Ausschuss winkt Änderungen durch |
Künftig müssen Apotheker voraussichtlich keine Angst vor Nullretaxationen mehr haben. Laut einer geänderten Gesetzesfassung des ALBVVG soll Nullretax bei Formfehlern bald verboten werden. / Foto: IMAGO/Zoonar
Der in den Beratungen noch geänderten und ergänzten Vorlage des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) haben am heutigen Mittwoch die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP zugestimmt. Die Opposition lehnte den Gesetzentwurf mit den Stimmen von Union, Linken und AfD geschlossen ab, wie der Bundestag heute mitteilte. Der Gesetzentwurf soll demnach am Freitag im Bundestag beschlossen werden.
Der Ausschuss billigte insgesamt 31 Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen, darunter zehn fachfremde Änderungen. So soll für Apotheken künftig bei der Abgabe von apothekenüblichen Hilfsmitteln die Pflicht zur Präqualifizierung wegfallen. Die Präqualifizierung soll nur noch für Hilfsmittel, deren Anpassung erweiterte handwerkliche Fertigkeiten erfordern, oder die nicht zum üblichen Betrieb einer Apotheke gehören, wie zum Beispiel Blindenführhunde, notwendig sein. Für was man sie künftig braucht und für was nicht, das sollen die Kassen gemeinsam mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) festlegen.
Auch die Nullretaxation soll in der bisherigen Form abgeschafft werden. Diese führte bisher bei Formfehlern auf Rezepten dazu, dass Krankenkassen komplett die Zahlung verweigerten. In fünf Fällen soll eine Retaxation künftig grundsätzlich verboten werden, und zwar wenn:
1. die Dosierangabe auf der Verschreibung fehlt,
2. das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
3. die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind,
4. die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
5. die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.
Halten Apotheker Rabattverträge nicht ein, sollen sie künftig nur auf ihr Honorar verzichten müssen, den Einkaufspreis aber erstattet bekommen.
Zudem sollen die flexiblen Austauschmöglichkeiten bei nicht verfügbaren Arzneimitteln auch künftig gelten. Die Austauschfreiheiten waren während der Corona-Pandemie eingeführt und mit dem »Gesetz zur Reform der Unabhängigen Patientenberatung« (UPD-Gesetz) zunächst bis zum 31. Juli 2023 verlängert worden. Mit dem ALBVVG sollen die erweiterten Austauschmöglichkeiten für Apotheken im Fall von Lieferengpässen dauerhaft etabliert werden.
Der Gesundheitsausschuss gab auch grünes Licht für weitere Änderungen. Demnach sollen Krebsmedikamente (Onkologika) in die neue Richtlinie für eine erhöhte Bevorratung aufgenommen werden, um einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung bei Lieferengpässen oder Mehrbedarfen entgegenzuwirken.Anders als im Referentenentwurf war dies im Kabinettsentwurf nur noch für Antibiotika vorgesehen, was zu viel Kritik geführt hatte. Weiterhin sollen in den Ländern rechtliche Rahmenbedingungen für Modellvorhaben zum sogenannten Drug-Checking geschaffen werden. Beim Drug-Checking werden Drogen auf ihre Inhaltsstoffe hin untersucht. Nutzer sollen so vor gefährlichen Substanzen, die Drogen beigemischt sein könnten, besser geschützt werden. Darüber hinaus soll die in der Corona-Pandemie eingeführte Sonderregelung zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach telefonischer Anamnese auch künftig möglich sein.
Gegenwind zu den Plänen ließ nicht lange auf sich warten. So will das Bündnis »Wir versorgen Deutschland« (WvD) – ein Zusammenschluss von Leistungserbringer in der Hilfsmittelversorgung – rechtliche Schritte gegen die geplante Befreiung der Apothekenteams von der Präqualifizierung prüfen. Der WvD kritisierte in einer heute veröffentlichen Mitteilung die »einseitige und sachfremde Bevorteilung der Apotheken zu Lasten aller übrigen Leistungserbringer«. In der geplanten Befreiung der Apothekenteams von der Präqualifizierung sieht das Bündnis eine Verletzung der Grundsätze des freien und gleichen Marktzuganges im Hilfsmittelbereich. »Gesetzlich Versicherte müssen darauf vertrauen können, dass die strengen Regeln bei der Abgabe von Hilfsmitteln überall gleichermaßen gelten«, erklärten die WvD-Generalsekretäre Kirsten Abel und Patrick Grunau.
Der BKK Dachverband kritisierte die Pläne zur Einschränkung der Retaxationen im Zusammenhang mit Rabattverträgen. Krankenkassen dürften somit künftig nicht mehr retaxieren, selbst wenn die Apotheke kein verfügbares Rabattarzneimittel abgegeben habe, teilte der Verband heute mit. »Damit wird an den Grundpfeilern zur wirtschaftlichen Versorgung gerüttelt«, warnte Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK-Dachverbands. Verständnis äußerte Knieps hingegen dafür, dass Apotheken künftig nicht mehr für bürokratische Fehler auf dem ärztlichen Rezept verantwortlich gemacht werden sollen. Auch die Nullretaxierung in Bagatellfällen müsse unterbleiben, so Knieps.
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