Depression kommt selten allein |
06.12.2016 11:13 Uhr |
Von Gerhard W. Eschweiler / Bis zu 15 Prozent der älteren Menschen leiden an depressiven Störungen. Die Erkrankung ist nicht neu: Vor 125 Jahren erlitt der 72-jährige Theodor Fontane die dritte Episode einer Depression. Damalige Therapieversuche, unter anderem mit Brom und Rotwein sowie Galvanisation, hatten keinen durchschlagenden Erfolg. Über das Schreiben seiner Kindheitserinnerungen remittierte Fontane.
Theodor Fontane schrieb in einem Brief vor 125 Jahren, am 6. Dezember 1891, an seinen Verleger Wilhelm Hertz (17): »Der Kopf ist mir ständig benommen und will von Anstrengung nichts mehr wissen. Die Klapprigkeit bricht herein und das Arbeiten mit Vierteldampfkraft wird Regel.« Es waren die Vorläufersymptome einer schweren Depression, die ihn vom März 1892 an massiv plagten und anfänglich zu Bildern und Vergleichen reizten, die der Mechanisierung des Alltags im 19. Jahrhundert geschuldet sind. Diese dritte Erkrankungsepisode sollte acht Monate dauern (18, 19).
Als approbierter Apotheker und Romanschriftsteller konnte Fontane sein Gefühlsleben detailliert beschreiben. Man findet in seinen Selbstschilderungen die nach der aktuellen Krankheitsklassifikation ICD-10 geltenden Hauptsymptome einer depressiven Episode:
Multifaktoriell bedingt
Für affektive Erkrankungen wird heute eine multifaktorielle Ätiologie mit biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren postuliert. Während bei jüngeren Menschen neben genetischen Faktoren insbesondere Lernerfahrungen und Traumatisierungen in der Kindheit dominieren, sind es bei Älteren viele altersassoziierte Gebrechen und Krankheiten (Tabelle 1, Seite 28).
Beim ersten Auftreten einer Depression, oft bereits im dritten Lebensjahrzehnt, findet man als Auslöser bei mehr als 80 Prozent der Patienten psychosoziale Stressoren, insbesondere im persönlichen Umfeld, zum Beispiel Trennung, Verlusterlebnis oder akute Konflikte. Auch akute somatische Stressoren wie schwere Infekte, Operationen, Schilddrüsenfunktionsstörungen oder der Estrogenabfall im Wochenbett können eine Depression auslösen (3). Im Verlauf einer rezidivierenden depressiven Erkrankung werden die akuten Belastungsfaktoren als Auslöser weniger bedeutend, und ein »endogener Rhythmus« dominiert.
Neben der Verlaufsform (einmalig, rezidivierend, chronisch) ist die Schwere der depressiven Episode für die Diagnostik und das Management wichtig. Rund 17 Prozent der älteren Menschen in Deutschland leiden an depressiven Symptomen, ohne das Vollbild einer depressiven Störung zu zeigen. 7 Prozent der älteren Menschen leiden unter einer depressiven Episode (9).
Nach der dritten Episode einer schweren rezidivierenden Depression verfasste der Apotheker und Schriftsteller Theodor Fontane (1819 bis 1898) das Gedicht »Ausgang«, das die Bürde einer Depression sehr gut ausdrückt:
Immer enger, leise, leise,
ziehen sich die Lebenskreise.
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
schwindet Hoffen, Hassen, Lieben
und ist nichts in sich geblieben,
als der letzte dunkle Punkt.
Die frühere starke Stigmatisierung psychiatrischer Erkrankungen hat – zumindest für die Depression – abgenommen, sodass offener über die Erkrankung berichtet wird. Dies ist ein Grund für die Zunahme der Diagnose Depression. Nach epidemiologischen Untersuchungen (7) ist dies nur ein scheinbarer Zuwachs aufgrund verbesserter Fremd- und Eigenwahrnehmung; die Krankheitsprävalenzen haben sich nicht wesentlich verändert (6).
