BMG will mehr Apotheken für Substitutionstherapie gewinnen |
Melanie Höhn |
14.11.2022 18:00 Uhr |
Im Jahr 2017 wurde die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) zum dritten Mal geändert und an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. / Foto: imago/Science Photo Library
Ein Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zeigt, dass die Versorgungssituation bei der Substitutionstherapie von Opioidabhängigen nach wie vor kritisch ist und die Neugewinnung von substituierendem Nachwuchs eine große Herausforderung darstellt. Insbesondere in ländlichen Regionen Deutschlands wird die Versorgungssituation laut Bericht, der der PZ vorliegt, zunehmend bedrohlich. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert (SPD) ist davon überzeugt, dass Apotheken einen wichtigen Beitrag leisten können, um die Substitutionstherapie in Deutschland zu sichern, wie er gegenüber der PZ erläuterte. »Wir müssen noch mehr tun, um diese Behandlung direkt bei den Patientinnen und Patienten ankommen zu lassen. Dabei möchte ich die Rolle der Apotheken vor Ort stärken, noch mehr Apothekerinnen und Apotheker für die Substitution zu gewinnen«, sagte er. Um die Substitutionstherapie weiterhin flächendeckend anzubieten, hatte das BMG im Oktober den inzwischen vierten Runden Tisch zu diesem Thema einberufen.
Generelles Problem sei, dass es ein verändertes Berufsverständnis in den Heilberufen gebe und man Wege finden müsse, wie man dem begegnen könne, um die Versorgung sicherzustellen – auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, hieß es aus BMG-Kreisen. Hierbei seien die Politik sowie alle Akteure aus dem Gesundheitswesen gefragt, dies als ihre gemeinsame Aufgabe zu verstehen. Zunächst sei es wichtig, das Thema zu entstigmatisieren – dies betreffe sowohl die Konsumierenden als auch die Akteure, die sich dieser Aufgabe widmen. Deshalb werde im Moment ein Tool für einen virtuellen Rundgang entwickelt, damit nicht involvierte Personen einen Einblick in die Substitutionstherapie bekommen können. Auch für Studierende soll das Tool nutzbar sein und es sei vielseitig innerhalb der Apothekerschaft zur Fortbildung einsetzbar, um zu zeigen, dass die Substitutionstherapie ein spannendes Aufgabenfeld innerhalb einer Apotheke sein könne.
Schon im Jahr 2019 war in einer Kleinen Anfrage einiger Abgeordneter der Links-Fraktion im Deutschen Bundestag zu lesen, dass es »große Versorgungslücken« bei der Substitutionstherapie in Deutschland gebe. Auch der im Januar 2022 veröffentlichte Substitutionsbericht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das für die Länder das Substitutionsregister führt, zeigt, dass in einigen Landkreisen und kreisfreien Städten keine substituierenden Ärzte registriert sind. Laut Substitutionsbericht ist die Anzahl der gemeldeten Substitutionspatienten in den letzten zehn Jahren insgesamt leicht angestiegen und lag am 1. Juli 2021 bei 81.300 Patienten deutschlandweit. Im Jahr 2021 haben insgesamt 2496 Substitutionsärzte Patienten an das Substitutionsregister gemeldet. Seit 2012 ist die Anzahl der substituierenden Ärzte – bis auf einen leichten Anstieg im Jahr 2019 – immer weiter zurückgegangen. Da Apothekerinnen und Apotheker keine Fort- oder Weiterbildung benötigen, um sich an der Substitution zu beteiligen, ist die genaue Anzahl der sich grundsätzlich an der Substitution beteiligenden Apotheken nicht bekannt.
Im Jahr 2017 wurde die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) zum dritten Mal geändert und an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. Die Substitutionsbehandlung ist seitdem zwar noch immer eine ärztliche Aufgabe, doch nun dürfen nicht nur Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker, sondern auch medizinisches, pflegerisches oder pharmazeutisches Personal in stationären Reha-Einrichtungen, Alten- und Pflegeheimen, Gesundheitsämtern sowie in Hospizen dem Patienten Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch, also im sogenannten Sichtbezug, überlassen. Dies gilt auch für ambulante Pflegedienste und Palliativteams.
Für Apotheken bedeutet die dritte Änderung der BtMVV ein Mehraufwand in Form von »Mischrezepten«: Substitutionsmedikamente können nun sowohl zur Sichtvergabe als auch für den Take-Home-Bedarf auf dem gleichen Rezept verordnet werden. Die Take-Home-Regelung besagt, dass der Patient das Substitutionsmittel eigenverantwortlich zu Hause einnimmt, bei der Sichtvergabe muss er es unter den Augen des Apothekers bzw. der Apothekerin tun. Für den Take-Home-Bedarf darf der Arzt nun bestimmte Zeitpunkte festlegen, an denen in der Apotheke, in der Arztpraxis oder in einer anderen bevollmächtigten Stelle bestimmte Teilmengen zur Sichtvergabe abgegeben werden dürfen. Außerdem dürfen die Patientinnnen und Patienten die Rezepte direkt in die Apotheke bringen – vorher wurde dies durch die verschreibende Arztpraxis erledigt.
