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Richtern fehlt Statistik

BGH zur Preisbindung – die Urteilsgründe

Die Preisbindung für Arzneimittel müsste aus Sicht des Bundesgerichtshofs (BGH) mit statistischen Daten begründet werden. Laut den jetzt vorliegenden Urteilsgründen im Streit um Rx-Boni fehlten den Karlsruher Richtern stichhaltige Argumente für ein Bonus-Verbot.
Alexander Müller
22.07.2025  10:46 Uhr

Im Ausgangsstreit ging es um Rx-Boni, die die Doc-Morris-Tochter Tanimis 2012 gewährt hatte. Der Bayerische Apothekerverband (BAV) hatte geklagt und in den Vorinstanzen jeweils recht bekommen. Im März 2024 hatte das Oberlandesgericht München (OLG) entschieden, dass Rx-Boni sowohl nach der alten Regelung im § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) unzulässig sind als auch nach der Neuregelung im § 129 Sozialgesetzbuch V (SGB V).

Doch der BGH änderte das Urteil mit Entscheidung vom 17. Juli ab. Die Bonusmodelle verstießen demnach zwar sowohl gegen § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 AMG aF als auch gegen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V in Verbindung mit den Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung. Aber diese seien auf ausländische Versender nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Jahr 2016 nicht anwendbar. »Die beanstandeten Rabattaktionen der Beklagten waren somit jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung und Durchführung im Jahr 2012 nicht wettbewerbswidrig«, heißt es in der Urteilsbegründung.

Die Preisbindungsvorschrift des § 78 AMG stehe mit den unionsrechtlichen Regelungen zur Warenverkehrsfreiheit nicht in Einklang und sei daher gegenüber dem niederländischen Versender nicht anwendbar. Zum Umzug des Rx-Boni-Verbots ins SGB V äußern sich die Richter explizit nicht: »Ob dies auch für die Neuregelung der arzneimittelrechtlichen Preisbindung in § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V gilt, braucht im Streitfall nicht entschieden werden.«

Der BGH zeichnet in der Urteilsbegründung den Weg der Regelung nach: Mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) sei das Boni-Verbot im AMG im Dezember 2020 aufgehoben, gleichzeitig die neue Regelung im Sozialgesetzbuch eingefügt worden. Apotheken, für die der Rahmenvertrag gilt, seien bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an gesetzlich Versicherte zur Einhaltung der festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürften keine Zuwendungen gewähren. Der BGH bestätigt auch noch einmal, dass ein Bonus nicht nur ein direkter Barrabatt sein muss, sondern auch an den Erwerb gekoppelte Vorteile darunter fallen.

Gemeinsamer Senat hatte alles geklärt

Der Gesetzgeber hatte im AMG noch im Oktober 2012 explizit ergänzt, dass die Preisbindung auch für ausländische Versender gilt. Aus Sicht des BGH war das seinerzeit nicht mehr als eine Klarstellung. Schließlich habe das der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes dies schon im September 2010 klargestellt. Einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit im EU-Recht hatten Deutschlands oberste Richter damals auch nicht gesehen – anders als 2016 der EuGH. Mehr noch: Der Gemeinsame Senat war davon ausgegangen, dass die für alle geltende Preisbindung zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt sei.

Damit schien die Rechtslage endgültig beantwortet. Doch bekanntlich legte das Oberlandesgericht Düsseldorf einen anderen Boni-Streit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Und die Luxemburger Richter befanden 2016, dass sich die Preisbindung auf Apotheken im Ausland stärker auswirke als auf deutsche Apotheken. Zudem sei das Preisrecht nicht gerechtfertigt, da nicht geeignet, die angestrebten Ziele – Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen – zu erreichen.

Neues EuGH-Verfahren möglich

Damit ist aber aus Sicht des BGH keineswegs das letzte Wort gesprochen. Die Frage, ob die AMG-Regelung mit europäischem Recht vereinbar ist, »ist vielmehr unter bestimmten Umständen einer erneuten Prüfung zugänglich«, heißt es im Urteil. So sei die Bindungswirkung von Vorabentscheidungen des EuGH umstritten, sofern die Auslegung von Unionsrecht über das Ausgangsverfahren hinausgeht. Zudem sei eine erneute Vorlage immer möglich, wenn sich die Rechtslage oder die äußeren Umstände änderten.

Das EuGH-Urteil beruhte aus Sicht des BGH darauf, dass das OLG keine Feststellungen zum Zusammenhang zwischen Preisbindung und flächendeckender Versorgung getroffen hatte. Wie schon in früheren Entscheidungen werden die »ungenügenden Feststellungen in jenem Verfahren« vom BGH gerügt. Zwar habe die deutsche Regierung dann vor dem EuGH eine Stellungnahme abgegeben. In Luxemburg finde aber keine eigentliche Beweisaufnahme statt, die Richter müssten sich bei Vorabentscheidungsersuchen an den Ausführungen des vorlegenden Gerichtes orientieren.

Zwischenfazit des BGH:

Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass in einem anderen Verfahren, in dem die Frage der Vereinbarkeit des deutschen Arzneimittelpreisrechts mit dem Primärrecht der Europäischen Union in Streit steht, Feststellungen zu einer gleichmäßigen und flächendeckenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Deutschland nachgeholt werden können, und dass sich hieraus neue tatsächliche Gesichtspunkte ergeben, die den Gerichtshof der Europäischen Union dazu veranlassen können, die bereits vorgelegte Frage vor diesem neuen Hintergrund abweichend zu beantworten.
Aus der Urteilsbegründung des BGH.

