Barmer beschwert sich über geringe Botendienstquote |
Ältere Patienten über 80 nehmen Botendienste von Apotheken häufiger in Anspruch als jüngere Menschen. Das zeigt die Auswertung der Barmer. / Foto: imago/JOKER
Mit der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu Beginn der Coronavirus-Pandemie mit mehreren arzneimittelpolitischen Maßnahmen auf die Krise reagiert. Unter anderem wurde eine neue Vergütung für Botendienste etabliert: Die Apotheken konnten den Kassen eine einmalige Botendienst-Pauschale in Höhe von 250 Euro in Rechnung stellen. Zudem wurde danach jede einzelne Lieferung mit 5 Euro vergütet. Da die Maßnahmen allerdings nur befristet galten, verankerte Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das neue Honorar auch im Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG), das der Bundestag im Dezember 2020 beschloss. Seitdem liegt die dauerhafte Lieferungsvergütung allerdings nur noch bei 2,50 Euro.
In der Coronavirus-Verordnung war das Botendienst-Honorar mit der Kontaktvermeidung begründet worden: Die Apotheken sollten ihre Auslieferungen steigern, damit insbesondere vulnerable Personengruppen in der Offizin weniger persönliche Kontakte haben. Im VOASG wurde die dann halbierte Vergütung von der damaligen Großen Koalition so begründet: »(Das Honorar) ist notwendig, um insbesondere in Regionen mit geringerer Apothekendichte eine Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sicherzustellen. Der Botendienst trägt bei dem zunehmenden Anteil der älter werdenden Bevölkerung damit zu deren Entlastung bei der Zahl der Apothekenbesuche und zur Sicherstellung der Versorgung dieser Personen mit Arzneimitteln bei.«
Die Barmer hat es sich zum Ziel gesetzt zu hinterfragen, ob diese Ziele mittlerweile erreicht wurden. Für ihre Analyse hat die Kasse insbesondere die eigenen Abrechnungsdaten genutzt – die Barmer hat eigenen Angaben zufolge einen Anteil von rund 14 Prozent an allen GKV-Rezepten. Laut Barmer haben etwa 93 Prozent aller Apotheken in Deutschland im Analysezeitraum (Mai 2020 bis April 2022) Botendienste bei der Barmer in Rechnung gestellt. Die Zahlen zeigen zunächst, dass sowohl die absolute Zahl der geleisteten Botendienste als auch der Anteil der Botendienste an allen Belieferungen zwischen Mai 2020 und April 2022 zwar leicht schwankte, aber dabei konstant blieb. Laut Barmer rechneten die Apotheken im Mai 2020 rund 335.000 Lieferungen ab, zwischendurch stieg die Zahl kurzfristig auf knapp über 400.000 – im April 2022 lag sie dann allerdings wieder bei 335.000. Und auch der Anteil der Botendienste an allen Belieferungen lag stetig bei rund 7 Prozent.
Deutlich gesunken sind allerdings die Ausgaben der Barmer mit Inkrafttreten des VOASG, also nach der Halbierung der Vergütung. Während die Kasse während der Geltungsdauer der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (5 Euro pro Lieferung) noch rund 2 Millionen Euro pro Monat für Botendienste ausgab, sind es seit Januar 2021 durchgehend etwa 1 Million Euro pro Monat. Insgesamt hat die Barmer der Analyse zufolge inzwischen rund 30 Millionen Euro für das Botendiensthonorar ausgegeben.
Die Barmer hat sich auch die regionale Verteilung der Botendienstquote angeschaut. Logischerweise gibt es zwischen Stadtstaaten wie Berlin (3,1 Prozent) und Flächenländern wie etwa Rheinland-Pfalz (8,8 Prozent) deutliche Unterschiede. Allerdings gibt es auch Flächenländer wie Bayern (4,1 Prozent) und Brandenburg (3,9 Prozent), in denen die Lieferungen laut Barmer-Daten nur zurückhaltend angeboten werden. Die höchste Quote (9,4 Prozent) liegt im Saarland vor. Die Krankenkasse hat die Botendienstquote schließlich auch nach Landkreisen analysiert. Demzufolge liegt die Quote nur in Großstädten (5,5 Prozent) leicht unter dem Bundesdurchschnitt von 7 Prozent. In städtischen Kreisen, ländlichen Kreisen mit Verdichtungsansätzen sowie in dünn besiedelten Kreisen schwankt die Quote zwischen 7 und 8 Prozent.
Erkennbare Unterschiede hingegen gibt es bei den Altersgruppen der belieferten Patienten. Dabei gilt laut Barmer-Daten: Je älter die Apothekenkunden sind, desto häufiger wurden Botendienste durchgeführt. Während die Quote in den Altersgruppen bis 50 Jahre deutlich unter 4 Prozent liegt, wurden Patienten ab 80 Jahren in rund 9 Prozent aller Fälle beliefert.
Die Barmer kommt zu einem ernüchternden Fazit. Die Bundesquote von etwa 7 Prozent habe sich durch die Vergütung nicht gesteigert. Es gebe auch fast keine Unterschiede bei den Belieferungsquoten von Landbevölkerungsgruppen und Gruppen in städtischen Kreisen. »Die Lieferung von Arzneimitteln mittels Botendienst aus Apotheken bildet daher immer noch eine Ausnahme in der Versorgung, und das in jeder Altersgruppe der Versicherten. So lässt sich die Frage stellen, ob der bei der Einführung dieser Leistung im Mittelpunkt stehende Schutz besonders vulnerabler Patientengruppen vor vermeidbaren Kontakten erreicht wurde.« Auch die 9-Prozent-Quote bei den Über-80-Jährigen hält die Kasse für »unerwartet gering«.
Bei ihrer Analyse macht die Kasse allerdings einen entscheidenden Fehler: An mehreren Stellen im Papier gibt die Barmer an, dass der Verordnungsgeber mit Einführung des Botendiensthonorars in der Coronavirus-Verordnung damals eine Zielquote von 20 Prozent vorgegeben habe. Das ist nicht richtig. Vielmehr hatte das BMG damals beispielshaft vorgerechnet, dass die Krankenkassen mit jährlichen Mehrausgaben von rund 60 Millionen Euro zu rechnen hätten, wenn die Quote auf 20 Prozent steigen würde. Die Barmer beschwert sich auch darüber, dass der Gesetzgeber keine Zielvorgaben für die verstetigte Botendienstvergütung vorgegeben habe. Aber auch das ist nicht richtig. Wie oben beschrieben, wollte der Gesetzgeber insbesondere in ländlichen Regionen dafür sorgen, dass ältere Personengruppen häufiger durch Botendienste beliefert werden. Trotzdem kommt die Kasse zu dem Schluss: »Es muss daher insgesamt eine Zielverfehlung attestiert werden, da der Gesetzgeber bislang keine über die Kontaktvermeidung hinausgehenden Ziele des Botendienstes benannt hat.«
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