Diagnose nach Haupt- und Zusatzsymptomen
Neben den Hauptsymptomen finden sich zahlreiche zusätzliche Symptome. Gerade ältere und alte Patienten leiden an vielen unspezifischen Beschwerden wie Schwindel, Benommenheit, Schmerzen, Verdauungsstörungen, Zungenbrennen oder Kloßgefühl. Gewertet werden laut ICD-10 sieben Zusatzsymptome:
Um eine leichte Episode zu diagnostizieren, müssen mindestens zwei Haupt- und zwei Zusatzsymptome vorliegen. Bei der mittelschweren Episode sind es zwei Haupt- und drei bis vier Nebensymptome, bei der schweren Depression drei Haupt- und mehr als vier Nebensymptome. Diese müssen über mehr als zwei Wochen überwiegen, das heißt zu mehr als der Hälfte der Zeit bestehen.
Häufig fluktuieren die Symptome im Tages- und Wochenverlauf. Typisch bei Patienten mit familiär gehäufter Depression (früher meist endogen genannt) sind somatische Symptome, auch vegetativ oder melancholisch genannt. Erleben die Patienten ein Morgentief und eine abendliche Aufhellung, zeigt dies neben dem fehlenden Cortisol-Abfall in der Nacht eine Störung der zirkadianen endokrinen Rhythmik an. Diese Tagesschwankung kann prognostisch wertvoll sein, da Menschen mit ausgesprochener zirkadianer Stimmungsveränderung verstärkt auf eine Wach-Therapie (Schlafentzug) oder auf Lithium ansprechen.
Bei Verdacht auf ein depressives Syndrom kann der Arzt zunächst mit zwei Fragen (Patient Health Questionnaire-2) nach Symptomen der letzten Wochen fragen (2, 15).
Dieses Screening hat eine Sensitivität von mehr als 90 Prozent und eine Spezifität von mehr als 50 Prozent. Bei mindestens einer positiven Antwort sollte eine genauere Diagnostik mit einem umfassenderen Screening-Instrument wie dem PHQ-9, MADRS oder der Geriatrischen Depressions Skala (GDS) erfolgen (12, 13). Besser noch ist ein klinisches strukturiertes oder halbstrukturiertes Interview durch einen erfahrenen Arzt oder Psychologen. In der Versorgungsrealität ist dies aber nur wenigen Patienten vorbehalten.
Die Suizidalität spielt im Alter eine große Rolle. Ältere Männer haben das höchste Risiko, Suizidhandlungen auszuführen beziehungsweise durch Suizid zu sterben; ihr Risiko ist 20-mal höher als bei jungen Frauen. Männer sind vor allem gefährdet, wenn sie ihre Ehefrau oder Partnerin verloren haben oder sich von Pflege oder Umzug ins Pflegeheim bedroht fühlen. Bei akuter Suizidalität oder wahnhafter Depression ist eine rasche Vorstellung beim Facharzt oder in einer psychiatrischen Klinik dringend nötig.
Im Verbund mit Herzerkrankungen
Depressive Störungen sind bei Menschen bis 75 Jahre etwas seltener als in jüngeren Kohorten, nehmen aber ab 75 Jahre im Rahmen von neurodegenerativen und vaskulären Prozessen zu. Salopp gesagt: Eine Depression kommt selten allein.
Bei Menschen über 75 Jahre ist sie häufig vergesellschaftet mit einer Herzinsuffizienz. Die Hälfte der Patienten mit Herzinsuffizienz hat zumindest einzelne depressive Symptome. 15 Prozent der Patienten mit chronischer Herzerkrankung zeigten im Gesundheitssurvey eine Depression; damit ist ihr Risiko doppelt so hoch wie bei der Allgemeinbevölkerung. Bei schwerer Herzinsuffizienz mit ausgeprägter Belastungs- oder gar Ruhedyspnoe gehören Antriebsmangel und Interessenverlust zur Krankheit dazu, sodass die Abgrenzung zur Depression oder Anhedonie kaum möglich ist.
