Beziehungsprobleme beginnen in der Wiege |
Jennifer Evans |
06.03.2025 18:00 Uhr |
Einsamkeit ist schlechter für die Gesundheit als Fast Food. Immer mehr junge Menschen sind von dem Gefühl betroffen. / © Adobe Stock/andyborodaty
Soziale Beziehungen sind essenziell für unsere psychische und körperliche Gesundheit. Vor allem, wenn es darum geht, Krisen zu bewältigen. Doch wie sich zeigt, nehmen Bindungsstörungen und Einsamkeit immer mehr zu – mit erheblichen Folgen für Betroffene und die Gesellschaft. Während sich frühkindliche Traumata auf das Vertrauensverhältnis zu anderen Menschen auswirken, erhöht Einsamkeit das Sterblichkeitsrisiko ähnlich wie Rauchen oder Übergewicht.
Schätzungen zufolge sind in Europa mehr als 55 Millionen Kinder von emotionalem, körperlichem oder sexuellem Missbrauch, Vernachlässigung oder anderen traumatischen Erlebnissen betroffen. Hierzulande berichtet etwa ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung über prägende negative Erlebnisse in der Kindheit. Etwa 20 Prozent haben bereits »potenziell traumatische Beziehungserfahrungen« in der frühen Kindheit gemacht – auf körperlicher oder seelischer Ebene. Das betonte Professor Dr. Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Für das weitere Leben dieser Personen bedeutet der Missbrauch in frühen Jahren, dass sie im weiteren Lebensverlauf gehäuft an Depressionen, Ängsten oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) leiden. Auch erhöht sich ihr Risiko nach solchen Erfahrungen, körperliche Leiden zu entwickeln. Bei einer Vorgeschichte mit belastenden Kindheitserfahrungen findet sich beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko für depressive Störungen und ein 2,7-fach erhöhtes Risiko für Angststörungen. Insgesamt zeigen sich Betroffene demnach über die gesamte Lebensspanne hinweg sensibler in ihrer Reaktion auf Stress-Situationen.
Zurückweisung und Ablehnung durch Bezugspersonen in der frühen Kindheit, also der prägendsten Phase, erschwere nachweislich, im späteren Leben gesunde Beziehungen aufbauen und sich aus unguten Verbindungen lösen zu können sowie gegen Krisen ausreichend geschützt zu sein. »Es fehlt einfach an der Kompetenz«, so Kruse. Und generell seien Frauen häufiger betroffen als Männer. Wer solche Erlebnisse nicht angemessen verarbeitet hat, muss langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und stabile Beziehungen befürchten.
Mit Blick auf das Verhalten lässt sich laut Kruse beobachten, dass frühkindliche Traumata ebenfalls Einfluss auf das Selbstbild, die Fähigkeit, Gefühle zu verbalisieren, sowie auf Vertrauen gegenüber anderen Menschen im Allgemeinen haben. Insbesondere Misstrauen und Leichtgläubigkeit entwickeln sich vermehrt nach schweren frühkindlichen Belastungen.
Die Zusammenhänge zwischen Vertrauen, Misstrauen und Leichtgläubigkeit seien ohnehin derzeit ein interessanter Gegenstand der Forschung. Relevant daran ist die gesellschaftliche Dimension mit Blick auf Verschwörungsmentalitäten. Daher stellt sich für Kruse die Frage, welche Aufgabe Psychosomatikerinnen und Psychosomatikern in Zukunft zukommt. Vor allem auch vor dem Hintergrund der Epigenetik. Denn Traumata wirken sich auch auf die nächsten Generationen aus, sagte er.
Ein Auslöser für psychische und körperliche Erkrankungen ist aber auch die Einsamkeit, die längst in jedem Lebensalter auftreten kann. Besonders alarmierend ist, dass sich die Einsamkeit seit 2013 insbesondere in den Altersgruppen der 18- bis 29- und der 30- bis 50-Jährigen verdoppelt hat, während die Häufigkeit der Einsamkeit in der Altersgruppe der Über-75-Jährigen weitestgehend gleich geblieben ist. Darauf wies Professor Dr. Hans-Christoph Friederich, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg, in seinem Vortrag hin. Konkret könnten enge soziale Kontakte etwa vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz schützen.
Obwohl alleinlebende Menschen generell stärker von Einsamkeitsgefühlen betroffen seien, ließe sich das Problem auch zunehmend in Mehrfamilienhaushalten beobachten. Stärker leiden zudem Menschen, die entweder arm sind, einer Care-Arbeit nachgehen oder Migrations- oder Fluchterfahrungen haben. Meist befeuerten also gleich mehrere Belastungsformen gleichzeitig die negative Entwicklung, die nicht allein auf den Trend einer zunehmenden einzelgängerischen Lebensform in Deutschland zurückzuführen ist.
Einsamkeit ist oft ein Teufelskreis mit toxischer Wechselwirkung. Einerseits können Einsamkeitserlebnisse eine psychische Erkrankung hervorrufen oder zumindest deutlich verstärken und andererseits bewirkt eine psychische Erkrankung einen sozialen Rückzug sowie Gefühle der Einsamkeit.
Auch im digitalen Zeitalter ließen sich eben körperliche Nähe, Wärme, Berührung und reale Begegnungen nicht ersetzen. Umso mehr begrüßt Friederich die Aktionswoche »Gemeinsam aus der Einsamkeit«, die in diesem Jahr vom 26. Mai bis 1. Juni stattfindet. Bundesweit sind Aktionen geplant. Friederich wirbt in diesem Zusammenhang für die Bedeutung und den Ausbau von Begegnungsstätten und dafür, Einsamkeit in der Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen, um frühzeitig präventive Maßnahmen einleiten zu können. Denn Einsamkeit gilt als eine unerkannte Erkrankung, die mit einem Verlust an Lebensjahren einhergeht.
Darüber hinaus führen ungünstige Muster der Beziehungsgestaltung zu wiederkehrenden und frustrierenden Kontaktabbrüchen und Einsamkeit. Die Betroffenen seien laut Friederich meist blind für diese Muster, sodass es notwendig ist, im Rahmen einer Psychotherapie diese Beziehungsmuster zu identifizieren und zu bearbeiten.