BfArM bleibt bei seiner Einschätzung für Tramadol |
Daniela Hüttemann |
27.03.2025 11:00 Uhr |
Tramadol kann Berichten von Patienten und Drogennutzern zufolge der Einstieg in eine Opioid-Abhängigkeit sein. / © Getty Images/Priscila Zambotto
Im »Spiegel«-Artikel vom 20. März ging es vor allem darum, dass der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel (BtM) in einer Sitzung zu Tramadol und Tilidin im Jahr 2011 das Tramadol nicht unter die BtM-Pflicht gestellt hatte – laut »Spiegel« unter Einfluss von Original-Hersteller Grünenthal, der die Substanz lange verharmlost habe. Das Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial werden unterschätzt. Experten würden beobachten, dass vor allem Jugendliche die weniger potenten Opioide als Einstiegsdroge nutzen, »weil sie mit echten oder gefälschten Rezepten in jeder Apotheke zu haben sind«.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat unter anderem der Pharmazeutischen Zeitung nun die Protokolle der damaligen Sitzung zur Verfügung gestellt und gibt auch eine aktuelle Einschätzung ab – das BfArM betont, dass nicht die Behörde selbst die Entscheidung trifft, ob eine Substanz unter die BtM-Pflicht fällt oder nicht. Eine Empfehlung aus externen Sachverständigen diskutiert die Fragestellung und gibt eine Empfehlung ab, über die die Bundesregierung zu entscheiden hat. Sie folgte damals der Empfehlung des Ausschusses, Tramadol nicht in die Anlagen I-III zu § 1 BtMG aufzunehmen. Das ist die bis heute gültige Regelung.
»Dem war eine umfangreiche Befassung durch eine eigens gegründete Arbeitsgruppe vorausgegangen, bei der alle zum damaligen Zeitpunkt verfügbaren Informationen zum Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial berücksichtigt wurden«, betont das BfArM heute in seiner Stellungnahme und verweist auch auf eine entsprechende wissenschaftliche Publikation der Arbeitsgruppe.
Abgesehen von den Rechtfertigungen zur Empfehlung 2011 nimmt das BfArM auch zur aktuellen Situation (also 14 Jahre später) Stellung. Damals habe der Ausschuss in seiner umfassenden Bewertung der Literatur und der Pharmakovigilanzdaten ein vergleichsweise geringes Missbrauchspotenzial (Anmerkung der Redaktion: von Tramadol im Vergleich zu anderen Opioiden) festgestellt. »Aktuell liegen keine neuen Erkenntnisse vor«, schreibt heute das BfArM und verweist auf die routinemäßige Prüfung der Europäischen Arzneimittelagentur (Periodic Safety Update Report Single Assessment, PSUR) im vergangenen Jahr und die daraufhin deutlichere Warnung vor Abhängigkeit und Missbrauch in den Fach- und Gebrauchsinformationen.
»Insofern zielen die Hinweise in der Fach- und Gebrauchsinformation ausdrücklich auf das – wenn auch geringe – Risiko ab, dass Tramadol missbraucht werden kann und auch eine Abhängigkeit entstehen kann«, so das BfArM und sieht diese Maßnahme aktuell als ausreichend an. »Damit soll sichergestellt werden, dass sowohl Ärztinnen und Ärzte bei der Verschreibung, Apothekerinnen und Apotheker bei der Abgabe als auch Patientinnen und Patienten bei der Anwendung bestmöglich informiert und sensibilisiert werden.«
Im Februar 2024 führte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) ein routinemäßiges Sicherheits-Update für Tramadol durch. Daraufhin wurden die Warnhinweise für Abhängigkeit und Missbrauch in den den Fach- und Gebrauchsinformationen im Sommer 2024 verschärft.
In der Fachinformation heißt es seitdem in Abschnitt 4.4: »Bei wiederholter Anwendung von Opioiden wie [Produktname] können sich eine Toleranz, eine physische und psychische Abhängigkeit und eine Opioidgebrauchsstörung entwickeln.« Vor allem eine höhere und längere Anwendungsdauer erhöhen das Risiko ebenso Substanzgebrauchsstörung in der persönlichen oder familiären Vorgeschichte, andere psychische Erkrankungen und Rauchen.
In Abschnitt 4.2 heißt es darüber hinaus: »Vor Beginn der Behandlung mit [Produktname] sollte eine Behandlungsstrategie, einschließlich Behandlungsdauer und Behandlungsziel sowie ein Plan für das Behandlungsende gemeinsam mit dem Patienten und in Übereinstimmung mit den Leitlinien zur Schmerztherapie vereinbart werden. Während der Behandlung sollte ein häufiger Kontakt zwischen Arzt und Patient stattfinden, um die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Behandlung zu beurteilen, die Beendigung der Behandlung in Erwägung zu ziehen und die Dosis bei Bedarf anzupassen.«
Handlungsbedarf sieht die Behörde nicht. »Das BfArM verfolgt die Entwicklung aufmerksam mit Blick auf eine – bislang nicht eingetretene – Veränderung der wissenschaftlichen Datenlage beziehungsweise eine Veränderung des feststellbaren Missbrauchs beziehungsweise der behandlungsbedürftigen Abhängigkeit. Sobald sich hier neue Erkenntnisse abzeichnen, fließen diese in die Bewertung des BfArM ein. Dies gilt für alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Missbrauch zu reduzieren – also auch die notwendige Sensibilisierung, unter anderem mit Blick auf mögliche Rezeptfälschungen. Aktuell liegen jedoch keine Informationen vor, die eine geänderte Einschätzung für Deutschland begründen könnten.«
Das BfArM verweist zum einen auch auf eine aktuelle Publikation. Basierend auf den Abrechnungsdaten von circa 25 Millionen Personen in Deutschland sieht es kein Opioid-Problem in Deutschland, wie es am 11. März meldete. Die Verordnung von Opioid-Analgetika sei zwischen 2005 und 2020 um 19 Prozent gesunken. Aber: »Die Ergebnisse zu Missbrauch und Abhängigkeit lassen zwar vermuten, dass insbesondere in der Altersgruppe 20 - 39 Jahre in manchen Fällen ein nicht indikationsgerechter Gebrauch stattfindet, doch die entsprechenden Anteile sind gering«, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung. Und bei dieser Auswertung sind keine Privatrezepte berücksichtigt.
Das BfArM verweist zu guter Letzt auf die WHO-Leitlinie »Ensuring balance in national policies on controlled substances« aus dem Jahr 2011, die wesentliche Grundlage für die Bewertung sei. Hier geht es um die Balance zwischen einem möglichst einfachen Zugang zu potenten Schmerzmitteln auch in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gegenüber Abhängigkeit und Missbrauch. Hier wird Tramadol als schwaches Opioid mit niedrigem Missbrauchspotenzial eingestuft. 2019 kündigte die WHO eine Überarbeitung an, die immer noch nicht abgeschlossen ist. »Aus dem bisherigen Diskussionsprozess ergeben sich keine neuen Erkenntnisse«, so das BfArM.