Candys, die Frauen zum Schwitzen bringen |
Annette Rößler |
13.02.2024 07:00 Uhr |
Nix da Süßigkeiten: Wenn Mediziner von »Candy«-Neuronen sprechen, sind KNDy-Neurone gemeint. Sie sind an der Thermoregulation beteiligt und ein neues Target bei wechseljahresbedingten vasomotorischen Symptomen. / Foto: Getty Images/Westend61/Sandra Roesch
Wenn Frauen in die Wechseljahre kommen, kann das mit einer Reihe von Beschwerden einhergehen. Hierzu zählen allgemeine Symptome wie Stimmungsschwankungen, Unwohlsein oder Kopfschmerzen, die viele Frauen gar nicht mit ihrem Alter in Verbindung bringen, aber auch »typische« Beschwerden wie vasomotorische Symptome (VMS). Diese werden landläufig auch als Hitzewallungen bezeichnet und bestehen aus mehrminütigen Episoden starken Hitzeempfindens, in denen sich Gesicht und Oberkörper röten und stark schwitzen. Direkt im Anschluss folgt häufig ein Kälteempfinden mit Schüttelfrost. Oftmals gehen Hitzewallungen mit anderen vegetativen Symptomen einher, etwa Beklemmungsgefühle im Kopf oder Brustkorb, Unruhe, Übelkeit oder Herzklopfen.
»Mehr als die Hälfte der Frauen zwischen 40 und 64 Jahren berichtet von VMS«, sagte Professor Dr. Petra Stute von der Frauenklinik Inselspital Bern kürzlich bei einer Pressekonferenz der Firma Astellas. Anlass der Veranstaltung war die EU-Zulassung des Wirkstoffs Fezolinetant beziehungsweise die unmittelbar bevorstehende Markteinführung des Fezolinetant-haltigen Medikaments Veoza™ von Astellas.
Was löst VMS aus? Hierzu habe es in den vergangenen Jahren neue Erkenntnisse gegeben, informierte Stute. Grundsätzlich habe der Mensch eine thermoneutrale Zone, also einen Temperaturbereich rund um die normale Körpertemperatur, in dem keine Temperaturregulation in Form von Schwitzen (zum Abkühlen) oder Zittern (zum Aufwärmen) stattfinde. Diese thermoneutrale Zone werde in der Menopause schmaler, sodass schon geringfügige Veränderungen der Körpertemperatur eine starke Reaktion zur Wärmeabgabe auslösen können.
»Da die Thermoregulation zentral gesteuert wird, hat man sich die Neurotransmitter genauer angesehen, die daran beteiligt sind«, sagte Stute. Dabei sei man auf die KNDy-Neurone gestoßen: Nervenzellen, die sowohl das Peptidhormon Kisspeptin als auch die Neuropeptide Neurokinin B (NKB) und Dynorphin A enthalten (siehe Kasten). KNDy-Neurone im Hypothalamus seien sowohl an der Steuerung des Zyklus über das Gonadotropin-freisetzende Hormon (GnRH) als auch an der Thermoregulation beteiligt. »Nach der Menopause ist das KNDy-Signalsystem im Hypothalamus hypertrophiert«, berichtete die Gynäkologin. Daraus habe man geschlossen, dass die KNDy-Neuronen das Bindeglied zwischen den endokrinen Veränderungen während der Menopause und VMS darstellen.
Die KNDy-Neurone im Hypothalamus werden durch NKB stimuliert und durch Estrogen gehemmt. Da der Estrogenspiegel im Verlauf der Wechseljahre abnimmt, überwiegt schließlich der aktivierende Einfluss des NKB und die Nervenzellen hypertrophieren. Dadurch können Schwankungen des Hormonspiegels, wie sie für die Wechseljahre typisch sind, leichter überstarke Reaktionen wie Hitzewallungen auslösen.
Kisspeptin ist das Genprodukt des Gens KiSS1 und Ligand des KiSS1-Rezeptors. Der Name erinnert nicht zufällig an einen Kuss: Entdeckt wurde KiSS1 in Hershey im US-Bundesstaat Pennsylvania, eine Stadt, die vor allem für eine Schokoladen-Süßigkeit namens Hershey Kisses bekannt ist. Über KiSS1 wusste man zunächst nur, dass es die Metastasierung bei Krebs unterdrückt; später fand man zudem heraus, dass Kisspeptin die Pubertät, den Menstruationszyklus und auch das Sexualverhalten beeinflusst.
An der Auslösung der Pubertät ist ebenfalls Neurokinin B (NKB) beteiligt. NKB bildet zusammen mit Neurokinin A und Substanz P die Klasse der Neurokinine, die ihre physiologischen Effekte über die drei Neurokinin-Rezeptoren NK1, NK2 und NK3 vermitteln. Dabei binden alle drei Rezeptoren prinzipiell alle Neurokinine, NK1 jedoch bevorzugt Substanz P, NK2 Neurokinin A und NK3 Neurokinin B. NK1 wird bereits als pharmakologisches Target genutzt: NK1-Rezeptorantagonisten wie Aprepitant und Fosaprepitant verhindern die Bindung von Substanz P an diesen Rezeptor im Brechzentrum des Gehirns und verstärken so die antiemetische Wirkung von 5-HT3-Rezeptorantagonisten bei Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen.
Dynorphin A schließlich ist ein endogenes Opioid, das an den κ-Opioidrezeptor bindet. Dynorphine wirken analgetisch und sedierend; sie können zudem eine Dysphorie auslösen beziehungsweise eine (durch Kokain ausgelöste) Euphorie antagonisieren.
Mit Fezolinetant ist seit Monatsbeginn ein NK3-Rezeptorantagonist auf dem deutschen Markt verfügbar. Er dient zur Behandlung von moderaten bis schweren VMS, die mit der Menopause assoziiert sind. Betroffene Frauen nehmen einmal täglich eine Filmtablette mit 45 mg Wirkstoff ein. Laut Astellas konnte in den Zulassungsstudien gezeigt werden, dass Fezolinetant Schwere und Häufigkeit von VMS-Episoden signifikant stärker senkt als Placebo. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Durchfall und Schlafprobleme.