Beeinflussten Aerosole die Kunst? |
Jennifer Evans |
21.03.2023 07:00 Uhr |
Die Farben der Sonnenstrahlen wirken in Claude Monets Gemälde des Londoner Parlamentsgebäudes von 1904 sehr intensiv. Forscher meinen, der Künstler verarbeitete damit auch die Eindrücke einer mit Aerosolen beladenen Stratosphäre. / Foto: Foto: akg-images/Hervé Champollion
Noch bevor es instrumentelle Messungen zur Luftqualität gab, haben die Impressionisten bereits das Thema Luftverschmutzung in ihren Gemälden aufgegriffen. Davon gehen jedenfalls Professor Peter Huybers, Erd- und Planetenwissenschaftler an der Harvard University, und Anna-Lea Albright, Klimaphysikerin an der Universität Sorbonne, aus. Ihre Grundannahme ist: Die Werke von Joseph Mallord William Turner (1775 bis 1851) und Claude Monet (1840 bis 1926) zeigen Elemente »eines verschmutzten Realismus«. Gemeint sind atmosphärische Phänomene, wie sie sich infolge der industriellen Revolution im Laufe des 19. Jahrhunderts insbesondere in Metropolen wie London und Paris entwickelten.
Seinerzeit stiegen die anthropogenen Aerosolemissionen in der Luft auf ein noch nie dagewesenes Niveau, wodurch die Augen Kontraste weniger stark und Licht beziehungsweise Farben dafür intensiver wahrnahmen. In ihrer Untersuchung, die vor Kurzem im offiziellen Fachjournal der US-amerikanischen National Academy of Sciences erschienen ist, analysieren die beiden Autoren, ob die damaligen Umweltveränderungen die stilistischen Trends in der Malerei beeinflussten. Turner und Monet erschienen ihnen dabei als besonders repräsentative Vertreter, weil sie nicht nur häufig Landschaften und Stadtansichten malten, sondern ihr Lebenswerk auch die gesamte Zeitspanne der industriellen Revolution umfasste.
Mit den unscharfen Konturen in »Regen, Dampf und Geschwindigkeit – die Great Western Railway« von 1844 demonstrierte J. M. W. Turner die Geschwindigkeit des Zugs. Laut einer aktuellen Studie thematisierte er damit auch die erhöhte Aerosolkonzentration in der Luft. / Foto: Foto: akg-images/The National Gallery
Bei der Analyse von knapp 100 Bildern beobachten die Wissenschaftler eine Entwicklung der Malweise von scharfen hin zu verschwommenen Konturen, von einer gesättigten hin zu einer pastellartigen Farbgebung und von einer mehr figurativen hin zu einer impressionistischeren Darstellung. Ein Wandel, der laut der Studie mit den optischen Veränderungen einer höheren atmosphärischen Aerosolkonzentration übereinstimmt. Demnach streuen und absorbieren Aerosole sichtbares Licht verschiedener Wellenlängen. Dieser optische Effekt führt dazu, dass der Betrachter ein Objekt als weniger scharfkantig, also weniger kontrastreich, und weißer, also mit stärkerer Intensität, wahrnimmt. Und so erscheinen auch Sonnenuntergänge aufgrund der Streuung röter, wenn sie durch eine mit Aerosolen beladene Stratosphäre betrachtet werden. Übrigens berechneten die Forscher die Aerosolkonzentration in der Luft auf Grundlage der jährlichen Schwefeldioxidemissionen. Die Maschinen in der frühen industriellen Revolution seien meist mit Kohle betrieben worden und Kohle enthalte in der Regel 1 bis 5 Prozent Schwefel in der Trockenmasse, heißt es.
Mit ihrer Arbeit wollten die Autoren den historischen Zusammenhang zwischen Aerosolen und Malstil oder Umwelt und Kunst aufzeigen. In ihren Augen haben die Umweltveränderungen der Malerei durchaus kreative Impulse geliefert und ihre Studie sehen sie als Ansatz für neue Interpretationen in der Malerei.
Aus kunsthistorischer Sicht gibt es allerdings einiges zu bedenken. Grundsätzlich sind die unscharfen Konturen ein Stilelement des Impressionismus. Ziel war es, flüchtige Momente im Freien einzufangen, was sich unter anderem in einer unpräzisen Pinselführung widerspiegelte. Außerdem kamen seinerzeit Ölfarben in der Tube auf den Markt, sodass die Künstler erstmals mit ihrer Leinwand nach draußen gehen konnten. Auch das hatte Einfluss auf die Motivwahl. Und durch die Sonne wirkten die Farben natürlich brillanter.
Parallel schritt die Fotografie voran, erste Farbfotos entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts und den Künstlern ging es immer weniger darum, die Realität abzubilden. Ihr Fokus lag nun mehr auf der Darstellung von Emotionen, was schließlich im Expressionismus seinen Höhepunkt fand. Diffuse Gefühle stellten sie also mit ebenso diffusen Farbverläufen dar.
Zweifelsohne prägten Turner und Monet einen neuen Malstil. Aber ob die Wahrnehmung der Luftverschmutzung ihre Werke stärker prägte als die ambivalenten Emotionen, die sie gegenüber der industriellen Revolution zum Ausdruck bringen wollten, ist sicher Interpretationssache. Immerhin gab es Zeitgenossen, in deren Gemälden nichts von den Umweltveränderungen zu beobachten ist wie etwa bei John Constable (1776 bis 1837). Darin spielte weder ein verminderter Kontrast noch eine erhöhte Lichtintensität eine Rolle.
Nicht zu vergessen: Monet machten seine Augen zu schaffen. Obwohl er die Diagnose Katarakt erst 1908 erhielt, ist davon auszugehen, dass seine Sehkraft schon einige Jahre zuvor eingeschränkt war. Und nicht zuletzt können Schwankungen in der Bildintensität auch auf Farbrückstände und verblasste Pigmente zurückzuführen sein.