BA.2.86 – bemerkenswert, aber noch nicht bedrohlich |
Theo Dingermann |
22.08.2023 13:00 Uhr |
Dies passt zu einer weiteren Beobachtung. Anscheinend hängt keiner der bisher identifizierten Fälle mit einem der anderen zusammen. Nicht einmal bei den drei Infektionen aus Dänemark scheint es irgendeine Verbindung zu geben. Dies deutet darauf hin, dass die Variante bereits ziemlich weit verbreitet sein könnte, sagt Professor Dr. Jesse Bloom, Evolutionsvirologe am Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle, gegenüber Nature.
Bloom hat auch eine Zusammenstellung der Charakteristika von BA.2.86 ins Netz gestellt. Danach ist BA.2.86 mit großer Wahrscheinlichkeit ein Abkömmling von BA.2. Gegenüber diesem mutmaßlichen Vorfahren weist BA.2.86 in seinem Spike-Protein 34 Veränderungen auf (29 Aminosäuresubstitutionen, vier Deletionen und eine Insertion).
Im Vergleich zu der aktuell stark kursierenden XBB.1.5-Variante, gegen die bekanntlich auch die neu angepassten Impfstoffe gerichtet sind, die wohl Mitte September verfügbar werden, lassen sich bei BA.2.86 insgesamt 36 Mutationen nachweisen (32 Aminosäuresubstitutionen, drei Deletionen und eine Insertion).
Und verglichen mit dem ursprünglichen Wuhan-Hu-1-Stamm unterscheidet sich das Spike-Protein von BA.2.86 an 58 Positionen (52 Aminosäuresubstitutionen, fünf Deletionen und eine Insertion).
Auf drei Mutationen geht Bloom besonders ein. Durch die Mutation K356T entsteht zum Beispiel an der Aminosäureposition Asparagin-354 (N354) eine neue Glykosylierungsstelle. Eine neue Zuckerstruktur an dieser Stelle könne den Angriff durch einen Antikörper verhindern, so Bloom.
Durch die delV483-Mutation wird ein Rest im rezeptorbindenden Motiv der RBD entfernt. Obwohl es sich bei der Deletion um eine drastische Veränderung handelt, zeigen Analysen, dass die delV483-Mutation die ACE2-Affinität nur mäßig reduziert.
Schließlich hebt Bloom noch die P1143L-Mutation hervor, da in Experimenten mit Pseudoviren gezeigt wurde, dass diese Mutation den viralen Eintritt verbessern kann. Allerdings sind Mutationen an diesen Stellen in der tatsächlichen SARS-CoV-2-Evolution beim Menschen eher selten, was nicht dafür spricht, dass sie dem Virus Vorteile verschaffen. Vielmehr wird spekuliert, dass diese Mutation das Präfusions-Trimer des Spike-Proteins eher destabilisiert und sich daher negativ auf die Übertragung auswirkt.
So glauben derzeit die meisten Forschenden, dass ein Szenario am wahrscheinlichsten ist, nach dem diese Variante weniger übertragbar ist als die derzeit vorherrschenden Varianten und sich daher das Virus nicht explosionsartig ausbreitet, wie das seiner Zeit bei Omikron beobachtet wurde. Dies ist übrigens das Schicksal der meisten neuen SARS-CoV-2-Varianten.
Bloom sagt gegenüber Nature: »Ich glaube nicht, dass diese Variante irgend jemanden beunruhigen muss. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass diese Variante verpufft und sich in einem Monat niemand außer Leuten wie mir daran erinnert, dass es sie gab.«
Diese optimistischen Einschätzungen müssen aber nicht Bestand haben. Um epidemiologisch erfolgreicher zu sein, müsste die BA.2.86-Variante ihre antigenen Vorteile mit einer besseren Übertragbarkeit beispielsweise ähnlich der derzeit kursierenden XBB-Variante kombinieren. Darauf deutet jedoch derzeit noch wenig hin.
Immerhin widmet auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der BA.2.86-Variante eine besondere Aufmerksamkeit, denn sie hat diese Variante in die Gruppe der »Varianten unter Beobachtung« (variants under monitoring, VUM) aufgenommen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.