Corona verschärft Drogenproblematik |
«Die Lage ist für suchtkranke Menschen durch die Pandemie mehr denn je dramatisch», sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. / Foto: Getty Images/Gabriela Tulian
Die Zahl der Drogentoten in Deutschland ist inmitten der Corona-Pandemie erneut deutlich gestiegen. Wegen des Konsums illegaler Substanzen starben im vergangenen Jahr 1581 Menschen, wie die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) am Donnerstag mitteilte. Das waren 183 gemeldete Fälle (13 Prozent) mehr als 2019. Häufigste Ursache waren weiterhin Überdosierungen von Opioiden wie Heroin und Morphin. Sorgen bereiten auch Langzeitschädigungen, die zum Tod führen, und Drogen-Cocktails mit gemischten Substanzen.
Corona-Beschränkungen erschweren teils wichtige Begleitungsangebote. Ludwig sagte: «Die Lage ist für suchtkranke Menschen durch die Pandemie mehr denn je dramatisch.» Viele seien durch Corona in eine verstärkte Lebenskrise geraten. «Gewohnte Strukturen, persönliche Hilfsangebote und Ansprechpartner sind quasi von einem Tag auf den anderen weggebrochen.» Dies könne auch ein Grund dafür sein, dass sich mehr Drogenkonsumenten als in den Vorjahren das Leben genommen hätten. Suchthilfe müsse gerade jetzt in der Krise aufrechterhalten und finanziert werden. «Vor Ort kommt es weiter auf jede Hilfe an.» Hinter jedem Todesfall stehe ein tragisches Schicksal, sagte die Beauftragte der Bundesregierung. «Und es sind Zahlen, die traurig machen.»
Insgesamt gab es wie schon 2019 einen stärkeren Anstieg, nachdem die Zahl der Toten 2018 annähernd konstant geblieben war. An Opioiden wie Heroin und Morphin starben laut den registrierten Fällen nun 572 Menschen, nachdem es im Jahr zuvor 650 gewesen waren. Die zweithäufigste Todesursache waren demnach Langzeitschädigungen, die durch Drogenkonsum verursacht wurden. Daran starben nun 432 Menschen. «Wir sehen, dass gerade das Mischen von Substanzen häufig tödlich ist», sagte Ludwig. Auch Todesfälle in Verbindung mit Kokain und Crack nahmen auf 48 im vergangenen Jahr zu.
Die Bundesbeauftragte lenkte den Blick erneut auf neue Methoden, um Gesundheitsschäden bei Abhängigen zu minimieren. Darüber sollte man nicht nur nachdenken, sondern sie in Modellprojekten testen. «Beim Anti-Opiat-Nasenspray Naloxon legen wir damit bald bundesweit los.» Nötig seien eine noch flächendeckendere Versorgung mit Ersatzstoffen (Substitution) und mehr Unterstützung in «Übergangssituationen» wie bei Haftentlassungen. «All das kann Leben retten.»
In der Statistik nicht erfasst sind Folgen von Alkohol und Rauchen, die nach wie vor die größten Gesundheitsschäden anrichten. Am Konsum von Tabak sterben jährlich 127.000 Menschen, wie es im jüngsten Jahresbericht der Drogenbeauftragten hieß. In der Corona-Krise haben die Menschen in Deutschland nun weniger Alkohol getrunken als zuvor – aber wohl mehr geraucht. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor, das am Donnerstag Details zu Steuereinnahmen, Produktion und Preisen von Genussmitteln vorlegte.
Sehr stark ging demnach der Bierkonsum zurück, und zwar um 5 Liter auf 86,9 Liter pro Kopf. Als einen Grund sehen Experten fehlende Trinkgelegenheiten wegen geschlossener Gaststätten und abgesagter Großveranstaltungen.
Die steigende Zahl an älteren Drogenkonsumenten auf der ganzen Welt muss nach Ansicht von UN-Drogenexperten zu einem Umdenken führen. Regierungen schenkten dem Problem kaum Aufmerksamkeit, obwohl es epidemische Ausmaße angenommen habe, kritisierte der Internationale Drogenkontrollrat (INCB) in Wien am Donnerstag.
Der Drogenkonsum im fortgeschrittenen Alter wachse schneller als bei Jüngeren, schrieb das Gremium in seinem jährlichen Trendbericht. Dies hat aus Sicht des INCB mit der Alterung der sogenannten Baby-Boomer-Generation in reichen Ländern zu tun, die zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren geboren wurde und häufig mit verbotenen Substanzen aufwuchs. Das Phänomen tritt aber auch anderswo auf.
Studien zu Indien und Nigeria deuten auf einen beträchtlichen Konsum in der Altersgruppe von 45 bis 64 hin. In Nigeria würden Menschen über 60 häufiger Hustensäfte und Beruhigungsmittel für nicht-medizinische Zwecke nehmen als Jüngere, schrieb der INCB.
Laut INCB haben ältere Drogenkonsumenten ein höheres Risiko für Gesundheitsprobleme. Da viele sich nicht trauen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, bleiben sie oft im Verborgenen. Deshalb brauche es bessere Datenerhebungen und maßgeschneiderte Gesundheitskonzepte, sagte INCB-Präsident Cornelis de Joncheere. «Wir müssen das Stigma bekämpfen und wir brauchen eine altersgemäße Gesundheitsversorgung», sagte er vor Journalisten.
Der INCB zeigte sich auch besorgt über die Auswirkung der Pandemie auf die Versorgung mit medizinischen Schmerz- und Narkosemitteln. Manche Länder hätten Exporte beschränkt, um ihre Corona-Patienten in Intensivstationen behandeln zu können, schrieb das Gremium. Das wiederum habe zu Engpässen in anderen Ländern geführt.
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