Depressionsfördernde Faktoren | Beispiele |
---|---|
psychologisch | Konflikte, geistige Inaktivität, Einsamkeit, Verlusterlebnisse, Inappetenz |
sozial | Konflikte, pathologische Trauer, wenig Sozialkontakte |
biologisch | Schmerzen, Gebrechlichkeit, Sarkopenie, Herzinsuffizienz, Diabetes, Schwerhörigkeit, Hormonmangel, Neurodegeneration |
Umgekehrt ist die kardiovaskuläre Mortalität bei depressiven Patienten im Vergleich zu nicht-depressiven Patienten ungefähr verdoppelt (Hazard Ratio von 2,2). Depression und Bewegungsmangel verstärken eine Herzinsuffizienz und gehen oft mit mangelnder Medikamentenadhärenz einher. Dies wiederum hat einen negativen Effekt auf die depressive Stimmung, sodass sich die Betroffenen in einer emotionalen und körperlichen Abwärtsspirale befinden.
Differenzialdiagnose Delir und Demenz
Wichtige Differenzialdiagnosen und Begleiterkrankungen bei Älteren sind Demenz und Delir. Vor allem bei positiver Anamnese für Demenzerkrankungen in der Familie und bei ausgeprägten Merkfähigkeits-, Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sind eine ausführlichere neuropsychologische Testung sowie bildgebende Verfahren hilfreich. Spezifische Atrophiemuster im Computertomogramm deuten auf neurodegenerative Erkrankungen und ausgeprägte subkortikale Läsionen auf eine mögliche vaskuläre Genese hin, die durch arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus begünstigt wird (16).
Das Delir ist eine passagere Hirnfunktionsstörung mit akuter Verwirrtheit, Desorientierung und Aufmerksamkeitsstörung. Die Schwere wechselt im Tagesverlauf. Häufig wird ein Delir, insbesondere die hypomotorische Variante mit Apathie und sehr geringer motorischer Aktivität, nicht erkannt. Depressive ältere Menschen sind gegenüber deliranten Patienten örtlich und zeitlich orientiert und können auch die Wochentage rückwärts aufzählen, was eine Aufmerksamkeitsleistung ist.
Als besondere Form gilt die Spätdepression (late-onset-depression, LOD) mit Erstmanifestation nach dem 60. Lebensjahr, bei der man vaskuläre Läsionen im Gehirn findet. Diese Form chronifiziert oft. Typisch sind eine psychomotorische Verlangsamung und exekutive Funktionsstörungen wie mangelnde Flexibilität oder erschwerte Umstellung auf neue Aufgaben oder Themen. Diese Defizite können mit dem Zahlen- Buchstaben-Verbindungstest zumindest bei lese- und schreibfähigen älteren Menschen aufgedeckt werden. Bei ausgeprägten kognitiven Symptomen kann eine Liquordiagnostik zum Ausschluss entzündlicher ZNS-Erkrankungen oder zur Spezifizierung einer möglichen Alzheimer-Erkrankung indiziert sein. Bis zu 30 Prozent der Patienten mit Alzheimer-Krankheit zeigen, vor allem zu Beginn der demenziellen Phase, ein depressives Syndrom.
Gebrechlichkeit fördert Depression
Neben Depression, Delir und Demenz kommt auch die Gebrechlichkeit (englisch: frailty) im höheren Alter häufiger vor (Tabelle 1). Kennzeichnend sind die fünf Symptome Gewichtsverlust, Erschöpfung, reduzierte Ganggeschwindigkeit (weniger als 0,8 m pro Sekunde), reduzierte Handkraft und ein geringes Aktivitätsniveau.
Drei und mehr dieser Symptome sind als Gebrechlichkeit definiert (5), hiervon sind 10 Prozent der Menschen über 65 Jahre in Deutschland betroffen (11). Ungefähr 30 Prozent dieser Senioren zeigen nur ein bis zwei Symptome (»prefrail«). Körperliche Inaktivität, soziale Isolation und Einsamkeit sind häufige Vorläufer der Gebrechlichkeit, aber auch Risikofaktoren für die Entwicklung einer Depression. Bei gebrechlichen Menschen findet man häufiger einen kognitiven Abbau, ein erhöhtes Delir- und Demenzrisiko, geringere Lebensqualität und ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko.
