Clindamycin ist »out« |
Daniela Hüttemann |
24.08.2021 15:00 Uhr |
Zahnschmerzen sollten immer kausal behandelt werden. Antibiotika sollen nur in bestimmten Fällen verordnet werden. / Foto: Getty Images/Marian Vejcik Slovcar/500px
Laut letztem GERMAP-Bericht zu Antibiotikaresistenz und -verbrauch in Deutschland gehen 7 Prozent der humanmedizinischen Antibiotikaverordnungen auf das Konto von Zahnärzten, erläuterte Dr. Kai Voss, selbst niedergelassener Zahnarzt, bei einer gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der schleswig-holsteinischen Heilberufskammern vergangene Woche in Kiel. Daten aus dem Jahr 2010 zufolge verschrieben die Zahnmediziner in 50 Prozent der Fälle Clindamycin – »das ist zu viel«, ordnete Voss ein. »Wir brauchen Antibiotika an bestimmten Stellen, doch ist hier Amoxicillin das Mittel der Wahl. Clindamycin sollte nur bei einer Penicillin-Allergie zum Einsatz kommen.«
Er stellte anhand der aktuellen Leitlinien vor, bei welchen zahnmedizinischen Eingriffen überhaupt Antibiotika verordnet werden sollen. Liegt zum Beispiel eine odontogene Infektion vor, also eine Entzündung am Zahn oder Zahnhalteapparat (Parodontium), kann unter Umständen sogar auf Antibiotika verzichtet werden. Bei Ausbreitungstendenzen soll ein Aminopenicillin gegebenenfalls mit Betalactamase-Inhibitor gegeben werden. »Damit bekommen wir in der bakteriellen Flora odontogener Infektionen eigentlich alles erschlagen«, so Voss. Auch bei chirurgischen Eingriffen wie der Entfernung von Weisheitszähnen oder Implantaten gibt es keine klare Empfehlung für (oder gegen) Antibiotika. »Wenn, dann gibt man eher vor der OP eine Einzeldosis«, berichtet der erfahrene Zahnarzt.
Bei einer Parodontitis kommt es auf das Alter und das Ausmaß der Läsionen an. Bei Patienten mit chronischer Parodontitis und einem Alter ab 56 Jahren sollte laut Leitlinie primär keine Antibiotikatherapie erfolgen, ebenso wenig bei einem geringeren Anteil parodontaler Läsionen. Bei Patienten unter 56 Jahren und mehr Läsionen gibt es eine Kann-Empfehlung. Bei Patienten unter 35 Jahren und aggressiver Parodontitis sollte adjuvant ein Antibiotikum gegeben werden. Erste Wahl ist hier der sogenannte Van-Winkelhoff-Cocktail: Amoxicillin 500 mg plus Metronidazol 400 mg jeweils dreimal täglich für sieben Tage. Falls der Zahnarzt ein orales Antibiotikum verordnet, seien sieben Tage im Übrigen die übliche Behandlungsdauer, so Voss auf Nachfrage der PZ.
Der Vizepräsident der Zahnärztekammer und Vorstand Qualitätsmanagement wies auch darauf hin, dass Antibiotika nicht geeignet sind, um postoperative Schmerzen oder Schwellungen bei Wurzelbehandlungen zu vermeiden. »Schmerz ist niemals eine Indikation für eine systemische Antibiotikagabe«, zitierte er aus einer anerkannten Studie. Antibiotika seien auch keine Alternative zu einer Wurzelbehandlung als kausaler Therapie, sondern allenfalls eine Ergänzung. Nur bei bestimmten Abszessen seien sie indiziert. Hier entspreche das Verschreibungsverhalten deutscher Zahnärzte überwiegend nicht den Richtlinien der Fachgesellschaften, räumte Voss ein.
Sinnvoll sei dagegen eine Antibiotikaprophylaxe bei zahnmedizinischen Eingriffen zur Verhinderung einer infektiösen Endokarditis bei Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen, zum Beispiel mit Endokarditis in der Vorgeschichte oder Herzklappenersatz. Hier sollte die Antibiotikaprophylaxe, bevorzugt 2 Gramm Amoxicillin 30 bis 60 Minuten vor dem Eingriff, sogar bei einer professionellen Zahnreinigung erfolgen, da hier Erreger bei der Reinigung der Zahntaschen über kleine Verletzungen in die Blutbahn gelangen können. »Auch hier ist Clindamycin nur die Alternative bei Penicillin-Allergie«, mahnte Voss.
Warum wird trotzdem so häufig Clindamycin bevorzugt, obwohl es zum Beispiel bei odontogenen Abszessen eine deutlich höhere Resistenzrate hat? »Das beruht wohl noch auf veralteten Studien, die suggerierten, dass Clindamycin besonders gut knochengängig sei«, vermutet Voss. Obwohl dies wissenschaftlich längst widerlegt und die Bioverfügbarkeit im Zahn sogar schlechter als bei anderen Antibiotika sei, halte sich diese Annahme hartnäckig in den Köpfen, wohl auch, weil damals ein Hersteller Clindamycin entsprechend vermarktet hätte.