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Hohe Fallzahlen

Comeback der Masern und ihrer Komplikationen

Die Masern, eine fast ausgerottete virale Erkrankung, sind zurück – nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in den USA und vor allem in Europa. Die Folgen der Krankheit können schwer sein und werden häufig unterschätzt. So löscht die Infektion Teile des Immungedächtnisses.
Theo Dingermann
19.03.2025  16:20 Uhr

In den USA grassiert derzeit das Masernvirus: Bis zum 13. März 2025 wurden aus den USA insgesamt 301 bestätigte Masernfälle aus 15 Bundesstaaten gemeldet. Betroffen waren 34 Prozent Kinder unter fünf Jahren, 42 Prozent Kinder im Alter zwischen 5 und 19 Jahren und 21 Prozent Patienten, die älter als 20 Jahre waren. Bei neun der Patienten kennt man das Alter nicht. Zwei der Betroffenen sind an der Krankheit verstorben. 95 Prozent der Erkrankten waren nicht geimpft oder ihr Impfstatus unbekannt, berichten die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in einem aktuellen Report.

In Europa ist die Situation nicht besser: Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 13. März 2025 wird in der WHO-Region Europa, die auch Zentralasien umfasst, derzeit die höchste Zahl an Masernfällen seit 1997 registriert. Mehr als 127.000 Fälle wurden im Jahr 2024 gemeldet. Das sind etwa doppelt so viele wie im Jahr 2023 und ein Drittel aller Masernfälle weltweit.

Zu wenig Kinder sind gegen das Virus geimpft, berichtet die WHO. Dies gilt vor allem für Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Rumänien. Sowohl in Bosnien und Herzegowina als auch in Montenegro liegt die Durchimpfungsrate für Masern seit mindestens fünf Jahren unter 70 beziehungsweise 50 Prozent. Rumänien meldete 2024 mit 30.692 Fällen die höchste Zahl an Masern-Infektionen in der Region, gefolgt von Kasachstan mit 28.147 Fällen.

Die Schwere der Maserninfektionen wird oft unterschätzt

Die Maserninfektion verursacht eine schwere Krankheit. Von 10.000 mit Masernviren infizierten Kindern müssen 2000 im Krankenhaus behandelt werden. Etwa 1000 laufen Gefahr, aufgrund einer Ohrenentzündung einen dauerhaften Hörverlust zu entwickeln. Bei 500 Kindern wird als Folge der Infektion eine Lungenentzündung diagnostiziert. Etwa zehn Kinder erkranken an einer Enzephalitis oder einer Schwellung des Gehirns. Dies berichtet der US-amerikanische Pädiater und Impfstoffforscher Professor Dr. Peter Hotez vom Texas Children’s Hospital in einem Artikel von »NBC News«. In Europa musste laut WHO-Angaben gut die Hälfte der Erkrankten im Krankenhaus behandelt werden; bislang wurden 38 masernbedingte Todesfälle für 2024 gemeldet.

Das Virus ist höchst ansteckend, deutlich mehr als Grippe oder Corona. Jede mit Masern infizierte Person gibt die Viren durch direkten Kontakt oder Tröpfcheninfektion im Durchschnitt auf 12 bis 18 weitere Personen weiter (Basisreproduktionszahl R₀ = 12 – 18). Neun Tage lang sind infizierte Personen ansteckend: Während des zwei bis vier Tage dauernden Prodromalstadiums (katarrhalisches Stadium) und danach während des drei bis fünf Tage dauernden Exanthem-Stadiums.

Ein Infizierter kann größeren Ausbruch auslösen

Da das Virus durch Aerosole übertragen wird, kann es Menschen auch noch bis zu zwei Stunden nach dem Verlassen eines Erkrankten aus einem Raum infizieren. »Alles, was es braucht, ist ein infizierter Reisender, um einen Ausbruch auszulösen«, sagt Professor Dr. Amesh Adalja, leitender Wissenschaftler am Johns Hopkins Center for Health Security, gegenüber NBC News. Mit Herdenimmunität innerhalb einer Population ist erst zu rechnen, wenn 95 Prozent der Menschen geimpft sind. 

Trotz Impfpflicht für Kinder in öffentlichen Schulen ist in den USA die Impfrate von 95 Prozent im Schuljahr 2019/20 auf rund 93 Prozent in 2023/24 gesunken. Damit ist Herdenimmunität nicht mehr gegeben – ein Grund für die aktuelle Epidemie. 

Die steigenden Masernzahlen und die nachlassende Durchimpfungsrate weltweit sind alarmierend. Eine spezifische Therapie existiert nicht. Zudem birgt die Krankheit Risiken, die nicht in den Schlagzeilen stehen und kaum bekannt sind. Die Infektion zieht das ZNS und das Immunsystem in Mitleidenschaft. 

Das Virus löscht das immunologische Gedächtnis

So kann eine Maserninfektion mit einer sogenannten Immunamnesie einhergehen. Durch die Infektion verliert das Immunsystem Teile seiner Fähigkeit, Infektionen zu bekämpfen, gegen die ein Patient zuvor immun war. Dies erklärt eine Reihe der Symptome einer Masernerkrankung. Betroffene Patienten sind einem erhöhten Risiko für Viren und Bakterien ausgesetzt, die Lungenentzündung und Hautinfektionen verursachen können, entsprechend kommt es häufig zu Sekundärinfektionen.

