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Gewebezucht

Hohe Hürden für neuartige Therapien

08.12.2009  17:49 Uhr

Von Martina Janning, Berlin / Für das Zulassen neuartiger Therapien aus Gewebezüchtungen ist seit Kurzem die Europäische Union (EU) zuständig. Wegen der gestiegenen Kosten fürchten Experten, dass in Zukunft weniger innovative Verfahren auf den Markt kommen. In Berlin skizzierten sie Auswege. Die kämen auch für neuartige Arzneimittel in Betracht.

Es gibt immer wieder Fälle, in denen erst öffentliches Geld in beträchtlicher Menge in die Forschung und Entwicklung innovativer Therapien fließt und anschließend Gesetze und Regelungen den Markteintritt der Produkte blockieren. Ein Beispiel diskutierten Experten vergangene Woche in Berlin bei einer Veranstaltung der Aktion Meditech, einem Bündnis aus Ärzten, Patienteninitiativen, Verbänden und Unternehmen: die Gewebezüchtung, im Fachjargon Tissue Engineering genannt.

Konkret ging es um Knorpelersatz am Knie aus Zellen, die vom Patienten selbst stammen. Die gewinnt der Arzt, indem er Knorpelzellen aus dem Kniegelenk bei einer Spiegelung entnimmt, das Material im Labor vermehrt und dann wieder in das Gelenk bringt, wo es zu neuem Knorpelgewebe heranwächst.

 

Derzeit transplantieren Kliniken rund 1500 Mal im Jahr Knorpelzellen in Kniegelenke – dieser Eingriff ist damit der gebräuchlichste. In sehr viel geringerem Maße kommen Gewebezellen bei der Haut und den Bandscheiben zum Einsatz; an der Züchtung von Inselzellen zum Behandeln von Diabetes mellitus arbeiten Forscher noch. In naher Zukunft sei das Marktpotenzial des Verfahrens bei Bandscheiben am höchsten, prognostizierte Dr. Jürgen Fritz vom Winghofer Medicum, einer chirurgischen Fachklinik in Rottenburg. Doch so weit könnte es gar nicht mehr kommen, fürchten die Hersteller genauso wie Fritz und andere Ärzte, die mit Gewebezüchtungen arbeiten.

 

Denn seit einem Jahr hat sich die Zulassung für Tissue Engineering verändert. Wie die Gentherapie und die somatische Zelltherapie wird die Gewebezucht seit Ende 2008 wie ein Medikament behandelt. Sie fällt unter die Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien und muss auf EU-Ebene zugelassen werden. Dazu prüft die europäische Arzneimittelbehörde EMEA (European Medicines Agency) die Qualität, Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie und empfiehlt sie bei einer positiven Bilanz der EU-Kommission zur Zulassung. Bislang brauchten Firmen, die Arzneimittel aus patienteneigenem Gewebe züchten, in Deutschland bloß eine Herstellungserlaubnis, um ihr Produkt auf den Markt zu bringen.

 

Die Neuregelung soll die Sicherheit für Patienten erhöhen, die mit neuartigen Therapien behandelt werden. Ziel ist es außerdem, den Marktzugang für die Produkte in der EU zu harmonisieren und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Theoretisch könnte die EU-Zulassung einen breiten Markt eröffnen, räumte Fritz in Berlin ein. Doch die Mengen bei den Gewebezüchtungen seien dafür zu klein. Vielmehr habe die EU-Zulassung negative Auswirkungen für die Produzenten.

 

Weil die Behörden Gewebezüchtungen wie neuartige Arzneimittel behandeln, müssen die Hersteller zeitaufwendige, teure Studien finanzieren. Außerdem erhebe die EMEA hohe Zulassungsgebühren. Die Erstattungen der Krankenkassen deckten diese Mehrkosten nicht, sagte Fritz. Er warnte vor Folgen wie Firmeninsolvenzen, einer Marktkonzentration und dem Aus für Innovationen, insbesondere bei Nischenprodukten. Der Ablauf der bis zum Jahr 2012 geltenden Übergangsfrist könnte auch dazu führen, dass Produkte vom Markt verschwinden, weil kleine Unternehmen es nicht schaffen, die nötigen klinischen Studie zu erbringen.

 

Um das Problem zu lösen, schlug Fritz vor, die Möglichkeit zur nationalen Zulassung – parallel zur EU-Zulassung – wieder einzuführen. Diese Option sieht die 15. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) vor, die seit August in Kraft ist. Der Arzt fand damit Gehör beim gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn. Er versprach, diese Möglichkeit zu prüfen.

 

Modellprojekt Tissue Engineering?

 

Falls die Evidenz eines Tissue-Engineering-Verfahrens und seine Überlegenheit gegenüber existierenden Therapien noch nicht nachgewiesen ist, käme eine Förderung in Form eines Modellprojektes in Betracht, erklärte Dr. Rainer Hess, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Wenn der Nutzen belegt sei, habe der GBA keine Probleme mit der Erstattung durch die Kassen.

 

Der Nachweis des Nutzens könnte auch im Rahmen eines Modells zur Versorgungsforschung laufen, legte Professor Dr. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) dar. Der Hersteller erhielte dann zunächst eine befristete Zulassung und würde sich an der Versorgungsstudie finanziell beteiligen.

 

Die Industrie habe bereits Interesse signalisiert, sagte Rebscher. Ein derartiges Vorgehen ist auch für die Erstattung von neuartigen Arzneimitteln denkbar. Für die Knorpelzelltransplantation ins Knie sind nach den Angaben der Experten in Berlin sowohl die Wirksamkeit und die Sicherheit als auch die Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Verfahren erwiesen. /

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