Blutzucker-senkendes Schneckengift als Arzneistoff-Blaupause |
Daniela Hüttemann |
26.08.2024 18:00 Uhr |
Erstautorin Ho Yan Yeung (links) und ein Kollege untersuchen frisch gesammelte Landkarten-Kegelschnecken. / Foto: University of Utah/Safavi Lab
Die meisten bekannten Gifte aus dem Tierreich unterbrechen vor allem die Nervenübertragung, greifen das kardiovaskuläre System an oder verursachen Gewebeschäden. Weniger bekannt ist, dass bestimmte Meeresschnecken, die Fische jagen, Insulin-artige Moleküle nutzen, die dem Beutetier einen hypoglykämischen Schock verpassen.
Nun hat ein multinationales Forschungsteam unter Führung der Universität Utah, USA, im Gift der Meeresschnecke Conus geographus zusätzlich ein Toxin gefunden. Dieses greift als Abwandlung des natürlichen Somatostatins höchst selektiv am Somatostatin-Rezeptor-2 an – selektiver als Somatostatin selbst. Durch Aktivierung dieses Rezeptors wird wiederum die Freisetzung des Insulin-Gegenspielers Glukagon gehemmt – die Insulin-induzierte Hypoglykämie wird verstärkt; das Beutetier kann nicht mehr reagieren.
Das Toxin mit dem Namen Consomatin nG1 besteht aus einem minimierten Somatostatin-Kernmotiv von Wirbeltieren, verbunden mit einer schwer glykosylierten N-Terminalregion, schreibt das Forscherteam im Fachjournal »Nature Communications«. Damit ähnelt es sehr dem glykolysierten Somatostatin aus der Bauchspeicheldrüse von Fischen. So wurde aus einem Hormon wohl im Laufe der Evolution eine biologische Waffe.
Noch dazu handelt es sich um ein äußerst stabiles Molekül, da eine ungewöhnliche Aminosäure in der Sequenz enthalten ist, die den Abbau erschwert. Die Autoren sprechen von einem erstaunlichen Beispiel für chemische Mimikry und betonen, dass tierische Gifte mehrere, synergistisch wirkende Komponenten enthalten können. Sie vermuten im Gift von Conus geographus noch weitere Substanzen, die den plötzlichen Blutzuckersturz mitbewirken.
Das tödliche Toxin könnte als Blaupause dienen, um bessere Wirkstoffe gegen Diabetes und andere hormonelle Erkrankungen, in die Somatostatin involviert ist, zu entwickeln, glauben die Entdecker. Sie haben an Zellkulturen untersucht, wie Consomatin mit den Somatostatin-Targets menschlicher Zellen interagiert. Während Somatostatin bei Wirbeltieren mehrere Zielstrukturen hat, wirkt Consomatin selektiv nur an einem Rezeptor und dürfte damit weniger Off-Target-Effekte haben. Laut Pressemitteilung wirkt es spezifischer als die besten bislang verfügbaren synthetischen Arzneistoffe.
»Gifttiere haben im Laufe der Evolution ihre Giftbestandteile so abgestimmt, dass sie ein bestimmtes Ziel im Beutetier treffen und stören«, erklärt Studienleiterin Dr. Helena Safavi. »Wenn man eine einzelne Komponente aus der Giftmischung herausnimmt und sich anschaut, wie sie die normale Physiologie stört, ist dieser Signalweg oft wirklich relevant für Krankheiten. Für medizinische Chemiker ist das eine Art Abkürzung.« Kegelschnecken seien im Laufe der Evolution zu wirklich guten Chemikern geworden. Das Toxin selbst ist zu potent, um als Arzneimittel eingesetzt zu werden, aber die Spezifität und Stabilität könnten als Vorbild dienen.
Conus geographus, zu Deutsch Landkartenkegel, ist weit verbreitet, vom Roten Meer über den Indischen Ozean bis zum Indopazifik. Conotoxine werden schon seit Langem beforscht. Ziconotid aus der Kegelschneckenart Conus Magus wurde beispielsweise 2005 als starkes Schmerzmittel unter dem Namen Prialt® zugelassen.