Corona-Enquete »schlechte Schaufenster-Politik« |
Jens Spahn (CDU) wird weiterhin für seine Politik der Maskenbeschaffung kritisiert. / © IMAGO/IPON
Mehr als fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie sollen das Krisenmanagement in Deutschland und die Folgen umfassend aufgearbeitet werden. Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD bringen heute einen Antrag in den Bundestag ein, der die Einsetzung einer Enquete-Kommission vorsieht. Nach einer ersten Debatte sollen zunächst Ausschussberatungen folgen, ehe das Parlament dann die Einsetzung des Gremiums beschließt. Doch nicht jeder ist damit einverstanden.
Die Maskenbeschaffung soll zudem Thema einer Aktuellen Stunde im Plenum des Bundestags sein, die von der Linke-Fraktion beantragt wurde. Im Haushaltsausschuss werden Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und der damalige Minister Spahn erwartet. Es geht um einen Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof, die im Jahr 2024 noch von Warkens Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) eingesetzt worden war. Das Gesundheitsministerium unter der heutigen Ressortchefin Warken (CDU) distanzierte sich von dem Sonderbericht. Spahn ist heute Chef der CDU/CSU-Fraktion.
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat die geplante Aufarbeitung der Corona-Politik im Parlament als unzureichend kritisiert. Die vorgesehene Enquete-Kommission im Bundestag sei »schlechte Schaufenster-Politik, die nicht ansatzweise ausreicht, um die Corona-Zeit aufzuarbeiten«, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
»Es geht ja nicht nur um die Masken-Mauschelei, für die Jens Spahn zur Verantwortung gezogen werden muss«, sagte Wagenknecht. »Es sind weitaus schwerwiegendere Fehler gemacht worden – bis hin zu beispiellosem Unrecht.« So seien die Lockdowns in vielen Bereichen »maßlos übertrieben« gewesen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sitzt nicht im Bundestag – es hatte den Einzug bei der Bundestagswahl im Februar knapp verpasst.
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch warf Spahn und Warken mangelnden Aufklärungswillen vor. »Jens Spahn und Nina Warken scheuen Transparenz und Aufklärung wie der Teufel das Weihwasser«, sagte Audretsch den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Mit Blick auf den Bericht der Sonderbeauftragten kritisierte er: »Fünf Seiten sind vollständig geschwärzt, sieben weitere nur zur Hälfte lesbar, die Fußnoten sind auf einem Großteil der Seiten komplett unkenntlich gemacht. Besonders in den Kapiteln zu Direktverträgen mit einzelnen Unternehmen.« Dabei brauche es genau hier Transparenz. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Janosch Dahmen, sieht die Enquete-Kommission kritisch.
Der heutige CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, sagte, die Kritik an Spahns Maskenbeschaffung sei in der Art und Weise, wie sie vorgetragen werde, »fatalistisch und verlogen«. Dem »Münchner Merkur« sagte der frühere Landes-Gesundheitsminister, es rege ihn »wahnsinnig« auf, wie im Nachhinein mit denen umgegangen werde, die in der Krise mutige Entscheidungen hätten treffen müssen.
»Die Gleichen, die sich jetzt als moralische Instanzen gerieren, hätten doch auch den Finger gehoben, wenn bei der Beschaffung zu zögerlich gehandelt wäre«, meinte Holetschek.
Spahn hatte sein damaliges Vorgehen gerechtfertigt. Er begrüßte aber die geplante Einsetzung einer Enquete-Kommission. »Die Aufarbeitung der Pandemie hätte längst starten müssen«, sagte er der »Augsburger Allgemeinen«.
»Die Enquete-Kommission wird das Thema in seiner ganzen Breite betrachten, nur so lassen sich sinnvoll Lehren für die Zukunft ziehen«, sagte der CDU-Politiker. »Wir waren schlecht vorbereitet auf die Pandemie«, räumte er ein. »Das hat zu vermeidbaren Fehlern geführt.« Auch bei der Talk-Show »Markus Lanz« rechtfertigte Spahn seine Entscheidungen.
Der Titel der Kommission soll lauten: »Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse«. Die Pandemie habe die Zivilgesellschaft mit Herausforderungen »von historischer und seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannter Tragweite« konfrontiert, heißt es im Antrag. Um schwerwiegende Folgen besonders für Risikogruppen abzuwenden, sei es auf Solidarität angekommen – und eine Abwägung der Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft und eine verhältnismäßige Gestaltung von Grundrechtseingriffen.
Union und SPD vereinbarten nun im Koalitionsvertrag eine Enquete-Kommission. Das französische Wort »enquete« bedeutet Untersuchung, Befragung. Solchen Kommissionen des Parlaments gehören Abgeordnete und Sachverständige aus Wissenschaft und Praxis an.
Die Kommission soll eine Reihe von Aspekten beleuchten: Die Früherkennung mit Pandemieplänen und Vorsorge. Das Krisenmanagement mit den Bund-Länder-Runden der Ministerpräsidentenkonferenz, Krisenstäben und der Einbindung wissenschaftlicher Expertise. Den rechtlichen Rahmen und parlamentarische Kontrolle. Die Schutzmaßnahmen gegen die Virus-Ausbreitung, insbesondere mit Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Impfungen und das Beschaffen von Schutzausrüstung wie Masken und Tests. Hilfen für Unternehmen und den Arbeitsmarkt. Auswirkungen auf Kultur, Tourismus, Ehrenamtler und Vereine.
Dieser sollen 14 Abgeordnete und 14 Sachverständige angehören. Laut Antrag benennt die Union fünf Abgeordnete, AfD und SPD jeweils drei, die Grünen zwei und die Linke einen Abgeordneten. Die Sachverständigen sollen im Einvernehmen benannt werden – mit angemessener Beteiligung von Ländern und Kommunen und ausgewogener Vertretung der Wissenschaftsdisziplinen und Gesellschaftsbereiche. Kommt kein Einvernehmen zustande, sollen die Fraktionen die Experten wie nach dem Abgeordneten-Schlüssel benennen.
Einen umfassenden Abschlussbericht mit Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen soll die Kommission dem Bundestag bis zum 30. Juni 2027 vorlegen. Möglich sind auch Zwischenberichte zu abgeschlossenen Aspekten, was eine frühere parlamentarische und politische Befassung damit ermöglichen soll.
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