BMG zahlte 791 Euro für Paxlovid |
Jennifer Evans |
26.11.2024 14:54 Uhr |
Derzeit muss sich ein Berliner Apotheker dafür verantworten, ohne Rezept Paxlovid verkauft zu haben. Ihm wird Untreue in besonders schwerem Fall vorgeworfen. / © Adobe Stock/Mike Mareen
Am dritten Verhandlungstag im Verfahren gegen einen Berliner Apotheker ging es erneut darum zu klären, wie viel Schaden dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) durch seine vermeintliche Straftat entstanden ist. Der Angeklagte hatte während der Pandemie 2701 Packungen Paxlovid ohne Rezept verkauft und damit rund 112.500 Euro eingenommen. In den Augen der Staatsanwaltschaft beläuft sich der Schaden jedoch auf 1,7 Millionen Euro. Sie rechnet nämlich mit dem BMG-Einkaufspreis, der in der Öffentlichkeit mit 665 Euro bekannt ist. Es stellte sich also die Frage, wie ist der wirkliche Marktwert?
Doch noch bevor die für heute geladene Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin Stefanie Weisner ihre Analyse präsentierte, verlas der Vorsitzende Richter ein Schreiben aus dem BMG, unterzeichnet von Thomas Müller, Abteilungsleiter Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie. Darin nannte Müller den seinerzeit tatsächlichen Einkaufspreis der Paxlovid-Packungen. Und zwar lag dieser je Schachtel bei 791 Euro brutto.
Das war insofern überraschend, als seine Ministeriumskollegin noch beim letzten Verhandlungstag im Zeugenstand keine Aussage zur konkreten Summe machen durfte – sie hatte vom Ministerium nur eine »eingeschränkte Aussagegenehmigung« erhalten. Im Ressort von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) befürchtete man eine geschwächte Verhandlungsposition bei zukünftigen zentralen Bund-Beschaffungen.
Zum Hintergrund: Die Bundesregierung hatte 1 Million Packungen Paxlovid gekauft und im November 2022 per Allgemeinverfügung geregelt, dass Vor-Ort-Apotheken das Covid-19-Medikament abgeben dürfen – sofern ihnen ein Rezept vorliegt. Paxlovid verblieb aber Eigentum des Bunds, war also nicht im freien Handel verfügbar.
Die Sachverständige Weiser legte den Richtern heute die Methoden und Kriterien dar, mit denen eine solche Bewertung in der Wirtschaft gemäß Handelsgesetzbuch in der Regel abläuft. Und zwar bezogen auf einen bestimmten Stichtag, für den sie exemplarisch den 1. Januar 2023 wählte. Außerdem berücksichtigte sie – sofern als möglich – die Verlängerungen in puncto Haltbarkeit des Medikaments, die Hersteller und BMG im Laufe der Pandemie immer wieder anpassten.
Ihr Fazit: Das BMG hat auf Basis der ihr vorliegenden Zahlen nicht zu viele Paxlovid-Packungen gekauft. Zumal dem Ministerium zum Stichtag vermutlich keine Informationen zur Wertminderung vorgelegen hätten. Auf Null-Wert herabsetzen ließen sich jedoch etwa jene Schachteln, deren Haltbarkeit bekanntermaßen im Laufe des Betrachtungszeitraums verfallen würden. Am Jahresabschluss sei aber immer eine Anpassung möglich. Mit anderen Worten: Wird ein anderer Stichtag angesetzt, lässt sich auch mit anderen Erkenntnissen rechnen und anders planen. Speziell in der Corona-Pandemie sei vieles nicht vorhersehbar gewesen, betonte sie.
Grundsätzlich ermittelt ein Unternehmen laut der Sachverständigen anhand des Anschaffungspreises und entsprechenden Nebenkosten wie Liefer-, Immobilien- und Frachtkosten den Wert eines Produkts. Lager- und Betriebskosten wären jedoch nicht Teil der Berechnung. Verschiedene Corona-Varianten und entsprechende Krankheitsverläufe oder Nebenwirkungen hatte Weiser nach eigenen Angaben ebenfalls nicht bei ihrer Einschätzung einbezogen.
Mehrfach wies die Wirtschaftsprüferin darauf hin, dass sich bei einer solchen Auswertung kein »harter Wert« ermitteln ließe, weil eine Bewertung generell »nicht mathematisch darstellbar« sei. Sie riet dazu, anhand von konkreten Chargen-Daten und drei Erwartungsszenarien (Best-, Middle- and Worst Case) sowie unter Einbeziehung eines Sicherheitsabschlags einmal genauer zu kalkulieren, ob der zugrunde liegende Wert realistisch sei. Zudem müsse für tiefgreifendere Analysen klar sein, welche Informationen, Daten oder Erkenntnisse offiziellen Stellen wie etwa dem Robert-Koch-Institut (RKI) zu welchem Zeitpunkt vorgelegen hätten. Dazu empfahl sie, zusätzlich naturwissenschaftliche Experten zu Rate zu ziehen.
Vor allem die Verteidigung hatte immer wieder auf eine Bewertung des tatsächlichen Marktwerts der Paxlovid-Packungen gepocht, den sie angesichts des Werteverfalls offenbar gerne zugrunde legen würde. Dafür hatte der Verteidiger eigens eine Erklärung verfasst. Immerhin geht es um den Vorwurf von Untreue in besonders schwerem Fall.
Der Staatsanwalt dagegen hielt eine »ökonomische Bewertung« in dieser Form für »nicht zielführend«, da sich der Wert in diesem speziellen Fall »am Erstattungssystem« orientiere. Gemeint ist wohl, dass die Apotheken das Corona-Medikament nicht mit den Kassen, sondern mit dem Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) abrechneten und die Vergütungshöhe von 30 Euro netto für die Offizin und 20 Euro für den Großhandel fix waren.
Der nächste Verhandlungstag ist für den 3. Dezember angesetzt.