Bisphosphonate brauchen Beratung |
Schlechte Bioverfügbarkeit, nüchterne Einnahme, aufrechte Körperhaltung bei der Einnahme: Bisphosphonate gehören zu den beratungsintensivsten Arzneistoffklassen überhaupt. / © Getty Images/Morsa Images
Allein die nötige aufrechte Körperhaltung für 30 Minuten bei der peroralen Verabreichung von Alendron- oder Risedronsäure beziehungsweise für 60 Minuten bei der Einnahme von Ibandronsäure fällt vielen Senioren schwer. »Das Unvermögen, für mindestens 60 Minuten stehen oder aufrecht sitzen zu können, ist eine Kontraindikation für die perorale Gabe. Wenn Sie mit ambulanten Pflegediensten zusammenarbeiten oder Altenheime beliefern, könnten Sie auf die i.v.-Gabe hinwirken«, riet Apothekerin Dr. Verena Stahl kürzlich beim Frühjahrskongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.
Um ösophageale Ulzera zu vermeiden, sei außerdem eine ausreichende Trinkmenge von 200 bis 250 Millilitern essenziell. »Das sagt sich so leicht, ist aber in der Praxis oft ein Problem. Was hilft: Die Patienten müssen diese Menge nicht auf ex trinken, sondern sollten sie über vier bis fünf Minuten verteilt trinken. Es hilft auch, vor der Einnahme eine kleine Menge und den größeren Rest danach zu trinken«, empfahl Stahl. Selbstredend dürften die Tabletten weder gelutscht noch zerkaut werden.
Ein weiteres Anwendungs-Muss: »Da Bisphosphonate ohnehin eine miserable Bioverfügbarkeit besitzen, müssen sämtliche pharmazeutischen Interventionen vermieden werden, die sie noch weiter verschlechtern würden. So ist die nüchterne Einnahme mit dem richtigen Wasser essenziell.« Bisphosphonate bilden mit mehrwertigen Kationen etwa aus Antacida, Milch und Milchprodukten sowie aus calciumreichem Mineralwasser schwer resorbierbare Komplexe. Auch Leitungswasser mit einer hohen Wasserhärte ist laut Stahl nicht geeignet. Hier lohne ein Anruf bei den Wasserwerken. Calcium-Supplemente sind an diesem Tag auszulassen oder mit mehr als zwei Stunden Abstand einzunehmen.
Und: Es braucht genügend zeitlichen Abstand zu Kaffee und Orangensaft, denn diese mindern die Bioverfügbarkeit von Alendronsäure um 60 Prozent.
Als einzige Ausnahme von der nüchternen Einnahme stellte Stahl Actonel® 35 mg vor. Dabei handelt es sich um eine magensaftresistente Tablette, deren Einnahme unmittelbar nach dem Frühstück erfolgen sollte.
Um Anwendungsfehler zu vermeiden, empfahl Stahl, mit den Patienten in der Offizin ins Reden zu kommen: »Lassen Sie den Patienten erzählen, wie er seine Tabletten einnimmt und stülpen Sie ihm die vielen Informationen nicht über. Wenn der Patient selbst berichtet, lassen sich Anwendungsfehler schneller herausfinden.« Das sei Kern der pharmazeutischen Betreuung. »Sonst haben wir keinen therapeutischen Effekt und der Patient wiegt sich in falscher Sicherheit – bis zum nächsten Bruch.«
Eine der gefürchtetsten Nebenwirkungen von Bisphosphonaten sind Kiefernekrosen. Im Beratungsgespräch gelte es, die Ängste der Patienten nicht zu verharmlosen, aber auch klarzumachen, dass das effektive Risiko äußerst gering ist – zumal man sehr gut vorbeugen könne, machte Stahl klar. Wie hoch das effektive Risiko tatsächlich ist, ist abhängig davon, welche Indikation zugrunde liegt. Für Osteoporosepatienten ist es sehr gering. Es liegt bei unter 0,05 Prozent. Für Zoledronsäure liegt die Wahrscheinlichkeit noch niedriger, bei unter 0,02 Prozent. Damit handle es sich bei weniger als 10 von 10.000 Betroffenen um ein seltenes Ereignis.
Ungleich höher liegt das Risiko, wenn Skelettmetastasen der Grund für die Bisphosphonat-Einnahme sind. Dann wurden in einer Metaanalyse 1: 200 Fälle von Kiefernekrosen gezählt, was einem Risiko von 0,5 Prozent entspricht.
»Kiefernekrosen sind für die Therapietreue alles andere als förderlich beziehungsweise führen dazu, dass die Therapie gänzlich abgelehnt wird«, weiß die Apothekerin aus Erfahrung. Deshalb empfiehlt sie, in der Offizin Nebenwirkungen und Risikofaktoren konkret anzusprechen, aber die Häufigkeit zu relativieren. »Es gilt, das Risiko nicht zu verharmlosen, sonst fühlt sich der Patient nicht ernst genommen.«
Essenziell für das Beratungsgespräch sei es, auf gut umsetzbare Präventionsmaßnahmen einzugehen. Dazu gehörten eine gute Mundhygiene, gut sitzende Prothesen, vorab und eine mindestens einmal jährliche zahnärztliche Kontrolle sowie die sorgfältige Planung von Zahn- und Kieferbehandlungen. Ein erhöhtes Risiko für Kiefernekrosen hätten diejenigen Patienten, die zu geschwollenem Zahnfleisch, Mundgeruch oder schlecht heilenden Wunden nach einer Zahnentfernung neigen, so die Apothekerin.
Warum ist eigentlich der Kieferknochen derart gefährdet? Nach den Ausführungen Stahls ist er der einzige Knochen, der über die Zähne mit der Umwelt in direktem Kontakt steht. Infektionen könnten sich so besonders leicht manifestieren. »Mit der rechtzeitigen Gabe von Betalactam-Antibiotika lässt sich den Actinomyces-Arten, die immer an den Kiefernekrosen beteiligt sind, wirksam der Garaus machen.«