BVVA erwägt eigenes Vergütungsgutachten |
Cornelia Dölger |
24.04.2024 13:56 Uhr |
Es sei »nicht ganz klar, wessen Interessen beim Minister eigentlich Gehör finden«, so die BVVA-Vorsitzende Heike Gnekow in ihrem berufspolitischen Bericht. / Foto: 2022 Fräuein Fotochrom | Julia Koplin
Wenn Details zu der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Apothekenreform bekannt seien, würde ein solcher Schritt erwogen, kündigte Heike Gnekow, erste Vorsitzende des BVVA, gestern bei der Jahrestagung des Verbands in Mainz an.
Die von Lauterbach angepeilte Umverteilung führe nicht wie dargestellt zu einer Stärkung der Landapotheken, so Gnekow in ihrem berufspolitischen Bericht, der der PZ vorliegt. »Wir lehnen diese Pläne des Bundesgesundheitsministers als ungeeignet und schädlich ausdrücklich ab.«
Gestern war der Gießener Volkswirt Professor Georg Götz in seinem Gutachten, das er anlässlich des diesjährigen Wirtschaftsforums des Deutschen Apothekerverbands (DAV) in Potsdam vorstellte, zu einem ähnlichen Schluss gekommen; demnach eignen sich die BMG-Pläne nicht, um ertragsschwache Offizinen zu stärken.
Sobald Details zur Apothekenreform, die eigentlich heute im Kabinett beschlossen werden sollte, zu der es aber bis dato noch nicht einmal einen Referentenentwurf gibt, bekannt würden, werde ihn der BVVA mit Bezug auf seine Versorgungsbereiche bewerten und entsprechend Stellung beziehen. Beteiligt seien andere Spezialverbände, etwa der DAH2KA und der VHA (Verbände mit den Schwerpunkten HIV/Hepatitis sowie Hämophilie).
»Vielleicht finden ja noch einige Punkte des gerade veröffentlichten Vorschlags der FDP ihren Weg in den Entwurf«, so Gnekows Hoffnung mit Bezug auf die Reformvorschläge der Thüringer FDP, die unter anderem eine Anhebung und Dynamisierung des Fixums, die Einführung einer Zuschlagskomponente beim variablen Honoraranteil und die Absenkung des Kassenabschlags vorsehen.
Der BVVA würde auch über neue Rechtsformen für Apotheken nachdenken und hat dies intern prüfen lassen. Dabei gelte stets: »Die Grundpfeiler des heutigen Apothekensystems, das Fremdbesitzverbot, das Mehrbesitzverbot sowie die persönliche Leitung der Apotheke durch einen Apotheker oder eine Apothekerin sind auch die Grundpfeiler aller Überlegungen zu einer neuen Gesellschaftsform.« Voraussetzung bei solchen Diskussionen sei, dass Grundannahmen und Ansätze »nicht absichtlich verfälscht« würden.
Doch beim BVVA weiß man auch, dass solche Überlegungen bewusst missverstanden werden können. Zweifel an der Berechenbarkeit der Politik Lauterbachs seien der Grund, warum der BVVA das Gutachten bislang nicht öffentlich gemacht habe. Es sei »nicht ganz klar, wessen Interessen beim Minister eigentlich Gehör finden«, so Gnekow.
Als Beispiel zog sie das Vorgehen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) heran, das in der Gematik-Gesellschafterversammlung das Card-Link-Verfahren gegen die Widerstände aller anderen Gesellschafter durchgedrückt hatte. Auch die Teillegalisierung von Cannabis »letztlich gegen die Empfehlung von Polizei, Gerichten, Ärzten und Apothekern« belege die Unberechenbarkeit.
Was sich in den Versorgungsbereichen des BVVA im vergangenen Jahr getan hat und was demnächst ansteht, schlüsselte Gnekow im Folgenden auf. Die durch das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) erneuerten Bevorratungspflichten in der Krankenhausversorgung kritisierte Gnekow. »Eine erhöhte Bevorratung ist in unseren Augen kontraproduktiv, da sie insgesamt die Lieferengpässe nur weiter verschärft.« Diese Kritik habe der BVVA in seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, woraufhin die Bestimmunen abgemildert worden seien. Der Kontakt zur Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sei zuletzt, auch über ein Fachgespräch des VZA im BMG zur Zytostatikaversorgung, ausgebaut worden.
Netzwerkarbeit im Hintergrund sei auch in puncto Substitutionsversorgung passiert. Für den »Dauerbrenner« beim BVVA, die Vergütung beim Sichtbezug, fordere der Verband weiterhin eine einheitliche Lösung; bislang sind die Länder hier federführend.
Der BVVA fordere zudem mehr Rechtssicherheit sowohl in der Substitutions- als auch in der Palliativversorgung für die sektorenübergreifende Vor-Ort-Kooperation in der Arzneimittelversorgung. Nach wie vor gebe es hier keine gesetzlichen Regelungen.