Der Grund: Das Masernvirus kann über Bindung an CD150-Rezeptoren in Immunzellen gelangen. Das Oberflächenprotein wird auf verschiedenen hämatopoetischen Zellen und auf Zellen exprimiert, die eine Rolle bei der Regulierung des Immunsystems spielen. So kann der Erreger unter anderem langlebige Plasmazellen und Gedächtniszellen infizieren und zerstören,  was zu der charakteristischen Immunsuppression führt.

»Niemand entkommt dem«, sagt Professor Dr. Michael Mina vom Center for Communicable Disease Dynamics der Harvard University T. H. Chan School of Public Health in einem »NBC News«-Bericht. Mina und Kollegen konnten 2019 zeigen, dass eine Maserninfektion zwischen 11 und 73 Prozent des Antikörpervorrats einer Person zerstören kann, je nachdem, wie schwer die Infektion ist. Im Mittel sind also 50 Prozent der Antikörper nach einer Maserninfektion eliminiert.

Bis zu drei Jahre kann der Verlust des Immungedächtnisses nach einer Maserninfektion anhalten, sodass Patienten über mehrere Jahre anfälliger für andere Infektionskrankheiten sind. Die masernbedingte Sterblichkeit liegt daher vermutlich deutlich höher als die bisher dokumentierte, weil die negativen Auswirkungen auf das Immunsystem bisher kaum berücksichtigt wurden. Die Wiederherstellung des Immungedächtnisses ist ein unangenehmer Prozess: Man muss eine Reihe von Infektionen erneut durchmachen inklusive Fieber und Unwohlsein.

Worst case: Eine subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)

Auch das ZNS wird durch das Virus angegriffen: So entwickelt etwa eines von 1000 infizierten Kindern eine Entzündung des Gehirns und der Gehirnhäute (Meningoenzephalitis), die zu bleibenden Schäden führen kann. Noch erschreckender ist die nicht behandelbare Spätkomplikation namens »subakute sklerosierende Panenzephalitis« (SSPE). Dabei handelt es sich um eine Gehirnerkrankung, die einen Monat bis 27 Jahre (in der Regel sieben bis zehn Jahre) nach der Genesung von einer Maserninfektion auftreten kann. Die weltweite Prävalenz wird auf 1 zu 100.000 geschätzt. Experten zufolge könnte SSPE aufgrund des Anstiegs der Masernfälle künftig häufiger vorkommen.

Gekennzeichnet ist die Krankheit durch progrediente Symptome der Gehirnentzündung wie Demenz, Krampfanfälle, Lähmungen und Koma. Sie endet mit wenigen Ausnahmen immer tödlich, und zwar wenn Teile des Gehirns, die Vitalfunktionen wie Atmung, Herzfrequenz und Blutdruck, regulieren, zu stark geschädigt sind. 

Lebendimpfung ist wirksam und sicher

Es gibt keine kausale Therapie gegen Masernviren. Die Impfung ist die effizienteste Methode, sich gegen Masern und die Komplikationen zu schützen. Zwei Dosen des Masern-Mumps-Röteln-Lebendimpfstoffs (MMR) schützen zu 98 bis 99 Prozent lebenslang vor den Infektionen, informiert das Robert-Koch-Institut (RKI). Schätzungen zufolge haben Masernimpfungen zwischen 1974 und 2024 weltweit 94 Millionen Todesfälle verhindert.

Die aktuell schlechten Durchimpfungsraten in Europa oder in den USA gehen zum Teil auf nachlassende Impfbemühungen in den Pandemiejahren, zum Teil aber auch auf Falschinformationen über die Vakzine zurück. So publizierte der ehemalige Arzt Andrew Wakefield 2002 nachweislich gefälschte Daten hochrangig in der Fachzeitschrift »The Lancet« mit der Behauptung, dass der MMR-Impfstoff Autismus verursache. Dies hat großen Schaden angerichtet: Eine im Jahr 2020 unter der US-Bevölkerung erhobene Umfrage zeigt, dass 18 Prozent der Befragten die widerlegte Aussage, dass die MMR-Impfstoffe Autismus verursachen, immer noch für sehr oder einigermaßen zutreffend halten.

Laut RKI treten nach der MMR-Impfung bei einem von zehn Geimpften etwa sechs bis zwölf Tage nach der Impfung Impfreaktionen auf. Häufig handelt es sich um eine Rötung und Schwellung an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen und Fieber für ein bis zwei Tage. Einen Hautausschlag (sogenannte Impfmasern) entwickeln etwa 5 Prozent  der Geimpften. Dieser hält etwa ein bis drei Tage an und ist nicht ansteckend. Nach der zweiten Impfung treten die beschriebenen Symptome nur noch selten auf. Schwerere unerwünschte Wirkungen der Impfung seien selten, so das RKI.

Es sei dringend notwendig, dass Ausbrüche, wie man sie derzeit beobachtet, schnell wieder unter Kontrolle gebracht würden und dass seriöse Informationen über Impfstoffe die Diskussionen in öffentlichen Raum dominierten, sagt Dr. Hans Henri Kluge, der WHO-Regionaldirektor für Europa in der WHO-Mitteilung. Jedes Land mit einem Ausbruch müsse seine Anstrengungen verstärken, um die unzureichend geimpften Bevölkerungsgruppen zu erreichen – auch bei den Erwachsenen. »Das Masernvirus ruht nie – und wir dürfen das auch nicht.«

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