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Soziale Verschreibungen

Ausgehen auf Rezept

Wenn der Arzt Probleme lösen soll, bei denen keine Medizin hilft, kommt Social Prescribing ins Spiel – also gesellschaftliche Aktivitäten auf Rezept. In vielen Ländern wird das bereits praktiziert. Noch ist der Nutzen aber schwer greifbar. Doch der ganzheitliche Ansatz ist in den Augen der Wissenschaft vielversprechend.
Jennifer Evans
28.11.2022  07:00 Uhr

Nicht nur medizinische Probleme haben einen Einfluss auf die Gesundheit eines Menschen. Auch soziale und emotionale Bedürfnisse unterstützen den Heilungsprozess. Immerhin ist der Grund für rund jeden fünften Hausarztbesuch ein Leiden, das nicht auf körperliche Beschwerden zurückzuführen ist. Meist plagen die Patienten Einsamkeit oder finanzielle Schwierigkeiten, wie Bridget Kiely, klinische Forschungsbeauftragte an der irischen RCSI Universität für Medizin und Gesundheitswissenschaften, und Susan Smith, Professorin für Allgemeinmedizin am Trinity College in Dublin, in ihrem Beitrag auf der Wissenschaftsnachrichten-Plattform »The Conversation« berichten. Diese Entwicklung hat zum sogenannten Social Prescribing geführt. Der ganzheitliche Ansatz hat seinen Ursprung bereits in den Nullerjahren im britischen und nordirischen staatlichen Gesundheitssystem.

Bleibt also der gewünschte Heilungserfolg aus, können Hausärzte mithilfe eines sogenannten Link Workers soziale Kontakte und Aktivitäten verschreiben. Ein Link Worker kennt die Umgebung, ist ein ausgezeichneter Zuhörer und kann Menschen ermutigen, Veränderungen in ihrem Leben anzugehen. Für Patienten, die vom Arzt ein solches soziales Rezept erhalten haben, erstellen die Betreuer einen persönlichen Plan. Dabei geht es vor allem um Motivation. Zum Beispiel bei der Rückkehr in den Beruf, zum Beginn einer Ausbildung oder der Veränderung des Lebensstils etwa durch mehr Bewegung.

Meist stehen soziale Aktivitäten in einer Gruppe auf dem Plan. Das reicht vom gemeinsamen Lernen, Tanzen, Basteln oder Wandern bis hin zur gemeinschaftlichen Gartenarbeit oder der Ausübung eines Ehrenamts. Die Dauer und die Art der Unterstützung richten sich den Wissenschaftlerinnen zufolge jeweils nach den Bedürfnissen der einzelnen Personen. Zu Bedenken sei dabei auch, dass sich nicht jeder in einer Gruppe wohlfühle, betonen sie.

Konzept auf der ganzen Welt beliebt

Solche Programme existieren inzwischen in vielen Ländern auf der ganzen Welt, darunter Österreich, Irland, UK, Australien, Japan, Kanada sowie in den skandinavischen Ländern und den USA. Politische Entscheidungsträger erhoffen sich davon nicht nur eine Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens des Einzelnen, sondern auch die Chance, gesundheitliche Ungleichheiten auszugleichen. Darüber hinaus sollen die sozialen Rezepte für mehr Kapazitäten bei den Ärzten sorgen, in dem praktisch die Gemeinde die Versorgung der Patienten mitübernimmt.

Nach Angaben der Autorinnen gibt es derzeit aber noch zu wenige Link Worker pro Kopf. Aber in diesem Bereich bewegt sich derzeit einiges: Irland will demnächst einen solchen Betreuer pro 50.000 Einwohner einführen. Österreich verdoppelt gerade die Fördersumme für das Social Prescribing, damit Allgemeinmediziner gemeinsam mit Psychologen und Sozialarbeitern Lösungen erarbeiten können. Und in Hamburg sind die sozialen Verschreibungen verknüpft mit den Gesundheitskiosken der Stadt, die generell schon dazu dienen, die Arztpraxen zu entlasten.

Was bringt das verordnete Miteinander?

Um herauszufinden, wie wirksam diese Geselligkeit auf Rezept ist, haben die beiden Forscherinnen nach eigenen Angaben alle medizinischen Studien, Websites und Berichte über Social-Prescribing-Projekte durchsucht. Das Problem: Der Ansatz ist so konzipiert, dass er sich je nach Individuum und den Ressourcen im lokalen Umfeld unterscheidet und damit die Bewertung aus wissenschaftlicher Sicht erschwert, ob er auch in einem größeren Maßstab funktioniert.

Dennoch zeigte sich bei den längeren und intensiveren Programmen, während derer ein Betreuer die Menschen sechs Monate lang wöchentlich traf und eng mit dem Gesundheitssystem zusammenarbeitete, dass die Betroffenen über eine bessere Versorgungsqualität berichteten. Weil dadurch außerdem weniger Tage im Krankenhaus anfielen, kam es zu Kosteneinsparungen für das Gesundheitssystem. Bei einer anderen Untersuchung stellte sich hingegen heraus, dass die Zahl der Besuche in der Notaufnahme zwar zurückging, gleichzeitig aber die Besuche beim Primärversorger wieder zunahmen. In Schottland verzeichnete man jedoch eine Verbesserung der Lebensqualität, der psychischen Gesundheit, der sozialen Kontakte und der körperlichen Aktivität, nachdem ein Patient seinen Betreuer mindestens drei Mal getroffen hatte.

Menschen mit komplexen Bedürfnissen profitieren

Außer Frage steht für Kiely und Smith, dass soziale Rezepte generell einen Nutzen haben. Dieser sei vermutlich aber noch lange nicht ausgeschöpft. Damit meinen sie weitere Bereiche, die sich durch Social Prescribing positiv beeinflussen ließen, wie das Selbstvertrauen oder den Optimismus Betroffener zu stärken, ihre Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern oder ihnen einfach das Gefühl zu geben, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen kommt ein Link Worker wahrscheinlich am meisten Menschen mit komplexen Bedürfnissen zugute, also jenen, die in geografisch benachteiligten Gebieten leben und zudem an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden.

Klar ist: Die Social-Prescribing-Programme sind bislang noch nicht vollständig, systematisch oder gar flächendeckend untersucht. Auch die Abbruchgründe einiger Patienten sind kaum dokumentiert. Grundsätzlich halten es Wissenschaftlerinnen  und Wissenschaftler aus der ganzen Welt aber für ein zukunftsträchtiges Konzept, dem derzeit noch die standardisierten Untersuchungsmethoden mit Blick auf die Kontrollgruppen fehlen. 

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