Im Jahr 2018 beschloss die Gesundheitsministerkonferenz einstimmig eine Evaluation der dritten Änderung der BtMVV. Diese Evaluation wurde durch das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS) und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie) durchgeführt – die Ergebnisse sind Mitte 2022 veröffentlicht worden. Die neue Möglichkeit der Ausstellung von Mischrezepten wurde von den befragten Apothekerinnen und Apothekern kritisch gesehen. Etwa ein Viertel lehnte die Annahme dieser Rezeptform ab, da sie nicht zur Sichtvergabe gezwungen werden wollten, die für sie eine freiwillige und nicht vergütete Leistung darstellt. Die substituierenden Ärztinnen und Ärzte sind bei einer Take-Home-Verschreibung von drei Wochen oder 30 Tagen zurückhaltend und setzen diese nur ausnahmsweise bei sehr stabilen Patientinnen und Patienten ein.
Nur 64,4 Prozent der befragten Apothekerinnen und Apotheker fühlten sich ausreichend über die BtMVV-Änderungen informiert. 73,9 Prozent gaben an, noch Kapazitäten für die Sichtvergabe von Substitutionsmedikamenten an weitere substituierte Opioidabhängige zu haben. Während der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 stieg der Anteil der Apothekerinnen und Apotheker, die eine Erhöhung der Anzahl von Take-Home-Rezepten angaben, auf 33 Prozent an. Ein Viertel der in die Substitution involvierten Apotheken gab an, dass Mischrezepte den organisatorischen Aufwand noch weiter erhöhen würden. Ein weiteres Viertel lehnte die Annahme von Mischrezepten gänzlich ab, so dass entweder keine entsprechenden Rezepte mehr von den substituierenden Ärztinnen und Ärzten ausgestellt wurden (13,7 Prozent) oder die Patientinnen und Patienten sich eine andere Apotheke suchen mussten (11,7 Prozent). Lediglich 2,2 Prozent fühlten sich genötigt, die Sichtvergabe nun doch durchzuführen.
Ausreichend ausgebildet für die Abgabe von Substitutionsmedikamenten unter Sicht fühlten sich 78,6 Prozent der Apothekerinnen und Apotheker, die schon aktiv in die Sichtvergabe einbezogen waren, während Apotheken, die bisher lediglich Take-Home-Rezepte beliefert hatten, sich nur zu 57,8 Prozent ausreichend für eine Sichtvergabe ausgebildet fühlten. Eine zertifizierte Fortbildung zur Sichtvergabe hielten demnach auch mehr Apotheken ohne Erfahrung mit Sichtvergaben (77,1 Prozent) für notwendig, im Vergleich zu 61,9 Prozent derjenigen mit Erfahrung mit Sichtvergaben.
Für die meisten befragten Apothekerinnen und Apotheker stellt es laut der Befragung eine Selbstverständlichkeit dar, sich an der Substitutionstherapie zu beteiligen. Was für aktuell und früher einbezogene Apothekerinnen und Apotheker am kritischsten war: Die Sichtvergabe werde nicht angemessen honoriert, die Beteiligung an der Substitution sei durch hohen Zeit- und Dokumentationsaufwand sehr aufwendig und es komme hin und wieder zu Vorfällen mit den Substituierten.
Die Schlussfolgerung des Berichts: Der Einbezug von Apotheken in die Substitutionsbehandlung sollte intensiviert und die Sichtvergabe von Substitutionsmedikamenten entsprechend finanziell vergütet werden. Es liegen laut Bericht nur wenige internationale Studien zur Substitutionstherapie in Apotheken vor. Eine australische Studie konnte jedoch zeigen, dass mangelnde finanzielle Unterstützung, der hohe Aufwand, generelle Vorurteile und die Stigmatisierung von Drogenabhängigen sowie Sicherheitsbedenken einer Beteiligung von Apotheken an der Substitution entgegenstehen.
Uwe Vertheim vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf resümierte zudem beim Runden Tisch des BMG, dass Fortbildungen und Schulungen zur Substitutionstherapie und zum Umgang mit Opioidabhängigen notwendig seien. Es müsse gegebenenfalls finanzielle Unterstützung für Umbauten zur Wahrung der Privatsphäre bereitgestellt werden. Zudem sollte überlegt werden, wie mehr Apotheken zur Mitarbeit bei der Substitutionstherapie motiviert werden können – etwa durch systematische Akquise und den Abbau von Vorurteilen. Leider könne die Repräsentativität der Studie nicht abgeschätzt werden, da nicht bekannt sei, wie viele Apotheken in welcher Form in die Substitutionstherapie einbezogen sind - auch Apothekerkammern hätten darüber keine Kenntnis.