Cannabinoide auch für Ältere eine Option |
| Christina Hohmann-Jeddi |
| 28.10.2025 12:30 Uhr |
Chronische Schmerzen sind gerade bei älteren Menschen häufig. / © Getty Images/Halfpoint Images
Medizinalcannabis ist auch bei geriatrischen Patienten mit chronischen Schmerzen eine Therapieoption. Das machte Professor Dr. Thomas Herdegen, Stellvertretender Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, kürzlich beim Deutschen Schmerzkongress in Mannheim deutlich. Gerade bei älteren Patienten träten im Gefolge von chronischen Schmerzen auch Schlafprobleme auf, zudem seien Appetitmangel, Kachexie und psychische Beschwerden wie Angst, Unruhe und Depression häufig.
Bei solchen Symptomen sei Medizinalcannabis wirksam: »Cannabinoide verbessern den Schlaf, die Stimmung und wirkten anxiolytisch«, sagte der Pharmakologe bei einem von Stadapharm unterstützen Symposium. Dabei sei aber auch mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu rechnen. Hierzu zählen etwa Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Tachykardie, Blutdruckabfall, Mundtrockenheit, Kognitionsstörungen, Muskelentspannung und ein gesteigerter Appetit. »Diese sind aber erwartbar und kontrollierbar«, sagte Herdegen.
Die Appetitsteigerung helfe dabei, der Frailty entgegenzuwirken. Der Blutdruck nehme leicht ab und die Zahl der nächtlichen Dipper zu. Unter Dipping wird der physiologische Blutdruckabfall in der Nacht bezeichnet, dessen Ausbleiben das Herz-Kreislauf-Risiko steigert. Interessant sei, dass Medizinalcannabis auch kurzzeitig den Augeninnendruck senke, so der Referent.
Die Verträglichkeit sei auch bei geriatrischen Patienten gut. So seien in Studien keine Einschränkung der Alltagsaktivität oder ein vermindertes Überleben festgestellt worden. Auch eine Toleranzentwicklung oder Dosiserhöhung mit der Zeit wurde nicht beobachtet. Ein Problem stelle aber eine chronische Niereninsuffizienz dar, die zu einer Akkumulation der Wirkstoffe führe. Hier sei es wichtig, die Therapie mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und langsam aufzutitrieren. »Das ist auch insgesamt das richtige Vorgehen, um unerwünschte Wirkungen zu minimieren.«
Ein Vorteil sei, dass durch die Gabe von Cannabinoiden Opioide eingespart werden können. Das hat etwa eine Analyse von Patientendaten gezeigt, die 2023 im Journal »Der Schmerz« erschien. In der Studie wurde der Schmerzmittelverbrauch von 178 Patienten mit chronischen Schmerzen im Alter von durchschnittlich 72 Jahren analysiert. Sie erhielten für etwa ein Jahr ölige Dronabinol-Tropfen, Cannabis-Vollspektrumextrakte oder Nabiximols. Der Opioidverbrauch ging daraufhin um 50 Prozent zurück – unabhängig von der Cannabinoid-Dosis und dem Alter oder Geschlecht des Patienten.
Einen deutlichen Rückgang des Opiodverbrauchs durch Cannabinoid-Einnahme zeigte sich auch in einer retrospektiven Parallelgruppenuntersuchung, die Dr. Michael Überall, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, bei dem Symposium vorstellte. In der Analyse wurden Eintragungen in das Praxisregister Schmerz ausgewertet, wobei der Fokus auf Schmerzpatienten im Alter über 65 Jahre lag, die Cannabinoide erhalten hatten. Verglichen wurden jeweils etwa 480 Patienten, die entweder Dronabinol/Tetrahydrocannabinol (THC) oder Extrakte mit Cannabidiol (CBD) und THC erhalten hatten.
In diesem Vergleich erwiesen sich CBD-dominante Extrakte in Bezug auf Schmerzlinderung und Verbesserung der Lebensqualität als signifikant wirksamer als reines Dronabinol/THC. Sie waren auch besser verträglich. »Durch die Therapie mit CBD-dominanten Extrakten konnte auch die Einnahme von Koanalgetika stärker gesenkt werden als durch Dronabinol-Präparate«, berichtete Überall. Die Daten seien zur Publikation eingereicht.
In der Praxis zeige sich aber häufig noch das Problem, dass Anträge, Cannabinoide einzusetzen, von Krankenkassen nicht genehmigt würden, bestätigten beide Experten.