Es sei grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte zu prüfen, ob eine Regelung, die den freien Warenverkehr beschränkt, gerechtfertigt und geeignet ist und nicht gewissermaßen über das Ziel hinausschießt. Im Streitfall sei eine erneute Vorlage aber nicht begründet. Neue Gesichtspunkte, die den EuGH zu einer abweichenden Antwort bewegen, lägen nicht vor, so der BGH.

Das OLG München hatte im Verfahren unter anderem eine Stellungnahme der Bundesregierung zur Preisbindung eingeholt. Allerdings hat das Berufungsgericht aus Sicht des BGH die falschen Schlüsse daraus gezogen. Denn »bloße Stichhaltigkeitskontrolle der gesetzgeberischen Erwägungen« reiche nicht aus; es hätten, wie vom EuGH gefordert, Statistiken vorgelegt werden müssen. Schon in der mündlichen Verhandlung hatten die BGH-Richter »harte Fakten« eingefordert.

Das OLG hatte auf die schwächelnden Betriebsergebnisse der Apotheken hingewiesen, auf die seit Jahren sinkende Apothekenzahl und die Bedeutung des Rx-Umsatzes. Auch die von der Regierung ins Feld geführte »Lenkungswirkung« von Boni wurde erwähnt, diese greife in Zeiten der Digitalisierung besonders stark. Das OLG war daher zu dem Schluss gekommen, dass der Gesetzgeber nicht »ins Blaue hinein« gehandelt habe, sondern auf Grundlage »konkreter und glaubhafter Anhaltspunkte« festgesetzt habe, dass die Preisbindung im Sinne des Patientenschutzes auch für EU-Versender gelten müsse.

Doch die Begründung hält laut BGH-Urteil einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand: »Der Beweis hierfür ist anhand statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel mit vergleichbarer Aussagekraft zu erbringen.« Im Streitfall aber fehle es an einer »validen Datengrundlage«.

Wortlaut der Urteilsbegründung:

Es ist nicht mit statistischen Daten oder vergleichbaren Mitteln belegt, dass eine gleichermaßen für inländische Apotheken wie für europäische Versandapotheken geltende Arzneimittelpreisbindung eine geeignete Maßnahme zur Sicherstellung der bestehenden Apothekendichte ist, und es ist auch nicht nachgewiesen, dass der Erhalt des Status quo der Apothekendichte für die flächendeckende, sichere und qualitativ hochwertige Versorgung mit Arzneimitteln erforderlich ist.
Aus der Urteilsbegründung des BGH.

Als empirische Daten hätte sich der BGH etwa vorstellen können, die Entwicklung des Apothekenmarkts in den unregulierten und regulierten Zeiträumen gegenüberzustellen und wissenschaftlich auszuwerten. Die Regierung habe sich in ihrer Stellungnahme zudem auf die Neuregelung im SGB V bezogen, darum sei es aber im Streitfall aber nicht gegangen.

Aus den vorgelegten Zahlen kommt der BGH eher zu der Annahme, dass der Rx-Versand seit Jahren bei rund 1 Prozent Marktanteil dümpelt – und zwar auch im »unregulierten Zeitraum« zwischen 2016 und 2020. Dass die Einführung des E-Rezepts eine neue Dynamik bringen könnte, schließt zwar auch der BGH nicht aus, es spielte für die Entscheidung aber keine Rolle.

Und überhaupt: Ein kontinuierlicher Rückgang der Zahl der Präsenzapotheken bedeutet aus Sicht des BGH »nicht zwangsläufig eine Gefährdung der flächendeckenden, sicheren und qualitativ hochwertigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln«. Die Richter verweisen auf das umstrittene 2HM-Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2017. Demnach könne die Versorgung auch mit Botendiensten und Versandhandel sichergestellt werden. Der Erhalt des Status quo der flächendeckenden Versorgung möge zwar »wünschenswert« sein, unbedingt notwendig aber eben nicht, so das Urteil.

Der BGH zitiert außerdem ein Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2014. Demnach könnte eine Aufhebung der Preisbindung sogar Vorteile für die flächendeckende Versorgung haben – weil Landapotheken ohne Konkurrenz ihren Kunden höhere Preise abverlangen könnten. Die Gutachter hatten außerdem eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzes vorgeschlagen. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen allerdings, dass dies eher zu einer Konzentration der Apotheken in lukrativen Ballungszentren führt. Norwegen ist ein prominentes Beispiel.

BMG hält an Preisbindung fest

Mit Blick auf das Heilmittelwerbegesetz (HWG) stellt der BGH fest, dass die Boni im Streitfall dagegen verstoßen, aber wiederum nicht auf den niederländischen Versender angewendet werden können. Die Rabattaktionen bezögen sich ausschließlich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel und beträfen allein die Entscheidung des Kunden für die Apotheke. Sie fielen daher nicht unter den Begriff »Werbung für Arzneimittel« im Sinne des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel. Daher sei es auch keine unzulässige Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb von Fachkreisen.

Die Versender werteten das Urteil schon direkt nach der Verkündung des Tenors am vergangenen Donnerstag als Freibrief für ihre Rabattaktionen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sieht das anders: »Nach aktueller Rechtslage gilt aber die Arzneimittelpreisbindung und das Boni- und Rabattverbot bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu Lasten der GKV für alle Anbieter (§ 129 Absatz 3 Satz 3 SGB V)«, teilte das Ministerium der PZ auf Anfrage mit. Auch Gesundheitsministerin Warken bekräftigte diese Position im Rahmen ihres Apothekenbesuchs.

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