Abgestufte Therapie
Meist ist es der Hausarzt, der eine Depression bei älteren Menschen diagnostiziert und diese behandelt (10). Arzt, Patient und eventuell auch Angehörige sollten gemeinsam entscheiden, ob ein Zuwarten (»watchful waiting«) möglich ist oder ob frühzeitig mit einer Psycho- oder Pharmakotherapie entsprechend der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (3) begonnen werden soll. Diese empfehlen sowohl die partizipative Entscheidung als auch die Psychoedukation, das heißt Aufklärung über die Krankheit und ihre Behandlung. Fundierte Broschüren, zum Beispiel vom Bündnis gegen Depression (www.buendnis-depression.de/depression/mehr-zum-thema-depression.php), oder andere vertrauenswürdige Webseiten können Hintergrundinformation geben.
Laut Leitlinie sollte eine Pharmakotherapie und/oder Psychotherapie bei anhaltenden depressiven Störungen erfolgen. Es gibt keine Altersobergrenze für eine Behandlung, allerdings können körperliche und kognitive Faktoren diese begrenzen (14).
In der Pharmakotherapie wird meist in der ersten Stufe ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), zum Beispiel 5 mg Escitalopram oder 25 mg Sertralin, gegeben (Tabelle 2).
1892 | Weitere Indikationen | 2016 (Beispiele) | Effekt | Typische Nebenwirkungen | Kommentar |
---|---|---|---|---|---|
Medikamente | |||||
Opiumkur | Schmerzen | — | Abhängigkeit Sedierung | euphorisierend | |
Brom | schlafanstoßend, antiepileptisch | — | Sedierung, Bromakne | seit 1980 kaum noch eingesetzt | |
— | Angststörungen | SSRI (Sertralin) | ++ | Übelkeit, Unruhe, Schwitzen | Natrium- und QTc- Zeit-Kontrolle |
— | neuropathischer Schmerz | SNRI (Duloxetin) | ++ | Schwitzen, RR-Erhöhung | QTc-Zeit-Kontrolle |
— | neuropathischer Schmerz, schlaffördernd | Trizyklika (Nortriptylin) | +++ | Mundtrockenheit, Tremor, Schwindel | am besten verträgliches TCA |
— | bipolare Störung | Lithium | ++ | Tremor, Schwitzen, Nierenwert- erhöhung, Polydipsie | gute Augmentation und Rückfallschutz |
Diäten, Nahrungser- gänzung |
|||||
Rotwein | Sedierung | — | dosisabhängig Sedierung | nicht bei Alkohol- abhängigkeit, täglich bis zu 125 ml | |
— | Omega-3- Fettsäuren | (+) | Übelkeit, Diarrhö | in fettem Fisch und Ölen, Metaanalysen nicht eindeutig | |
Lebensstil | |||||
Luftkur, Bäder | vegetative Stimulation | — | ? | Luftkur: Sonnenbrand | Reizklima bei Allergie und COPD |
— | Bewegung: flottes Gehen, Joggen | + | Muskelkater, Torsionen | günstig zur Prävention vieler Erkrankungen | |
Psychotherapie | |||||
Kindheits- erinnerungen | Ängste | Life review | + | Trauma- Reaktivierung möglich | Reminiszenz, gut für Selbstwert, wenig untersucht |
Ängste, Psychose | Kognitive Verhaltens- therapie | ++ | Aktivierung von Konflikten, Überforderung bei kognitiven Einschränkungen | höchste Evidenz bei Patienten bis 75 Jahren | |
Ängste, Pflegebelastung | Problemlöse- Training (auch in Gruppen) | ++ | Überforderung | auch bei kognitiver Einschränkung | |
Ängste, Selbstsicherheits- training | Interpersonelle Therapie (Late life IPT) | ++ | hohe Schwellenangst | Einsamkeit, Rollenwechsel |
Es gilt der geriatrische Grundsatz: start low, go slow. So werden häufige Nebenwirkungen wie starkes Schwitzen, Übelkeit, Unruhe und vermehrte Angst in den ersten drei bis vier Tagen der SSRI-Therapie verhindert oder abgemildert. Danach sollte sukzessive und nebenwirkungsorientiert auf die Standarddosis, zum Beispiel 10 mg Escitalopram oder 50 bis 100 mg Sertralin, gesteigert werden. Das Serumnatrium sollte kontrolliert werden, da Hyponatriämien (auch mit Delir-Entwicklung) insbesondere in Kombination mit Hydrochlorothiazid und anderen Diuretika häufiger auftreten. Wichtig ist, die Patienten über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären und auch darüber, dass die positiven Wirkungen frühestens in der zweiten Woche auftreten.