Ausführlicher ging Gnekow auf das Problem der Chargenübermittlung per E-Rezept ein, das verblisternde Apotheken betrifft. Bei der Belieferung von E-Rezepten muss der so genannte E-Abgabedatensatz ans Rechenzentrum übermittelt werden; so schreibt es der Schiedsspruch zur Arzneimittelabrechnungsvereinbarung vor. In dem Datensatz sind Informationen für die Abrechnung sowie die Chargenbezeichnung des Arzneimittels enthalten.
Die Pflicht gilt bei authentifizierungspflichtigen Arzneimitteln mit einem Data-Matrix-Code auf der Verpackung. Heimversorgende Apotheken, die patientenindividuell verblistern, stellte diese Regelung allerdings in der Praxis vor eine unlösbare Aufgabe, denn die einzelnen Packungen gelangen ja nicht mit in den Blister, sodass zum Zeitpunkt der der Rezeptverarbeitung die Charge noch gar nicht bekannt ist.
Eine Ausnahmeregelung, die erlaubt, statt der Chargennummer den Begriff »STELLEN« in das entsprechende Datenfeld einzutragen, soll Abhilfe schaffen. Sie greift, bis eine eine technische Lösung gefunden ist, die Übermittlung zeitgleich mit der Rezeptabrechnung vorzunehmen oder nachreichen zu können. Dafür haben sich DAV und GKV-SV auf eine entsprechende Ergänzung der Arzneimittelabrechnungsvereinbarung gemäß § 300 Absatz 3 SGB V verständigt. Die PZ hat über die spezifischen Probleme der heimversorgenden Apotheken berichtet.
Gnekow begrüßte die Übergangslösung. »Für den Moment ist dies gut machbar, in vielen Fällen wird das Feld in der Software nun automatisch ausgefüllt.« Gleichwohl müsse eine rechtssichere und praktikable Dauerlösung her, forderte die BVVA-Vorsitzende. Dazu sei man mit dem Bundesverband der Patientenindividuellen Verblisterer (BPAV) und mit dem DAV in Gesprächen.
Zum Thema E-Rezept gibt es laut Gnekow weiteren Klärungsbedarf – zunächst vor allem für die Heimversorgung, denn für die Palliativ- und Substitutionsversorgung wird es erst ernst, wenn ab 2025 das E-Rezept für Betäubungsmittel kommt. Bei der Heimversorgung also sei die Diskussion über die Zuweisung wenig hilfreich, so Gnekow. Hier vertrete der BVVA eine andere Rechtsauffassung als die ABDA, die der Meinung sei, dass E-Rezepte nicht per KIM vom Arzt an die Apotheke geschickt werden dürften.
In einem Rundschreiben habe der BVVA seine Ansicht dargestellt, wonach der Bewohner einer Pflegeeinrichtung in die Versorgung über eine bestimmte Apotheke einwillige. Nach dieser Lesart finde eine Zuweisung bei Ausstellung des Rezeptes gar nicht statt, sondern der Patient sei zu diesem Zeitpunkt bereits der Apotheke zugewiesen beziehungsweise habe sich aktiv für die Versorgung ausgesprochen, so Gnekow.
Zudem gebe es einen Heimversorgungsvertrag, der die Zusammenarbeit zwischen Heim und Apotheke regele. »Und die schlanke Zusammenarbeit ist doch in diesem Fall gewollt, damit Heimbewohnerinnen schnell versorgt werden.« Vor diesem Hintergrund erscheine ihr die Diskussion »völlig abstrus«, betonte Gnekow.
Am Herzen lag der BVVA-Vorsitzenden das Thema pharmazeutische Dienstleistungen (pDL), für die es seit zwei Jahren eine Vergütung gibt – »nun müssen wir abliefern«, appellierte Gnekow. Angespochen fühlen sollten sich verblisternde Apotheken, die von den pDL profitieren könnten; schließlich sei die Basis für patientenindividuelles Verblistern die Medikationsanalyse – die sich die Apotheken bezahlen lassen können. Gnekow forderte die Apotheken »ausdrücklich« auf, diese Dienstleistung abzurechnen. Andernfalls drohe das bereitgestellte Geld gestrichen zu werden oder anderen Zwecken zuzufallen. Das dürfe nicht passieren, warnte Gnekow. »Seit Jahrzehnten kämpfen wir dafür, dass wir unabhängig von der Packungsabgabe bezahlt werden – nun müssen wir es umsetzen!«
Zum Schluss zog Gnekow einen Bogen weit über die Berufspolitik hinaus und richtete den Blick auf die anstehende Europawahl. In einem leidenschaftlichen Plädoyer unterstrich sie die europäischen Errungenschaften. »Europa bedeutet Frieden und Freiheit und Demokratie.« Letztere sei nicht selbstverständlich, es gelte, sie zu schützen. »Der Ausgang dieser Wahl darf uns nicht gleichgültig sein«, denn »wir haben in meinen Augen eine Verantwortung als Arbeitgeberinnen, als leitende Mitarbeiter, als Bürger«.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.