Buyx fordert sektorenspezifische Unterschiede beim Datenschutz |
Melanie Höhn |
27.04.2023 17:00 Uhr |
Professor Alena Buyx ist überzeugt: Es muss Sicherheit in der Datennutzung geschaffen werden, aber gleichzeitig muss es mehr Datennutzung geben. / Foto: André Wagenzik
»Sag mir, wie es gut und sicher geht – sag mir nicht, wie es nicht geht, denn das weiß ich« – diesen Satz will Alena Buyx, Vorsitzende des Ethikrates und Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der Technischen Universität München, in den Köpfen aller Multiplikatoren und Entscheider in Deutschland verankert wissen: »Ich möchte, dass ihr zu euren Datenschützern geht und ihnen genau das erklärt«, forderte sie auf dem DAV-Wirtschaftsforum. Die Medizinethikerin ist überzeugt: »Das Verhältnis in der Betrachtung von Chancen und Risiken der Digitalisierung ist in Deutschland unausgewogen« und es gebe »teils echte regulatorische Hemmnisse«.
Buyx zufolge geht es darum, zum einen Sicherheit in der Datennutzung zu schaffen, »aber gleichzeitig unbedingt mehr Datennutzung haben« – dies sei zentral wichtig. Sie fordert, das Verhältnis zwischen Chancen und Risiken im Gesundheitswesen zu adjustieren, denn es würden viele positive Dinge verloren gehen, wenn zu stark darauf geachtet werde, welche Risiken eingegangen werden. »Es gibt keine Nullrisiken, nirgendwo«, so Buyx. Wichtig sei, eine »angemessene, verantwortliche informationelle Freiheitsgestaltung« in einer »digital vernetzten Welt« zu schaffen. Die Wissenschaftlerin ging dabei auf eine »Multiakteursverantwortung« ein: »Wir müssen das alles auf mehreren Schultern verteilen. Die Herausforderung und die Verantwortung liegt bei uns allen«, sagte sie. Dies bedeute zum Beispiel, dass die Institutionen im Gesundheitswesen mithelfen und einen Teil von Verantwortung übernehmen müssen. Buyx ruft aber auch die Juristinnen und Juristen dazu auf, einzuschätzen, »was geht und was nicht«.
Datenschutz darf laut Buyx nicht dazu dienen, bestimmte Initiativen für wichtige soziale und individuelle Güter zu verhindern – es müsse deshalb ein »weiteres dickes Brett« gebohrt werden und sektorenspezifische Unterschiede ausgemacht werden: »Es kann nicht dasselbe sein, ob ich die nächste Flugreise suche oder ob es um Dinge geht, die mit meiner Gesundheit zu tun haben. Wir müssen verstehen, dass es einen Unterschied gibt zwischen vollkommen kommerzieller Datennutzung, die kontinuierlich läuft, und der kostbaren Datennutzung, die wir im Gesundheitswesen machen können. Das ist ein ethischer Unterschied.« Es gelte, »Datenschutz im Gesundheitswesen als Teil von Lebens- und Gesundheitsschutz auszugestalten, nicht als deren Gegenteil«, wie ein Gutachten des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen besage.
Buyx geht es um eine »ethisch verantwortliche Digitalität«: »Wie können Gesundheitsdaten besser für medizinische Vorsorge, Diagnostik und Behandlung genutzt werden und gleichzeitig das Recht von Menschen auf Privatsphäre geschützt werden? Wie können etwa der Schutz der informationellen Selbstbestimmung gesichert und gleichzeitig wichtige soziale Güter, insbesondere für das Gemeinwohl, durch Digitalisierung besser erreicht werden?«, fragte sie und erklärte weiter: »Wir brauchen viel mehr gemeinwohlorientierte Datennutzung in der Medizin und das bedeutet, dass wir ganz klar für ein Opt-out-Verfahren für die elektronische Gesundheitskarte (EPA) votieren, weil man die informationelle Selbstbestimmung damit weiterhin respektieren kann.«
Auf die Frage, was sich ändern muss, damit das E-Rezept schneller in die Versorgung kommt, erklärte Buyx: »Wenn ich einen Wunsch hätte, dann wäre das, dass man sehr viel schneller miteinander arbeitet. Da müssen alle ihr Ego herunterschrauben«. Es gehe nicht darum, wer sich durchsetze, sondern darum, »dass am Ende eine datensichere, pragmatische und gute Lösung schnell herauskommt«.
All die Überlegungen zur Digitalisierung werden laut Buyx noch dringlicher vor dem Hintergrund der Künstlichen Intelligenz (KI): Für die Ärztinnen und Ärzte habe der Ethikrat bereits formuliert, dass eine »vollständige Ersetzung von ärztlichem Personal dem Patientenwohl entgegensteht und auch dann nicht zulässig ist, wenn es in diesen Bereichen bereits Personalmangel gibt«. Etwas Ähnliches würde Buyx für die Apothekerschaft formulieren, sagte sie beim DAV-Wirtschaftsforum: »Aber was man sich dabei klarmachen muss: Das kriegen wir in 10, 15 oder 20 Jahren nur durch, wenn wir als Berufsstand wirklich zeigen, was uns unersetzlich macht«, erklärte die Medizinethikerin.
Welche Teile der Arbeit delegiert werden können und sollten, wenn sie bestimmte Aufgaben präziser, besser und schneller ausführen, »ohne dass wir überflüssig werden«, müsse geprüft werden. »Wo ist das Ende von dem, was wir digital anbieten können und sollten? Wo ist der Kern unseres Berufs? Welche Dienstleistung können oder werden wir ziehen lassen müssen?« Diese Fragen müsse man sich stellen und dazu müsse auch der Nachwuchs gut ausgebildet werden: »Das ist eine riesige Herausforderung, aber auch eine große Chance«, ist Buyx überzeugt. »Das Wichtigste ist der Wechsel der Perspektive«.