Bei starker Unruhe ist die zusätzliche Gabe eines sedierenden Medikaments, zum Beispiel Pipamperon 20 bis 40 mg am Abend, eventuell auch eines kurz wirksamen Benzodiazapins wie Lorazepam für die erste Woche erforderlich.
Vor und nach Eindosierung des SSRI, aber auch anderer Antidepressiva sollte der Arzt im EKG eine Rhythmusstörung oder QTc-Zeitverlängerung ausschließen. Es gibt auch Warnhinweise auf kardiologische Nebenwirkungen bei der Kombination eines SSRI mit dem Stimmungsstabilisierer und Antipsychotikum Quetiapin.
Bei ausgeprägten Schlafstörungen und/oder Appetitverlust kann zur Nacht Mirtazapin, mit 15 mg beginnend, verordnet werden. Eine Gewichtszunahme tritt häufig auf. Albträume und Restless-legs können sich verschlimmern. Eine Alternative ist Agomelatin, mit 25 mg zur Nacht beginnend, ein Melatoninrezeptor-Agonist (MT1 und MT2) sowie 5-HT2c-Antagonist, der auch bei Älteren positive Wirkungen zeigte. Leberwertkontrollen und Interaktionen am CYP1A2 sollten beachtet werden.
Die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SNRI) Venlafaxin und Duloxetin werden aufgrund ihrer zusätzlichen Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen auch gerne bei älteren Menschen eingesetzt. Hier ist zusätzlich auf Blutdrucksteigerung, erhöhtes Sturzrisiko und QTc-Zeit-Verlängerung zu achten.
Trizyklika sind auch im Alter gut sehr wirksam, aber aufgrund der häufigeren Nebenwirkungen nur bedingt bei Therapieresistenz empfohlen. Insbesondere die anticholinergen Nebenwirkungen bei höheren Dosierungen werden im Alter gefürchtet, zum Beispiel kognitive Störungen, Mundtrockenheit, Obstipation, Bradykardie, Sturzrisiko oder Miktionsstörungen (bis zum Harnverhalt). Nortriptylin gilt als das verträglichste Trizyklikum und ist auch ein aktiver Metabolit des Amitriptylins. Nortriptylin wird im Alter mit 10 mg morgens begonnen und langsam nach Verträglichkeit und Serumkonzentration auf 25 – 25 – 0 mg gesteigert. Als weiteres Trizyklikum wird Doxepin in niedriger Dosierung (5 bis 10 mg) auch bei chronischen Schlafstörungen verordnet. Ab 25 bis 50 mg liegt auch eine antidepressive Wirksamkeit vor.
Johanniskraut ist laut Metaanalyse bei leichter und mittelschwerer Episode wirksam (3). Es ist im Alter wenig untersucht und aufgrund der potenziellen Phototoxizität, Interaktionen und Induktion am CYP450-Enzym-System zurückhaltend, insbesondere bei Patienten mit Multimedikation, einzusetzen.
