Brandenburger Apotheker kritisieren Lauterbach |
Melanie Höhn |
07.09.2022 15:00 Uhr |
Jens Dobbert, Präsident der Landesapothekerkammer Brandenburg, spricht von einer »Bedrohung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung«. / Foto: LAKBB
Das Bundesgesundheitsministerium will mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz den Kassenabschlag in den Jahren 2023 und 2024 auf 2 Euro erhöhen. Um das Finanzloch in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stopfen, sollen so im Apothekensektor 170 Millionen Euro eingespart werden. Inzwischen zeichnet sich allerdings ab, dass die Bundesländer im Bundesrat Einspruch dagegen einlegen. Der Gesundheitsausschuss sieht in der Erhöhung des Abschlags eine Gefährdung der Vor-Ort-Apotheken.
Vor den massiven Einsparungen bei den Apotheken warnen nun auch 265 Apothekerinnen und Apotheker aus Brandenburg in einem Schreiben, das gestern veröffentlicht wurde. Obwohl die Apothekerinnen und Apotheker im Rahmen der Pandemie immer wieder die ihnen von der Politik vielfältig zugewiesenen zusätzlichen Aufgaben trotz der bestehenden Personalknappheit zuverlässig erfüllt hätten, um den Patientinnen und Patienten zu helfen, würden sie durch dieses geplante Gesetzesvorhaben existenziell bedroht, heißt es in dem Schreiben.
»Die aktuellen Planungen befremden uns umso mehr, weil bei den Apotheken definitiv keine Effizienzreserven mehr vorhanden sind«, betonte Olaf Behrendt, Vorsitzender des Landesapothekerverbands Brandenburg. Das erkläre sich insbesondere daraus, dass die Arzneimittelpreisverordnung als Grundlage der Apothekenvergütung bis auf eine geringfügige Ausnahme seit nunmehr 18 Jahren nicht angepasst wurde. Alle Preissteigerungen bei Mieten, Mitarbeitergehältern, Energiekosten oder wenn sie durch Inflation verursacht wurden »mussten und müssten demnach aus gleichbleibenden Vergütungen finanziert werden«, so Behrendt. »Dadurch ist der Anteil der Apothekenhonorierung an den Gesamtausgaben der GKV inzwischen auf nur noch 1,9 Prozent gesunken. Der Anteil des Staates durch die Erhebung des vollen Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel und der Anteil der Verwaltungsausgaben der Krankenkassen liegen dagegen ungleich höher«, sagte Behrendt weiter.
Nichts belege »die Bedrohung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung eindrucksvoller als die seit Jahren sinkende Zahl der Vor-Ort-Apotheken – auch und besonders in der Coronazeit«, ergänzte Jens Dobbert, Präsident der Landesapothekerkammer Brandenburg. »Während schon zum Ende des Jahres 2021 bundesweit netto 291 Betriebsstätten weniger zu verzeichnen waren, sank deren Zahl im ersten Halbjahr 2022 erneut um 205 Apotheken gegenüber dem Vorjahreszeitraum ab. Kumuliert sind so in nur eineinhalb Jahren netto fast 500 Apotheken aus der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung verschwunden.« Auch die ABDA sprach in diesem Zusammenhang kürzlich von einem neuen Tief und warnte vor einer Schwächung der Apotheken im Zuge des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes.
Das den Apotheken vorgerechnete Umsatzplus in den Pandemiejahren sei in der Praxis nicht als Gewinnplus angekommen, so Dobbert. Denn Apotheken würden immer nur dann geschlossen, wenn sie nicht verkauft werden können. Jede Schließung bedeute damit eine Pleite, für die letztlich die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen verantwortlich sind. Daran könnten auch die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen nichts ändern. Hierfür wurden zwar 150 Millionen Euro zusätzlich an Honorar zur Verfügung gestellt – mit der Anhebung des Kassenabschlages solle den Apotheken gleichzeitig jedoch ein vergleichbarer Betrag entzogen werden. Unter dem Strich bliebe ihnen damit mehr Arbeit für das gleiche Honorar.
In diesem Zusammenhang verweisen Behrendt und Dobbert ausdrücklich auf die mehrheitlich unterstützte Initiative des Landes Brandenburg im Gesundheitsausschuss des Bundesrates, die darauf abzielt, auf die Anhebung des Apothekenabschlages zu verzichten. Die Apothekerinnen und Apotheker appellieren an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dieser Empfehlung zu folgen.
Vor allem in ländlichen Regionen wie in großen Teilen Brandenburgs bedeuteten geschlossene Apotheken nicht nur den Verlust von flexiblen und wohnortnahen Arbeitsplätzen, vor allem für qualifizierte Frauen, heißt es in dem Schreiben weiter. Besonders für ältere und immobile Mitbürgerinnen und Mitbürger folge daraus eine deutliche Verschlechterung ihrer Regelversorgung, wenn sie plötzlich erheblich größere Entfernungen bis zur nächsten Apotheke zurücklegen müssten. Gerade diese letzten Kilometer lege kein Versandhandel zurück, so wie sich Lieferdienste oder Carsharing-Angebote auch nur in dichtbewohnten Städten ansiedeln, weil sie sich sonst einfach nicht rentierten, so Dobbert und Behrendt.
Schließlich forderten die Apothekerinnen und Apotheker den Bundesgesundheitsminister dazu auf, seinen Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass es in Brandenburg endlich auch ein Pharmaziestudium gibt. Denn das wäre die einzig wirksame Möglichkeit, dem Personalmangel in den Apotheken ihres Bundeslandes entgegenzuwirken und die Versorgungslage dauerhaft zu stabilisieren. Dass Brandenburg weiterhin unsolidarisch auf die Studienabgänger anderer Bundesländer zurückgreife, müsse ein Ende haben.
Die Absender der Briefe luden Karl Lauterbach oder auch Mitglieder der Leitungsebene seines Hauses zu einem Besuch in ihre Apotheke ein. Am konkreten Beispiel vor Ort ließe sich wohl am besten erklären, wie bedroht die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch die Apotheken inzwischen sei. Das könnten die Besucher am fehlenden Personal, an nicht lieferbaren Arzneimitteln, an fehlentschiedenen Rabattverträgen zwischen Industrie und Krankenkassen, an unsinnigen bürokratischen Hürden oder nicht zuletzt an der Dankbarkeit und Wertschätzung der Patienten sehen.