals. »Diese ständig bedrohliche Umgebung ist für sie normal«, ergänzt er, und das ist ein großer Vorteil für diese residenten Bakterien.
Die Forschenden veränderten die aus dem Mikrobiom isolierten E. coli-Zellen derart, dass sie quasi zu Fabriken wurden, die nach Retransplantation in das für sie bekannte Mikrobiom dort potenziell therapeutische Proteine produzieren. »Wir wissen, dass E. coli pathogene Gene aufnehmen und Krankheiten verursachen kann. Jetzt drehen wir den Spieß um und verändern sie so, dass sich mit ihnen chronische Krankheiten behandeln, vielleicht sogar heilen lassen«, erläutert Zarrinpar.
Als Proof-of-Concept-Ansatz führten die Forschenden in die Bakterien ein Gen ein, das für eine Gallensalzhydrolase (BSH) kodiert. Nach einer einmaligen Behandlung von Mäusen mit diesen gentechnisch modifizierten E. coli- Zellen konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass der gesamte Darm der Mäuse mit diesen Bakterien besiedelt war. Zudem produzierten die Bakterien ein Mäuseleben lang das sie für fremde Enzym BSH. Die Aktivität dieses Enzyms konnte in den diabetischen Mäusen das Fortschreiten der Krankheit positiv. kontrollieren und zum Beispiel die Insulinausschüttung regulieren.
Ähnliche Versuche unternahmen die Forschenden auch mit bakteriellen Zellen, die von einem menschlichen Mikrobiom stammten.
Trotz der positiven Ergebnisse sind längst nicht alle Herausforderungen gelöst, die mit einem solchen Ansatz verbunden sind. So sind E. coli-Zellen, die an ein Darmmilieu angepasst sind, längst nicht so gut manipulierbar wie labortypische E. colis. »Viele dieser Bakterien sind sehr resistent gegen Veränderungen; das ist Teil ihres angeborenen Abwehrmechanismus«, sagt Zarrinpar. Bisher deuten die Daten deuten darauf hin, dass die Erfolgsquote beim Einfügen eines Gens in aus dem Darm isolierte Bakterien etwa 100-mal geringer ist als bei einem Laborstamm.
Aber sicherlich lässt sich der Prozess optimieren. »Es gibt jetzt viele neue gentechnische Werkzeuge, die es uns ermöglichen, diese Bakterien effektiver zu verändern«, sagt Zarrinpar. Als nächstes plant die Gruppe, diese Technologie zu nutzen, um Wege zur Behandlung weiterer Krankheiten zu entwickeln.