Die Wirksamkeit der Antidepressiva ist auch im Alter gegeben, jedoch sind die Nebenwirkungen mit Sturzrisiko und Sedierung ausgeprägter als bei Jüngeren. Antidepressiva sind zentrale Bausteine einer Depressionstherapie, aber möglichst um Psychotherapie oder zumindest psychosoziale Interventionen zur Aktivierung und/oder Überwindung von Einsamkeit zu ergänzen, wie auch die revidierte S3-Leitlinie (3) betont.
Psychotherapie auch für betagte Menschen
Die kognitive Verhaltenstherapie ist auch bei älteren Menschen bis 75 Jahre gut belegt (5). Sie wird als Einzeltherapie und in der Gruppe angeboten (Tabelle 2). Bei Älteren insbesondere mit kognitiven Einschränkungen wird vor allem der Aufbau positiver Aktivitäten und weniger die kognitive Umstrukturierung geübt.
Gerhard Eschweiler studierte Humanmedizin an der RWTH Aachen und an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und erhielt 1986 die Approbation als Arzt. Es folgte die Promotion am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Assistenzarzt und Wissenschaftlicher Assistent erwarb Eschweiler 1996 den Facharzttitel für Neurologie und Psychiatrie, später den Zusatztitel Psychotherapie-Verhaltenstherapie. Seit 2002 ist er als Oberarzt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen tätig und habilitierte sich 2004 im Fach Psychiatrie und Psychotherapie, Zusatztitel Klinische Geriatrie. Seit 2008 hat er eine außerplanmäßige Professur an der Eberhard-Karls-Universität inne. Professor Eschweiler leitet die Geschäftsstelle des Geriatrischen Zentrums am Uniklinikum Tübingen.
Professor Dr. Gerhard W. Eschweiler
Geriatrisches Zentrum am Universitätsklinikum Tübingen
Osianderstraße 24
72076 Tübingen
Zur Interpersonellen Therapie (IPT) gibt es eine Late-life-Variante, die auf die im Alter häufigen Themen wie Isolation, Einsamkeit und Rollenwechsel, zum Beispiel nach Berentung oder bei Trennung, abzielt. Im Problemlösetraining (PST) versucht der Patient mit Unterstützung des Therapeuten zunächst, konkrete Problemfelder selbst zu benennen, zum Beispiel Schlafstörungen, Schmerzen bei Bewegung oder innerfamiliäre Konflikte. Im zweiten Schritt werden diese priorisiert und konkrete Lösungsansätze für die wichtigsten Bereiche erarbeitet. Gibt es keine Lösung, soll eine akzeptierende Haltung erarbeitet oder gestärkt werden, zum Beispiel die Akzeptanz der Scheidung der Tochter.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden weitere nicht-pharmakologische Therapien erarbeitet, die nach Depressionstyp und Verfügbarkeit eingesetzt werden können. Schlafentzug und Schlafphasenvorverlagerung (1) sind chronobiologische Interventionen, die transkranielle Magnetstimulation (TMS) und Gleichstromstimulation der Stirnhirnrinde sind nicht invasive experimentelle Therapien. Die Elektrokrampftherapie (EKT) bei pharmako-resistenter Depression ist auch bei Älteren sehr gut wirksam, weist aber mehr kognitive Nebenwirkungen auf, die jedoch meist passager sind (3).
Zurück zu Theodor Fontane
Wie erging es Theodor Fontane? Er versuchte zahlreiche Therapievorschläge seiner Ärzte wie eine Luftkur, Brom als Sedativum, eine Morphiumkur, Rotwein und auch Galvanisationen des Körpers, erlebte aber keine wesentliche Besserung der Depression bis zum Spätsommer 1892. Auf Anraten seines Hausarztes schrieb er im Herbst 1892 die Erinnerungen »Meine Kinderjahre« und gesundete darüber. Er remittierte komplett, erhielt später einen Ehrendoktor, schrieb sein Spätwerk und vollendete »Effi Briest«, bevor er 1898 betagt und hoch geehrt starb. Fontane dient als gutes Beispiel gelungener Integration einer rezidivierenden depressiven Erkrankung ins Leben. Depression ist auch im Alter heilbar oder zumindest gut behandelbar. /
Literatur